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"Wir haben vieles richtig gemacht"

23. Januar 2011

Die deutsche Wirtschaft boomt - um stolze 3,6 Prozent ist sie im vergangenen Jahr gewachsen. Wie geht es weiter aufwärts? Fragen an Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle.

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Rainer Brüderle (Foto: DW)
Rainer Brüderle

DW-WORLD.DE: Herr Brüderle, 20 Jahre nach der deutschen Einheit, in den Ausläufern der wahrscheinlich größten Finanzkrise seit 1929, erlebt Deutschland ein Wirtschaftswunder?

Rainer Brüderle: Wir haben vieles richtig gemacht. Wir haben sehr fleißige Leute, sehr engagierte Menschen. Wir haben einen gewaltigen Restrukturierungsprozess der deutschen Volkswirtschaft hinter uns, hatten im richtigen Moment die richtige Produktpalette. Deutschland ist der Ausrüster der Welt. Investitionsgüter, Fahrzeuge, Maschinen - alles, was gebraucht wurde. Aber unsere Firmen haben sich auch sehr angestrengt draußen im Absatz, sie haben sich bemüht - und um die Aufträge gekämpft. Wir haben auch intern in den Betrieben vernünftige Verhältnisse. Die Betriebsräte haben mitgemacht, die Gewerkschaften waren sehr moderat und auch die Regierungspolitik hat gewirkt.

2010 war ein unglaublich gutes Jahr, dieses Jahr sieht gut aus, nächstes Jahr sieht auch anständig aus: Ist der Aufschwung nachhaltig?

Ja, er ist nachhaltig, weil wir es wieder geschafft haben, auf eine stabile Wachstumsfahrt zu kommen. Im Gegenteil - wir müssen uns anstrengen, dass wir Ressourcen aktivieren können! Wir kommen relativ schnell in einen Fachkräftemangel. Und wir haben ja leider eine schlechte Demographie: Wir haben je Frau 1,2 Kinder, wir bräuchten 2,2 Kinder - statistisch gesehen. Das zeigt, dass wir eine Tendenz haben, dass die Bevölkerung schrumpft. Und deshalb müssen wir mobilisieren, was wir im Lande haben. Wir haben 20 Prozent junge Menschen - oft mit Migrationshintergrund - die keine Ausbildungsfähigkeit haben. Das muss man verbessern, ebenso wie deren mangelhafte Deutschkenntnisse. Zudem müssen wir Frauen auch für gewerblich-technische Berufe stärker interessieren.

Und es gibt einen Paradigmenwechsel: Früher dachten viele Personalchefs, "so ab 55", wenn abgebaut wird, "die als erster raus". Jetzt werden wir ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bitten müssen, freiwillig länger mit dabei zu sein, weil wir sie dringend brauchen. Aber alles dies wird nicht genügen. Schon heute fehlen in Deutschland 36.000 Ingenieure, 65.000 IT-Fachleute. Deshalb wird Deutschland ein Stück 'Zuwanderung-Qualität' brauchen.

Ist denn Deutschland aus Ihrer Sicht attraktiv für Zuwanderer und Facharbeiter, für Ingenieure, für IT-Spezialisten, für Ärzte?

Ich meine ja, aber wir müssen natürlich die Menschen davon überzeugen! Deshalb ja, weil Deutschland ein Land ist, das doch insgesamt recht gut funktioniert und in dem stabile Verhältnisse herrschen. Es wird auch in Deutschland zunehmend gut verdient. Wir müssen auch ausländische Bildungsabschlüsse schneller und unkomplizierter anerkennen. Also, in Zukunft wünsche ich mir, dass der Taxifahrer mit Diplomingenieur-Ausbildung der Vergangenheit angehört, der sollte als Ingenieur arbeiten.

Die wirtschaftliche Lage ist gut, aber es lauern Gefahren an vielen Orten, zum Beispiel der Euro-Rettungsschirm. Fürchten Sie, dass wir nicht nur bürgen, sondern auch wirklich haften müssen für Griechenland, Irland, vielleicht auch Portugal?

Wir sind in einer Phase, in der der Stabilitäts- und Wachstumspakt gestärkt werden muss. Dieser wurde damals beschlossen bei der Einführung des Euro, um die Stabilität der Währung auch dadurch abzusichern. Wir hatten ja den Menschen in Deutschland versprochen, dass der neue Euro genauso stabil sein wird, wie die D-Mark war. Und ein stabiles Geld ist auch sozial wichtig. Die größte sozialpolitische Ungerechtigkeit ist Inflation, weil die Kleinen - die mit dem Sparbuch, mit geringen Einkommen und Vermögen - dann die Haupt-Betroffenen sind. Deshalb brauchen wir stabiles Geld. Die tiefe Ursache der Krise etwa in Griechenland ist eine mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Volkswirtschaft. Also müssen sie wettbewerbsfähiger werden.

Es ist wahrscheinlich politisch unumstritten, dass Europa solidarisch sein muss in diesen schwierigen Zeiten. Ist das denn den Deutschen, die sich dann gerne als Zahlmeister fühlen, zu vermitteln?

Inzwischen haben es wohl alle, nicht nur Deutschland, verstanden. Es kann keinen Weg zurück geben, der Euro muss gehalten werden. Die europäische Entwicklung muss gestärkt werden, aber wir müssen es richtig machen. Damit wir mit den neuen Wirtschaftsräumen der Welt mithalten können, unseren Wohlstand halten können und den Weg zur Vollbeschäftigung - der in Deutschland jetzt wieder möglich ist - auch begehen. Das bedarf schon einiger schwieriger Diskussionen und Entscheidungen. Aber man darf bei den Substanzthemen nicht des lieben Friedens willen die falsche Weichenstellung vornehmen.

Das Interview führte Alexander Kudascheff
Redaktion: Christian Walz