1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Windenergie in Chile: Indigene Mapuche bleiben außen vor

21. März 2019

Ein deutsches Unternehmen will Chiles größten Windpark in direkter Nachbarschaft von indigenen Mapuche-Gemeinden bauen. Die werden davon aber kaum profitieren. Aus Chile Sophia Boddenberg.

https://p.dw.com/p/3Es0R
Chile - Windkraftanlage
Bild: picture-alliance/dpa/I. Salas

Chile gilt als Paradies für erneuerbare Energien, denn die lange Küste des Landes sowie die großen Höhenunterschiede und die trockene Atacama-Wüste bieten hervorragende Voraussetzungen für Solaranlagen, Wind- und Wasserkraftwerke. Um sich von Öl-, Gas- und Kohle-Importen aus dem Ausland unabhängig zu machen, setzt das südamerikanische Land seit einigen Jahren verstärkt auf den Ausbau alternativer Energiequellen.

Bis 2050 sollen der Regierung zufolge 70 Prozent des Energiebedarfs durch Sonne, Wind und Wasser abgedeckt werden. Das lockt ausländische Investoren ins Land. Das deutsche Unternehmen wpd beginnt in diesem Jahr mit dem Bau des größten Windparks Chiles in Collipulli in der Provinz Malleco im Süden des Landes.

Mapuche-Gemeinden in direkter Nachbarschaft

Der Süden Chiles ist auch das Zuhause der Mapuche, des größten indigenen Volks Chiles. Sie nennen ihr Land 'Wallmapu'. Heute befindet sich der Großteil ihres Territoriums im Besitz von Forst- und Agrarunternehmen, eine Folge der spanischen Kolonialisierung und der Militärdiktatur von General Augusto Pinochet.

Die chilenische Polizei geht häufig gewaltsam gegen diejenigen Mapuche vor, die sich für die Rückgabe ihrer Ländereien einsetzen. Im November wurde der 24-jährige Mapuche Camilo Catrillanca in der Gemeinde Temucuicui von einem Polizisten erschossen, was weltweit Proteste und Solidaritätsbekundungen auslöste. Aufgrund der Auseinandersetzungen gilt die Provinz Malleco in Chile als 'Zona Roja', als 'Rote Zone'.

Chile Proteste der Mapuche nach Polizeigewalt in Osorno
Der Tod von Camilo Catrillanca löste Ende 2018 Proteste gegen Polizeigewalt aus. Unter den Demonstranten waren auch Mitglieder der Mapuche GemeindenBild: picture-alliance/NurPhoto/F. Lavoz

Die Fläche, auf der der Windpark Malleco gebaut werden soll, befindet sich in direkter Nachbarschaft von neun Mapuche-Gemeinden. Das deutsche Unternehmen wpd sah genau darin eine Chance. "Die anderen Mitbewerber haben das Gebiet gemieden und dementsprechend haben sie die hervorragende Fläche, die wir jetzt in Anspruch nehmen, nicht gesehen", sagt Thomas Schröter, Manager von wpd Chile.

Besondere Strategie für "soziale Akzeptanz"

Um das Vertrauen und die Zustimmung der Gemeinden zu gewinnen, verfolgt wpd eine Strategie der "Sozialen Akzeptanz", in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Bereits seit sechs Jahren besuchen wpd-Mitarbeiter regelmäßig die umliegenden Gemeinden. Mit Kooperationsverträgen und sozialen Projekten möchte sich wpd so von anderen Unternehmen abheben, erklärt Schröter: "Das ist für uns keine Transaktion, mit der wir Akzeptanz kaufen. Man muss eine Beziehung aufbauen. Da geht es nicht um Geld, sondern um Vertrauen. Vertrauen baut man auf, indem man sich kennen lernt und sich zuhört."

Etwa 150.000 US-Dollar investiert wpd Schröter zufolge jährlich in diese "Beziehung" - ein Bruchteil verglichen mit den 400 Millionen US-Dollar, die das Unternehmen in das Windpark-Projekt insgesamt investiert. Ein Beispiel, das Schröter besonders gerne erzählt, ist das einer Frau, die keine Fensterscheibe hatte und deren Sohn deshalb häufig krank wurde. "Wir haben zwei Jahre lang die Beziehung zu dieser Frau aufgebaut und sie kennengelernt, bis sie uns in ihr Haus gelassen hat und uns ihr Herz geöffnet hat. Und gesagt hat, dass sie eine Glasscheibe braucht."

