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Wirtschaftsweise warnen, fordern, rüffeln

1. November 2016

Die "Fünf Weisen", wirtschaftspolitische Berater der Bundesregierung, warnen vor einer Wachstumsdelle, fordern, Großbritanniens EU-Ausstieg aufzuhalten - und rüffeln den fehlenden Reformeifer der Regierung.

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Deutschland Wirtschaftsweisen Konjunkturprognose 2016/2017
Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Die fünf "Weisen" gehen mit der amtierenden Bundesregierung hart ins Gericht. Diese habe die gute Konjunktur nicht für Reformen genutzt und sich auf Erfolgen früherer Erneuerungen ausgeruht. Die Wirtschaftsberater der Bundesregierung fordern in ihrem Jahresgutachten eine Reformoffensive in Deutschland und werfen der amtierenden schwarz-roten Koalition Versäumnisse vor: "Statt sich auf den Erfolgen früherer Reformen, wie der Agenda 2010, auszuruhen oder sie sogar zu verwässern, sollte die Politik notwendige Reformen entschlossen umsetzen", heißt es in ihrem Gutachten, das sie Bundeskanzlerin Angela Merkel vorlegen werden.

"Deutschland weist für die laufende Legislaturperiode eine enttäuschende Reformbilanz aus", schreiben die Ökonomen. Aus ihrer Sicht wurde "die - nicht zuletzt auf der Reformpolitik der Vergangenheit beruhende - ökonomisch erfolgreiche Phase unzureichend genutzt, um die deutsche Volkswirtschaft auf die großen Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten".

Die gute wirtschaftliche Entwicklung biete die Chance für Strukturreformen: "Jetzt ist die Zeit für Reformen, die das Potenzialwachstum der deutschen Volkswirtschaft erhöhen, die Herausforderungen der Demografie, Globalisierung und Digitalisierung zu bewältigen helfen und die Stabilität und Leistungsfähigkeit Europas stärken."

Nicht nur Berlin, auch Brüssel bekommt sein Fett weg

Auch in Europa müssten Reformen angegangen werden, fordern sie. Die weltweit lockere Geldpolitik deute auf eine falsche Aufgabenverteilung hin: "Dauerhaft höheres Wachstum lässt sich mit geldpolitischen Maßnahmen nicht erzielen."

Im Euro-Raum habe die außergewöhnlich lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) zwar wesentlich zum Aufschwung beigetragen. Das Ausmaß der Lockerung sei aber angesichts der wirtschaftlichen Erholung nicht mehr angemessen. "Die Verschleppung der Probleme gefährdet das europäische Projekt." Ohne die Bereitschaft zu grundlegenden Reformen könne die langfristige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der EU nicht gesichert werden.

Den Brexit verhindern?

Die "Wirtschaftsweisen" beziehen auch zum geplanten Austritt Großbritanniens aus der EU, dem sogenannten Brexit, Stellung: "Der Sachverständigenrat plädiert dafür, durch konstruktive Verhandlungen einen Austritt zu verhindern oder zumindest ein Nachfolgeabkommen zu schließen, das für beide Seiten den Schaden minimiert", schreiben sie.

In einer Volksabstimmung hatten die Briten im Juni dafür gestimmt, die EU zu verlassen. Die britische Premierministerin Theresa May will dies im Frühjahr 2017 offiziell beantragen. "Aufgrund der Tragweite sollten die politischen Akteure den Brexit nicht zu früh als gegeben hinnehmen", meinen die Ökonomen. Selbst nach dem Antrag könnte der Austritt noch gestoppt werden.

In den Verhandlungen mit London dürften Zugeständnisse im Detail zwar nicht tabu sein. "Eine zu entgegenkommende Haltung könnte eine Signalwirkung mit unabsehbaren Folgen entfalten, indem sie Nachahmer animiert", warnen die Weisen.

Die kurzfristigen wirtschaftlichen Schäden allein durch das Brexit-Votum sind nach Ansicht der Experten moderat. Auch die deutsche Wirtschaft könne diese wegstecken. Langfristig dürfte das Vereinigte Königreich selbst am stärksten die negativen Folgen zu spüren bekommen.

Wachstumsschwäche befürchtet

Für das nächste Jahr rechnen die Regierungsberater mit einem schwächeren Wachstum in Deutschland. Die "Weisen gehen davon aus, dass die Wirtschaftsleistung im laufenden Jahr um 1,9 Prozent zulegt. 2017 sollen es 1,3 Prozent sein. Der Rückgang sei vor allem auf einen Kalendereffekt zurückzuführen. "Die zugrunde liegende Wachstumsdynamik bleibt im Wesentlichen erhalten", heißt es in dem Gutachten.

Mit ihren Schätzungen liegen die Experten nicht weit von den Prognosen der Bundesregierung entfernt. Diese erwartet für 2016 ein Wachstum von 1,8 Prozent und für 2017 von 1,4 Prozent. Zuletzt hatten auch die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute im Herbstgutachten ihre Prognose für 2016 auf 1,9 Prozent erhöht und für 2017 auf 1,4 Prozent gesenkt.

Die Berater treffen die Kanzlerin

Den "Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" leitet der Essener Forscher Christoph Schmidt. Dem Gremium gehören zudem Peter Bofinger, Lars Feld, Volker Wieland und Isabel Schnabel an. Ihr 536 Seiten langes Gutachten mit dem Titel "Zeit für Reformen" wird Bundekanzlerin Angela Merkel am Mittwoch in Berlin überreicht.

dk/uh (rtr/dpa)