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Wird "klimaneutral" zur leeren Floskel?

27. Oktober 2021

Auch die Wirtschaft hat den Kampf gegen den Klimawandel aufgenommen. Kaum ein Konzern, der nicht mit ambitionierten Zielen wirbt - einige behaupten sogar, bereits "klimaneutral" zu arbeiten. Das ist nicht ohne Gefahren.

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Hohenhameln, Deutschland | Kohlekraftwerk Mehrum und Windräder
Bild: Julian Stratenschulte/dpa/picture alliance

"Wir handeln klimaneutral", tönt der Supermarktbetreiber Aldi Süd selbstbewusst. Der Energieversorger RWE verspricht, "bis 2040 klimaneutral" zu werden. Und der Baustoffkonzern HeidelbergCement will "bis spätestens 2050" CO2-neutralen Beton anbieten.

"Unternehmen merken, dass sich weltweit etwas verändert - und sie möchten den Wandel aktiv mitgestalten", sagt Sabine Nallinger, Vorstand der "Stiftung2Grad", die sich für das Erreichen der Pariser Klimaziele einsetzt und der inzwischen mehr als 30 Unternehmen angehören. "Auch Firmenlenker diskutieren beim Abendbrot mit ihren Kindern, wie fit für die Zukunft eigentlich das Unternehmen ist, für das Papa oder Mama verantwortlich zeichnet", so Nallinger.

Weltweit haben sich bisher rund 500 große Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als einer Milliarde US-Dollar eigene Klimaziele gesetzt, und "beinahe wöchentlich kommen neue Unternehmen hinzu", heißt es in einer Untersuchung des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie, einer führenden Denkfabrik.

Mangel an Transparenz und Vergleichbarkeit

Das sei einerseits "eine erfreuliche Entwicklung", zeige es doch, dass sich Unternehmen ihrer Verantwortung für den Klimawandel bewusst werden.

Infografik Deutschlands Treibhausgas Emissionen DE

Doch eine Analyse dieser Selbstverpflichtungen fällt ernüchternd aus. Die Forscher beklagen einen "Mangel an Transparenz und Vergleichbarkeit der Neutralitätsziele". Was Begriffe wie "klimaneutral" genau bezeichnen, sei oft ebenso unklar wie die Frage, wie die Daten erhoben werden und wer sie kontrolliert.

Nicolas Kreibich, einer der Autoren der Studie, gibt im DW-Gespräch ein Beispiel. "Ein Unternehmen könnte sich bei der Erfassung seiner Emissionen nur auf einen ganz kleinen Bereich konzentrieren, in diesem Bereich nur minimale Maßnahmen umsetzen, die restlichen Emissionen durch den Zukauf von Zertifikaten einfach ausgleichen und dann sagen: Wir sind klimaneutral."

Klimaschutz oder Greenwashing?

Das aber sei "klares Greenwashing", so Kreibich, denn diese Firma versuche gar nicht erst, ihre Aktivitäten klimaneutral zu machen. Gerade der Kauf von Klimazertifikaten, mit denen eigene Emissionen z.B. durch das Pflanzen von Bäumen kompensiert werden, sei problematisch. Denn dieses sogenannte Offsetting sei ein Grund, warum "ambitionierte Klimaschutzanstrengungen nur noch schwer von Greenwashing-Aktivitäten unterschieden werden können", wie es in der Studie heißt. "Im schlimmsten Fall sind die Zertifikate dann noch von minderer Qualität", fügt Kreibich hinzu.

Der völlige Gegensatz wäre "ein Unternehmen, das ebenfalls klimaneutral sein will, dazu aber sämtliche Emissionen über seine gesamte Wertschöpfungskette erfasst." Fachleute unterscheiden hier zwischen den direkten Emissionen vor Ort (Scope 1), den indirekten Emissionen, etwa aus zugekauftem Strom (Scope 2) und schließlich den Emissionen vor- und nachgelagerter Wertschöpfungsketten (Scope 3).

In Kreibichs Beispiel würde das vorbildliche Unternehmen dann seine Produktionsprozesse verbessern, um die Emissionen so weit wie möglich zu reduzieren. "Nur für den Ausgleich der letzten, nicht vermeidbaren Emissionen nutzt das Unternehmen dann Klimaschutz-Zertifkate", so der Forscher.

Leere Floskel?

Wenn sich beide Firmen als klimaneutral präsentieren, ist der Unterscheid für Nicht-Fachleute kaum zu erkennen. "So besteht die Gefahr, dass Klimaneutralität zu einem nichtssagenden Ausdruck verkommt", sagt Kreibich, will aber keine Firmennamen nennen.

Nötig sei ein einheitlicher Standard für Klimaneutralität, vielleicht sogar ein Label, mit dem Produkte als "klimaneutral" oder "kompatibel mit dem Paris-Abkommen" beworben werden können.

Die Frage ist nur, wer solch einen Standard festlegen sollte. Eine Möglichkeit wäre der Staat, allerdings geht es hier um freiwillige Selbstverpflichtungen von Unternehmen, nicht um gesetzliche Vorgaben wie die Pflicht zur Teilnahme am Emissionshandel oder Auflagen wie der durchschnittliche Flottenverbrauch von Autoherstellern. Auch wäre ein solcher Standard wohl nur sinnvoll, wenn er international verwendet würde.

Infografik Emissionenen nach Verursacher DE

Druck durch Investoren und Gerichte

Etwas Druck könnte ausgerechnet aus der Finanzbranche kommen. Larry Fink, Chef des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock, sprach sich in seinem jüngsten Brief an die Firmen, an denen Blackrock beteiligt ist, für "einen einzigen globalen Standard" aus. Der solle es Investoren erleichtern, die Pläne der Unternehmen zu beurteilen, wie sie zum Erreichen des Pariser Zwei-Grad-Ziels beitragen wollen. "Die Welt bewegt sich in Richtung Klimaneutralität", schrieb Fink, "und Blackrock ist der Überzeugung, dass es unseren Kunden zugute kommt, wenn sie bei diesem Wandel ganz vorne dabei sind."

Auch Gerichte können dazu beitragen, Standards zu setzen. Das ist zumindest der Ansatz der Wettbewerbszentrale. Der gemeinnützige Verein zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs hat schon mehrere Firmen wegen ihrer Werbung mit dem Begriff "klimaneutral" verklagt, darunter auch den Disounter Aldi Süd. Ein Urteil steht noch aus.

So weit wollte es der schwedische Outdoor-Ausrüster Haglöfs gar nicht erst kommen lassen und gestand: "Wir sind jetzt klimaneutral - doch wir mussten tricksen, um das zu erreichen." Klimaneutral bedeute eben nicht, dass keine CO2-Emissionen mehr anfallen, sondern nur, dass die Firma diese durch Klimazertifikate kompensiere, teilte Haglöfs bei der Veröffentlichung seines Nachhaltigkeitsberichts im Frühjahr mit.

Andreas Becker
Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.