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Interview mit dem DW-WM-Experten Olaf Thon

25. Mai 2010

Deutschland hat eine Turniermannschaft und erreicht bei der WM in Südafrika mit einer guten Mischung aus jung und alt mindestens das Viertelfinale. Das meint Olaf Thon, WM-Experte der Deutschen Welle im Interview.

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DW-WM-Experte Olaf Thon
Bild: Olaf Thon

Olaf Thon hat in der Bundesliga bis 2002 für Schalke 04 und Bayern München gespielt. In 443 Einsätzen kam er auf 82 Tore. Beim WM-Triumph von 1990 ebnete der Nationalspieler als letzter Schütze mit seinem Treffer zum 5:4 nach Elfmeterschießen gegen England den Weg ins Endspiel. Nach seiner aktiven Laufbahn arbeitete der gebürtige Gelsenkirchener für Schalke im Marketingbereich. Im April 2010 übernahm der 44-Jährige das Traineramt beim fünftklassigen Oberligisten VfB Hüls aus Nordrhein-Westfalen.

DW-World.de: Olaf Thon, die wichtigste Frage gleich am Anfang: Wie weit kommt die deutsche Nationalmannschaft bei der WM in Südafrika?

Olaf Thon: Vor dem Hintergrund, dass Bundestrainer Jogi Löw seinen Vertrag mit dem DFB noch nicht verlängert hat, ist großer Druck zu erwarten. Das setzt aber auch hoffentlich Kräfte für das Trainerteam und die Spieler frei. Und bekanntlich ist das deutsche Nationalteam immer eine Turniermannschaft. Daher gehe ich davon aus, dass sie mindestens ins Viertelfinale kommt. Danach braucht man sehr viel Glück wie bei der WM 1990. Erst über das Elfmeterschießen sind wir in Italien ins Finale gekommen. So etwas hängt immer am seidenen Faden.

"Neuer ist der Beste von allen"

Sie haben es angesprochen. Deutschland hat eine Turniermannschaft. Das ist ihre große Stärke. Gibt es denn auch eine große Schwäche?

Nationaltorhüter Manuel Neuer hält einen Ball (Foto: dpa)
Für Olaf Thon die Nummer 1: Der Schalker Manuel NeuerBild: picture alliance / Pressefoto Ulmer

Ja, die gibt es diesmal wirklich. Denn wir haben zwar kein Torhüterproblem von der Klasse her, aber wir haben keine klare Nummer eins. Ich hoffe nur, dass es Manuel Neuer wird, weil viele Fachleute und auch ich der festen Überzeugung sind, dass Neuer einfach der Beste von allen ist. Rene Adler hat natürlich sehr viel Pech gehabt, und wir sind alle traurig, dass er wegen seiner Verletzung nicht zur WM fahren kann. Das hätte den Konkurrenzkampf noch mehr angeheizt, und es wäre vielleicht dann noch mehr Leistung herausgekommen. Aber so würde ich mich freuen, wenn Manuel Neuer im Tor steht.

Tim Wiese, Jörg Butt und Manuel Neuer sind also die drei Kandidaten für das Tor. Butt von Bayern München hat die größte Routine. Ist er nicht doch der Richtige für Löw?

Sicherlich hat Butt eine traumhafte Saison. Aber ich glaube nicht, dass er die Nummer eins sein wird. Da sind ihm Neuer und Wiese einen Tick von der Klasse her voraus. Butt wird sich hoffentlich einreihen und für den Erfolg stillhalten. Keiner kennt genau die Gedankengänge von Jogi Löw. Ich hoffe nur, dass er die richtigen Entscheidungen trifft. Da ein Trainer aber immer die beste Mannschaft aufstellt, die zueinander passt und den größtmöglichen Erfolg garantiert, tippe ich ganz klar auf Neuer.

Wir haben also Torhüter mit nur geringen Länderspiel-Erfahrungen. Blicken wir auf die Abwehr mit Per Mertesacker, Philipp Lahm und Arne Friedrich. Das sind Routiniers. Daneben gibt es auch viele junge und unerfahrene Spieler?

Ja, das stimmt. Aber wir haben wirklich eine gute Mischung im Kader mit Holger Badstuber, Jerome Boateng und Arne Friedrich. Zudem können Serdar Tasci und Heiko Westermann mit ihren großen Fähigkeiten gut in der Innenverteidigung spielen. Auch wenn sie in der Nationalmannschaft wenig Erfahrung haben, so haben sie doch in ihren Vereinen große Erfahrung sammeln können. Da ist mir nicht bange.

Ballacks Ausfall

Ein ähnliches Problem haben wir auch im Mittelfeld. Und da fällt ausgerechnet der Erfahrenste, Kapitän Michael Ballack, verletzt aus!

Wir sind durch den Ausfall von Michael Ballack nicht besser geworden, sondern eher schlechter. Als er noch gesund war, habe ich mir ausgemalt, er könnte mit Bastian Schweinsteiger im defensiven Mittelfeld spielen, um dann ab und zu nach vorne zu gehen und mit seiner Kopfballstärke, mit seinem guten Schuss aus der zweiten Reihe erfolgreich zu sein. Das ist jetzt alles hinfällig.

Flankiert von Team-Manager Oliver Bierhoff (l) und Trainer Joachim Loew (r) praesentieren von links, Michael Ballack, Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und Per Mertesacker das deutsche WM- Trikot (Foto: AP)
Können die Routiniers Lahm, Schweinsteiger und Mertesacker den Ausfall Ballacks kompensieren?Bild: AP

Aber dennoch: Die Mischung macht es. Man kann nicht nur Leistungsköpfe haben. Man braucht auch Indianer, und die sehe ich gerade in Mesut Özil, Marko Marin und Toni Kroos. Und dann haben wir auch noch Pjotr Trochowski.

