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Wirschaftstheorien im Umbruch

6. Dezember 2011

Erst taumelten die Banken, jetzt ganze Staaten. Seit Jahren herrscht in der Finanzwelt Krisenstimmung – mit immensen Auswirkungen auf die Wirtschaftswissenschaften. Der Homo Oeconomicus lebt trotzdem weiter.

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Ein Mann steht nachdenklich vor dem Aktienindex an einer Tafel (Foto: Fotolia / Dan Race)
Bild: Fotolia/Dan Race

Als Claudio Wewel vor einigen Jahren begann, BWL zu studieren, sind ihm Begriffe wie "Finanzmarktregulierung", "systemische Risiken" oder "wirtschaftliche Ethik" nur selten zu Ohren gekommen. Heute diskutiert er, der mittlerweile Doktorand ist, mit seinen Studenten selbst darüber, wie der Staat mit seinen Gesetzen den Markt regulieren sollte, darüber, dass es Risiken gibt, die dazu führen können, dass das gesamte Finanzsystem kollabiert und darüber, dass es menschliche Werte wie Solidarität und Nachhaltigkeit gibt, an denen sich Wirtschaftsmanager orientieren können. Durch die Finanzkrise haben diese Themen, die früher kaum Beachtung fanden, an Bedeutung gewonnen und werden nun intensiv erforscht. Die Wirtschaftswissenschaften hatten bislang einen Modellrahmen, also eine Grundphilosophie, die davon ausging, dass man die Finanzmärkte einfach in Ruhe lassen sollte. "Durch die Krise ist aber klar geworden, dass unser Modellrahmen an seine Grenze stößt", erklärt der Professor für Volkswirtschaftslehre, Achim Wambach, von der Universität zu Köln.

Der Mensch im Fokus

Das Hauptgebäude der Universität in Köln (Foto: dpa)
Das Hauptgebäude der Universität zu KölnBild: picture-alliance /dpa

Aber es wird nicht nur über Regulierung oder systemische Risiken diskutiert, auch der Mensch mit seinen Stärken und Schwächen rückt in den wirtschaftswissenschaftlichen Theorien und Modellen immer mehr in den Vordergrund. Das erkennt man z.B. daran, dass die Verhaltensökonomie, die analysiert, wie sich Menschen in wirtschaftlichen Situationen verhalten, momentan stark im wissenschaftlichen Trend liegt. Der zentrale Begriff dabei sei "Vertrauen", so Prof. Wambach. "Ich muss Marktstrukturen schaffen, in denen sich die Parteien gegenseitig vertrauen können." Die Krise sei auch eine Vertrauenskrise. Deshalb sei es eine der Hauptaufgaben der Wirtschaftswissenschaften daran zu forschen, wie Institutionen gestaltet sein müssen, damit auf dem Markt wieder Vertrauen herrsche.

Neue Aspekte in der BWL

Prof. Thomas Hartmann-Wendels (Foto: Thomas Hartmann-Wendels)
Thomas Hartmann-WendelsBild: Thomas Hartmann-Wendels

Auch in der Betriebswirtschaftslehre hat das Vertrauen in die Stärke der freien Märkte Kratzer bekommen, erklärt der Kölner BWL-Professor Thomas Hartmann-Wendels: "Wir haben doch sehr stark an die Leistungsfähigkeit der Märkte geglaubt."

Die systemischen Risiken hätten dagegen zu wenig Beachtung gefunden. "Es gibt eine ganze Reihe neuer Aspekte, die wir aus der Krise gelernt haben und die jetzt in wissenschaftlichen Modellen umgesetzt werden", so Hartmann-Wendels.

Wie misst man Systemrelevanz?

Ein konkretes Beispiel dafür, wie so ein wissenschaftliches Modell der Politik helfen kann, ist die Bankenabgabe. Die Idee hierbei: Je wichtiger eine Bank für das gesamte System ist, also je größer die Systemrelevanz, desto mehr Geld soll sie zurücklegen, um im Krisenfall nicht unterzugehen. Aber wie misst man, wie relevant eine Bank für das System ist? Hier kann die Wissenschaft wichtige Erkenntnisse liefern: "Da ist es wichtig, dass wir sagen können: von diesen oder jenen Faktoren hängt die Systemrelevanz ab und von diesen sollte die auch die Bankenabgabe abhängig sein", erklärt der Professor für Betriebswirtschaft.

Claudio Wewel, BWL-Doktorand aus Köln (Foto: Claudio Wewel)
Claudio WewelBild: Claudio Wewel

Der Politik konkrete Empfehlungen geben und die wissenschaftlichen Modelle praxistauglicher machen – darin sieht der 26-jährige BWL-Doktorand Claudio Wewel die zukünftigen Herausforderungen seiner Wissenschaft. Die Wirtschaftswissenschaften bewegten sich auf einer zu theoretischen Ebene. "Es wäre sinnvoll, wenn man sich wieder in Richtung Anwendung orientiert und Modelle hat, die einem Politiker auch Prognosen zur Verfügung stellen, die er wirklich nutzen kann."

Der Homo Oeconomicus lebt

Doch trotz aller Veränderungen in den Theorien und Modellen der Wirtschaftswissenschaften, sei die Grundidee des Homo Oeconomicus, also von dem Menschen, der immer rational handelt, um seinen Nutzen zu maximieren, durch die Krise nicht in Frage gestellt worden, meint der VWL-Professor Achim Wambach. Im Gegenteil, habe die Krise gezeigt, dass alle sich sehr rational verhalten hätten: Die Politiker, indem sie die Banken retteten, die Banken, indem sie gegen die Staaten spekulierten und die Staaten, indem sie sich immer mehr verschuldeten. Ein Paradigmenwechsel würde deshalb in den Wirtschaftswissenschaften nicht stattfinden. "Man kann nicht sagen, dass die klassische Ökonomie mit dem Homo Oeconomicus wegen dieser Krise gescheitert ist."


Autor: Nikolaus Steiner
Redaktion: Gaby Reucher