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"Wir müssen das Dilemma der Hamas verschärfen"

Das Gespräch führte Michael Knigge7. März 2006

Gespräch mit Martin Indyk, Direktor des Saban Center for Middle East Policy und Ex-US-Botschafter in Israel, über die Rolle des Westens nach dem Wahlsieg der Hamas

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Martin IndykBild: AP

DW-WORLD.DE: Wie sollte die internationale Gemeinschaft mit der Hamas umgehen?

Martin Indyk: Das ist eine extrem komplizierte Frage, und es gibt keine guten Antworten und keine guten Optionen. Ich denke, für die internationale Gemeinschaft, besonders für die Vereinigten Staaten, Deutschland und den Rest Europas, sollte das vorrangige Prinzip sein, nichts zu tun, was das Dilemma, vor dem die Hamas selbst steht, reduziert, sondern alles zu tun, was möglich ist, um es zu verschärfen. Dieses Dilemma besteht darin, dass die Hamas einerseits Israel durch ein Palästina ersetzen will, das vom Jordan bis zum Meer reicht, und dass sie sich zumindest das Recht vorbehalten will, dieses Ziel durch Terrorismus zu erreichen; andererseits will sie eine Vormachtstellung in der palästinensischen Gesellschaft übernehmen, die Bedürfnisse des palästinensischen Volkes befriedigen, und für Recht und Gesetz stehen. Diese Ziele lassen sich nicht zusammen erreichen, es sei denn, wir erlauben dies. Deshalb glaube ich, dass es sehr wichtig ist, eine klare Aussage gegenüber der Hamas und dem palästinensischen Volk zu treffen: Falls sie sich weiterhin dafür einsetzen, Israel zu zerstören, anstatt Frieden zu schließen, werden sie isoliert werden und keinerlei Unterstützung erhalten. Und dafür wird das palästinensische Volk den Preis bezahlen müssen.

Wenn sie aber Hilfe von der internationalen Gemeinschaft erhalten und Teil dieser sein wollen, dann müssen sie dem Terrorismus abschwören und sich an bestehende Vereinbarungen halten. Eine dieser Vereinbarungen war die Quelle ihrer Autorität: Die Autonomiebehörde wurde durch ein Abkommen zwischen Israel und der PLO überhaupt erst erschaffen. Fünfzig Prozent ihres Budgets kommen über Israel.

Wie sehen Sie die Rolle Abbas' in der Zukunft? Er ist in einer schwierigen Lage, oder?

Ja. Er wird versuchen, sich mit der Hamas auf Zusammenarbeit zu einigen, so wie die Franzosen in der Vergangenheit "cohabitation-agreements" ausgehandelt haben. Und die Hamas wird ihn brauchen, um die moderate Seite ihrer Regierung zu repräsentieren. Er ist direkt gewählt durch das Volk, ist also selbst legitimiert. Ich glaube daher, dass man einen modus vivendi finden wird. Wann immer Abbas allerdings versuchen wird, im Friedensprozess mit Israel voranzukommen, wird die Hamas ihm über die Schulter gucken und ihn kontrollieren.

Irgendwann werden wir in eine Krise kommen, in der Mahmud Abbas sagt: "Ich kann nicht mehr, ich trete zurück. Dreht Euer Ding doch alleine." Dieser Punkt wird eher früher als später eintreten. Und dann muss sich die Hamas wieder überlegen, was sie will. Ich habe nicht viel Hoffnung, dass wir dann eine moderatere Hamas erleben werden. Ich glaube, sie wird versuchen, mit ihrer Welt der Verschwommenheiten und der Zweideutigkeiten, wo Aussagen nicht viel zählen, durchzukommen, und damit alle zum Narren zu halten. Ich glaube allerdings auch nicht, dass das funktioniert, weil wir diese Masche schon kennen. Jassir Arafat hat auch doppelzüngig gesprochen, hat einerseits uns alles Mögliche versprochen und mit Israel Abkommen geschlossen, und andererseits Terroristen unterstützt.

Jeder wird auf die Hamas schauen und sagen: "Das ist die Wiederholung eines Spiels, eines sehr schlechten Spiels." Die Welt wird sehr skeptisch sein.

Welche Rolle werden die Europäer einnehmen? Speziell die Deutschen haben ja - insbesondere durch Fischer - versucht, im Friedensprozess im Nahen Osten eine wichtige Rolle zu spielen.

Und diese Rolle war sehr wichtig, denn Fischer hat, im Gegensatz zu den meisten anderen Außenministern zu der Zeit, sehr genau verstanden, dass Europa eine Beziehung, eine Freundschaft und Vertrauen zu Israel aufbauen muss, um überhaupt eine sinnvolle Rolle im Friedensprozess spielen zu können. Dies ist die einzige Möglichkeit, Israel zu beeinflussen. Die Franzosen haben Israel lange Zeit nur verdammt, isoliert und bestraft. Frankreich ändert seine Haltung jetzt. Wenn man aber nur diese alte französische Linie fährt, dann fühlt sich Israel vor den Kopf gestoßen und wird nicht positiv reagieren. Joschka Fischer hat eine echte Beziehung, Freundschaft und Vertrauen zu Israel aufgebaut. Es war zwar nicht genug, denn die Bush-Administration war nicht bereit ihn zu unterstützen, weil sie einen Friedensprozess nicht wirklich wollte; aber es war der richtige Ansatz. Und dieser Ansatz wird von beiden Seiten hoch geschätzt. Ich glaube, dass Fischer durch diesen Prozess viel für die deutsche Glaubwürdigkeit getan hat, auf die Angela Merkel und ihr Außenminister jetzt aufbauen können; sie haben jetzt sowohl eine Beziehung zu Israel, als auch Möglichkeiten, mit den Palästinensern zu sprechen. Wenn sie mit den Palästinensern verhandeln, dann sollten sie sich jedoch an Mahmud Abbas wenden, den demokratisch gewählten Präsidenten. Sie sollten nicht mit der Hamas sprechen, denn das würde das Dilemma der Hamas reduzieren. Und das entspricht nicht den westlichen Interessen.