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"Wirtschaftsspionage ist das größte Problem"

10. Juni 2011

Wie schützt man sich gegen Cyber-Attacken im Internetzeitalter? DW-Reporter Matthias von Hein sprach mit Thoomas Hendrik Ilves, Präsident der Estnischen Republik, über virtuelle Kriege.

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Estlands Präsident Ilves sorgt sich ums InternetBild: Sergej Morozow

Deutsche Welle: Herr Präsident, Sie haben die dritte Konferenz der Militärallianz NATO zum Thema "Cyber-Krieg" eröffnet. Was hat sich in den letzten Jahren Ihrer Meinung nach bei der Sicherheit im Netz in den vergangenen drei Jahren geändert?

Toomas Hendrik Ilves: Es hat sich eine Menge verändert. Viele Regierungen und Politiker haben verstanden, dass es hier nicht um etwas Abwegiges oder Unwichtiges geht, sondern um die wirklichen Gefahren für Sicherheit in der Zukunft. Nehmen Sie zum Beispiel die Sicherheitskonferenz in München. Da wurde in diesem Jahr zum ersten Mal über das Thema Cyber-Sicherheit gesprochen, und zwar von Bundeskanzlerin Merkel, dem britischen Premierminister und seinem Außenminister. Das Thema war der Kern der gesamten Rede. Das Bewusstsein hat sich komplett gewandelt.

Das Internet bietet viele Möglichkeiten für asymmetrische Angriffe. Wie können sich hoch industrialisierte Staaten schützen, die auf offene Informationstechnologien angewiesen sind?

Darüber müssen wir uns ernsthaft Gedanken machen. Wirklich in Gefahr ist wohl unsere Wirtschaft. Wir haben uns bisher auf militärische Bedrohung konzentriert. Die bösen Jungs sind wahrscheinlich nicht so sehr auf das Militärische aus. Das ist auch sexy, sicher, aber es geht wohl eher um die Geheimnisse großer Wirtschaftsunternehmen wie Google oder Siemens. Damit kann man Geld verdienen, nicht mit simplen Attacken auf die Server des Verteidigungsministeriums. In größerer Gefahr als militärische Ziele schweben die Grundlagen unserer modernen Wirtschaft wie Kreativität und geistiges Eigentum. Innovation ist für die westlichen Staaten der Schlüssel zum Erfolg. Das hat man auch in Russland erkannt. Dort soll Innovation von oben verordnet werden. Viel einfacher als selbst innovativ zu arbeiten, ist es allerdings, die Erkenntnisse anderer zu stehlen.

Ja, aber das ist doch Werksspionage, wie wir sie schon seit langer Zeit kennen?

Ja, das stimmt. Mit Werksspionage wird ungeheurer Schaden angerichtet, wenn man bedenkt, wie viel Geld die Firmen in Forschung und Entwicklung stecken. Die NATO-Staaten haben das Ziel, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für die militärische Verteidigung auszugeben. Die europäischen Staaten wollen aber drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung aufwenden. Das ist also wichtiger als das Militärische und wird angegriffen.

Angegriffen wurden zum Beispiel im Iran die Kontroll- und Steuermechanismen des Atomprogramms (Stuxnet). Ich bin wirklich überrascht, dass es bislang keine richtigen Terrorangriffe via Internet gegeben hat. Glauben Sie, dass die bald kommen werden?

Na ja, eigentlich haben wir solchen Cyber-Terrorismus schon erlebt. Die Frage ist nur, wie man ihn genau definiert. Terrorismus ist es so lange kein Staat verwickelt ist. Werden die Angriffe im Netz von einem Staat geführt, dann ist das Krieg. Das US-Verteidigungsministerium hat erst kürzlich bekannt gegeben, dass es künftig auf Attacken aus dem Internet auch militärisch antworten wird, dies also als Krieg ansehen wird. Das heißt also auf eine Computer-Attacke wird nicht unbedingt mit einer Gegenattacke durchs Internet geantwortet. Da könnte auch was anderes kommen.

Toomas Hendrik Ilves ist seit 2006 Staatspräsident Estlands. Estland trat 2004 der EU und der NATO bei. Die kleine baltische Republik richtet zum dritten Mal eine NATO-Konferenz zur Sicherheit im Internet aus. In Estland nutzen fast 100 Prozent der Bewohner das Internet. Der Zugang ist über ein flächendeckendes W-Lan im ganzen Land kostenlos.

Interview: Matthias von Hein
Redaktion: Bernd Riegert