Chile Windenergie
Thomas Schröter will bei der Sitzung des Stadtrats Collipulli für gute Stimmung sorgen, damit das Windparkprojekt gut läuftBild: DW/Rodrigo Barra

In Chile haben viele Angst

Auf den ersten Blick scheint die Strategie zu funktionieren. Bis auf zwei Mapuche-Gemeinden haben sich alle umliegenden Gemeinden mit dem Projekt einverstanden erklärt. Aber bei Gesprächen mit den Bewohnern wird deutlich, dass diejenigen, die Zweifel haben, sich nicht trauen, öffentlich Kritik zu äußern. Viele haben Angst, von den Hilfeleistungen des Unternehmens ausgeschlossen zu werden oder Konflikte mit anderen Gemeinden zu verursachen.

Claudio Astete ist Präsident der Nachbarschaftsvereinigung "Victoria Unida" und lebt in der Nähe des geplanten Windparks. "Hier in Chile sind wir daran gewöhnt, dass die Leute zum Schweigen gebracht werden, die den Mund aufmachen", sagt er. "Wir wollen nicht wieder betrogen werden. Ich will sicher sein, dass ich mein Stück Land mal meinen Kindern und Enkelkindern vererben kann". Er ist besorgt um die langfristigen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit. Collipulli gehört zu den fünf Gemeinden mit der höchsten Armutsrate in ganz Chile und die meisten Bewohner haben einen geringen Bildungsstand. Vielen ist das Ausmaß des Projekts deshalb gar nicht bewusst und sie nehmen jede Hilfe dankend an.

Lokale Bevölkerung profitiert kaum vom Windparkprojekt

Wenn man dem Unternehmen glaubt, wird der Windpark Collipulli Wohlstand und Fortschritt bringen. Garantiert werden aber lediglich 65 feste Arbeitsplätze während der Bauzeit von etwa 98 Tagen. Während sich in Deutschland ein großer Teil der Windkraftanlagen im Besitz von Privatpersonen und Landwirten befindet, sind es in Chile große Unternehmen, die von der Energiewende profitieren.

Der Windpark Malleco ist keine Ausnahme: Die Pachtverträge wurden mit Pedro Nickelsen und Gerardo Jequier, den Besitzern des Grundstücks "Fundo Agua Buena", geschlossen. Beide gehören zu den wohlhabendsten Agrarunternehmern der Region. Die lokale Bevölkerung hingegen wird langfristig nicht finanziell an dem Projekt beteiligt.

Chile Windenergie
Auf dem Grundstück Agua Buena sollen künftig Windräder stehenBild: DW/Sophia Boddenberg

Ein Mapuche, der nur wenige Kilometer vom Windpark Malleco entfernt in einer Gemeinde lebt und anonym bleiben will, kritisiert: "Hier werden Abkommen von der Regierung geschlossen, ohne die Meinung der umliegenden Bevölkerung zu berücksichtigen. Mit diesem Projekt wird das Unternehmen Millionen verdienen. Wir wollen nicht weiter in Armut leben. Wir Mapuche leben in einer Streichholzschachtel. Wir wollen am Gewinn beteiligt werden." 

Energie für Bergbau und Industrie

Der Windpark Malleco soll nach Fertigstellung 273 Megawatt erzeugen, wodurch wpd zufolge den Energiebedarf von 350.000 Familien gedeckt werden kann. Der Strom ist jedoch nicht für die Bewohner vor Ort vorgesehen, sondern soll an das private Stromversorgungsunternehmen Transelec verkauft werden, welches wiederum an Stromgesellschaften im ganzen Land liefert.

Der Strommarkt in Chile ist seit den neoliberalen Reformen der Pinochet-Diktatur vollständig privatisiert. 75 Prozent der Energie werden durch Industrie und Bergbau verbraucht, der Verbrauch durch private Haushalte macht nur einen Bruchteil aus. Der Energiebedarf der auf Export ausgerichteten Wirtschaftssektoren steigt stetig. Jaime Huenchullán lebt in der Gemeinde Temucuicui, einer der Mapuche-Gemeinden in der Provinz Malleco. Er meint: "Dieses Projekt wird keine Vorteile für die Bewohner und die Mapuche hier in der Region bringen, sondern lediglich für die transnationalen Unternehmen".

Chile Windenergie
Die Energie des Windparkt dient nicht den Anwohnern, meint Jaime Huenchullán Bild: DW/Sophia Boddenberg