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Wissenschaft zum Anfassen

Antje Binder18. Mai 2012

Wir hier oben, ihr da unten: Was Wissenschaftler erforschen, wird von Bürgern oft nicht verstanden. Dabei könnte das Wissen direkt im Alltag genutzt werden. Eine internationale Konferenz in Bonn nennt Beispiele.

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Symbolbild Schwerkraft (Foto: Fotolia/tiero)
Bild: tiero - Fotolia.com

Die Konferenz im Bonner Gustav-Stresemann-Institut platzt aus allen Nähten. Flipcharts stehen gedrängt im Tagungsraum. Aus jeder Ecke ist aufgeregtes Geplauder zu hören. Wissenschaftler und Studenten stehen vor ihren Plakaten und preisen ihre Ideen an. Jeder steht für ein anderes Projekt und doch haben alle ein gemeinsames Ziel: Sie wollen Wissenschaft bürgernäher und lebendiger machen.

Mitten im Getümmel steht der Berliner Student Sven Benthin mit einer Plastikschachtel und erklärt, wie man daraus einen Miniatur-Garten macht. In der Schachtel hat er ein Bewässerungssystem installiert, das Regenwasser speichert und bei Bedarf abgibt. Nun müssen nur noch Erde und Pflanzen hineingegeben werden. Ganze Viertel könne man mit diesen Plastikschachteln begrünen, ohne dass dafür Asphalt und Beton aufgerissen werden müssten, erklärt Benthin. Die Idee zur unkomplizierten Begrünung entwickelte der Stadtökologie-Student gemeinsam mit Bewohnern aus dem Bezirk Kreuzberg. "Die Frage war, ob wir ein Architekturbüro nehmen, von dem wir Lösungen vorgesetzt kriegen oder ob wir das zusammen mit der Gemeinschaft entwickeln", sagt Benthin.

Sven Benthin, Student der Sozioökonomie, Technische Universität Berlin (Foto: DW/Antje Binder)
Sven Benthin forscht in Berlin zum Thema Urban GardeningBild: Antje Binder

Lösungen für die Bürger entwickeln

Ein Ansatz, den viele Projekte der Veranstaltung verfolgen. Wissen soll für die Allgemeinheit direkt nutzbar werden. Schon seit mehreren Jahren treffen sich Vertreter von Hochschulen, Studenten, Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaftsläden regelmäßig zu den sogenannten "Living Knowledge"-Konferenzen. Gegründet wurden sie von den Wissenschaftsläden, die schon seit den achtziger Jahren den Spagat zwischen Gesellschaft und Forschung versuchen. Als eine Art "universitäre Verbraucherzentrale" schalten sie sich zwischen Uni und Bürger und übersetzen einfache Fragen in wissenschaftliche Fragestellungen.

Nach Bonn sind in diesem Jahr Teilnehmer aus 35 Ländern gekommen, um ihre Projekte vorzustellen. "Wir haben eine Ausschreibung gemacht und weit über 100 Bewerbungen erhalten", freut sich Norbert Steinhaus vom Wissenschaftsladen Bonn, der die diesjährige Konferenz ausrichtet. Das Angebot reicht von praktischen kleinen Erfindungen wie die "mobilen Beete" oder die innovativen Fahrräder bis hin zu Initiativen, die sich mit den Schicksalen von ganzen Gemeinschaften beschäftigen.

Norbert Steinhaus, Leiter Wissenschaftsladen Bonn (Foto: Wissenschaftsladen Bonn)
Konferenz-Koordinator Norbert SteinhausBild: Wissenschaftsladen Bonn

Ein Team aus Forschern und Fischern

An einem solchen Projekt arbeitet John Sullivan. Der Mann mit den grauen, zum Pferdeschwanz gebundenen Haaren ist Wissenschaftler an der Universität Texas. Seit zwei Jahren untersucht er die ökologischen Folgen der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko - und zwar nicht nur mit einem Team von Wissenschaftlern, sondern mit Anwohnern und Fischern der Mississippi-Gegend. Sie stammen aus den indigenen Völkern Nordamerikas, sind vietnamesischer und kambodschanischer Abstammung. Sie alle fischen traditionell in den langsam fließenden Gewässern Louisianas und waren dadurch direkt von der Ölkatastrophe bedroht.

In John Sullivans Forschungsprojekt zeigen sie den Wissenschaftlern, wo sie am besten Proben nehmen können und sammeln Austern, Krabben und Shrimps. Die Forscher untersuchen die Meerestiere auf petrochemische Rückstände und versuchen herauszufinden, welche Langzeitfolgen das Ölleck für die Umwelt und die Gesundheit hat.

Forscher im Golf von Mexiko (Foto: John Sullivan)
Suche nach Spuren der Ölkatastrophe im Golf von MexikoBild: John Sullivan

"Die Anwohner geben uns Informationen, die wir auf keine andere Art bekommen", betont Sullivan. "Und wir geben ihnen Informationen, die ihnen helfen, sich wissenschaftlich fortzubilden und sich aktiv um ihre Gesundheit zu kümmern.“

Die "dritte Mission" Gesellschaft

So gut vernetzt wie in den USA oder in den Niederlanden und Großbritannien sind Wissenschaft und Gesellschaft in Deutschland noch lange nicht. "Gemessen an der Bevölkerungsdichte hängen wir hinterher", kritisiert Norbert Steinhaus. Bislang waren es eher kleine wissenschaftliche Projekte, mit denen Bürgern in Deutschland direkt geholfen wurde. So erzählt Norbert Steinhaus von einer Frau mit einer schweren Gehbehinderung, die einen Wissenschaftsladen um Hilfe bat. "Studenten aus dem Bereich technisches Design haben ihr ein Fahrrad entworfen, das sie per Hüftbewegung betreiben konnte.“

Langsam aber, so betont der Gründer des Bonner Wissenschaftsladens, interessieren sich immer mehr deutsche Hochschulen für die "Living Knowledge"-Bewegung. Bei einem Wettbewerb der Stiftung Merkator im letzten Jahr hätten sich knapp ein Viertel der deutschen Universitäten mit gesellschaftsorientierten Projekten beworben, erzählt Steinhaus. "Die Erkenntnis reift, dass an Universitäten mehr als Forschung und Lehre passieren muss und es noch eine dritte Mission gibt, die Mission Gesellschaft", sagt Steinhaus.

Living Knowledge Konferenz (Foto: Wissenschaftsladen Bonn)
Konferenzteilnehmer aus 35 Ländern tauschten sich ausBild: Wissenschaftsladen Bonn