Ein Problem gibt es vielleicht im Sturm: Mario Gomez, Miroslav Klose und Lukas Podolski haben in ihren Vereinen wenig gespielt oder sind auch fast außer Form. Daneben haben wir noch Stefan Kießling, Cacau und Thomas Müller. Die glänzten zuletzt. Wen würden Sie in der Anfangsformation einsetzen?

Bei aller Kritik, was diese Spieler betrifft, ob Podolski, Klose oder Gomez: Gerade die Münchner Spieler hatten einen großen Konkurrenzkampf. Und wenn sie dann zum Einsatz kamen, haben sie ihre Tore gemacht, vor allen Klose, der ja bei der WM immer der Goalgetter war und auch Torjäger der letzten WM. Von daher glaube ich, dass man sich auf diese Spieler verlassen kann. Dann hat man noch diese jungen Spieler wie Kießling und Müller, die mit ihrer Klasse im richtigen Moment zur Stelle sein werden. Und gerade bei Podolski wünsche ich mir natürlich, dass international wieder der Knoten platzt, denn bei ihm steckt wesentlich mehr drin, als er in der letzten Saison beim 1. FC Köln zeigen konnte.

"Löw hat mit Bayern-Block richtig entschieden"

Der Bundestrainer setzt auf einen Bayernblock mit sieben Spielern des Meisters und Pokalsiegers. Ist das die richtige Entscheidung?

Ja, denn die Quote lautet: sieben Bayern und vier Bremer. Nur mit solchen eingespielten Blöcken ist man in der Vergangenheit auch Weltmeister oder Europameister geworden. Das zeigte sich nicht nur bei der deutschen Mannschaft. Daher bin ich der Überzeugung, dass Jogi Löw richtig entschieden hat. Es hätten natürlich noch ein paar Schalker dabei sein können. Das sehe ich ein wenig aus der blau-weißen Brille. Kevin Kuranyi hätte ich gerne im Kader gesehen, aber man muss dann auch die Einstellung von Löw respektieren.

Bundestrainer Joachim Löw (Foto: dpa)
Bundestrainer Joachim LöwBild: picture alliance / dpa

Joachim Löw hat seinen Vertrag noch nicht verlängert. Glauben sie, er wird nach der WM noch Bundestrainer sein, egal wie die WM verläuft.

Egal nicht, denn ein Bundestrainer von Deutschland muss schon ins Viertelfinale kommen. So glaube ich schon, dass er vom Erfolg abhängig ist, um verlängern zu können. Ich traue es ihm aber zu. Ich bin da sehr zuversichtlich, dass wir mindestens ins Viertelfinale kommen.

Und dazu müssten Australien, Serbien und auch Ghana bezwungen werden. Wie schätzen sie diese drei deutschen Gruppengegner ein?

Das sind zum Aufgalopp genau die richtigen Gegner. Man sieht das immer wieder bei Weltmeisterschaften, dass die Vorrunde nicht so stark besetzt ist. Von daher gehe ich ganz klar davon aus, dass wir als Gruppensieger ins Achtelfinale einziehen. Alles andere wäre eine negative Überraschung.

Topfavorit Spanien - Außenseitertipp Holland

Blicken wir an die Spitze, auf die WM-Favoriten. Man redet immer von Spanien, Italien und Brasilien. Sind das auch die Top-Teams?

Absolut, auch in dieser Reihenfolge. Spanien, Italien, Brasilien, das sind meine Top-Favoriten, leicht gefolgt von England und Deutschland - je nachdem wann wir aufeinandertreffen. Holland ist mein Außenseiter-Tipp. Ich habe immer noch Arjen Robben im Kopf. Wenn der losgelassen wird und gesund bleibt, ist das eine große Waffe, die sonst nur ganz wenige Mannschaften haben. Die Holländer darf man unter keinen Umständen außer Acht lassen.

Das spanische Team feiert den Gewinn der Europameisterschaft 2008 (Foto: AP)
Wird Europameister Spanien auch Weltmeister?Bild: AP

Und wie schätzen sie die afrikanischen Teams ein bei dieser ersten WM in Afrika?

Ein unbeschriebenes Blatt. Hoffentlich gibt es eine Überraschung, denn es wird Zeit, dass eine afrikanische Mannschaft irgendwann mal Weltmeister wird. Ich drücke die Daumen.

Was für eine WM erwarten sie? Gibt es etwas Neues, technisch und taktisch gesehen?

Die Gegebenheiten sind sehr günstig, wenn ich im Gegensatz an meine Weltmeisterschaften denke, vor allen Dingen in Mexiko, wo die Temperaturen und die Luftfeuchtigkeit sehr kritisch waren. Damit hat man in Südafrika überhaupt nicht zu kämpfen, eher mit Kälte. Dass aber ist für den Fußball gut. Und von daher denke ich, gibt es da keine Probleme. Von der Taktik und Technik her erwarte ich keine besonderen Dinge. Die Mannschaften werden in 4-4-2 spielen. Auch die Deutschen, denke ich, werden in diesem System auflaufen. Sie sind damit gut aufgestellt. Otto Rehhagel wird mit seinen Griechen vielleicht wieder mit Fünf hinten spielen, und vorne hilft der Liebe Gott. Aber solche Überraschungen wie bei der EM 2004 mit dem Europameister Griechenland gibt es immer wieder.

Die Fragen stellte Arnulf Boettcher
Redaktion: Joachim Falkenhagen