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Politik

Wie umgehen mit Mord an Missionar?

30. November 2018

Mitte des Monats hatte ein isoliert lebendes Inselvolk in Indien den amerikanischen Missionar Chau getötet. Die Deutsche Welle sprach mit dem Ethnologen Christoph Antweiler darüber, was in dem Fall getan werden kann.

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Indien Ureinwohner auf Nord-Sentinel-Insel
Bild: picture-alliance/dpa/Indian Coastguard

Anfang des Monats war der amerikanische Missionar John Allen Chau mit Hilfe von Fischern zu einer abgelegenen Insel in der Andamanen-See gefahren. Dort lebt weitgehend abgeschieden das Volk der Sentinelesen. Um sie zu schützen, gilt eine Sperrzone um die Insel.

Chau war mehrmals mit seinem Kajak auf North Sentinel Island gelandet. "Mein Name ist John. Ich liebe euch und Jesus liebt euch", soll er den Ureinwohnern laut seinem Tagebuch zugerufen haben. Sein Tagebuch übergab er den Fischern vor seiner letzten Fahrt. Den Aufzeichnungen ist auch zu entnehmen, dass Chau sich sowohl des Verbots als auch der Gefahr bewusst war.

John Allen Chau - Missionar und Abenteurer wurde auf einer abgelegenen Insel von einheimischene getötet
Der Missionar und Abenteurer John Allen Chau hat sich bewusst in Gefahr begebenBild: Reuters/J. Chau

Auch nachdem er einen Angriff der Sentinelesen mit Pfeil und Bogen überlebt hatte, kehrte Chau auf die Insel zurück. Am 17. November entdeckten die Fischer einen Leichnam, der der Statur nach dem Amerikaner ähnelte. Die Sentinelesen vergruben diesen nach Angaben der Fischer im Sand.

Die indische Polizei näherte sich mehrfach der Insel, um den Fall so gut es geht aus der Ferne aufzuklären. Die Behörden sind jedoch sehr vorsichtig: "Wir wollen eine direkte Konfrontation mit den Stammesangehörigen vermeiden", sagte der zuständige Polizeibeamte Dependra Pathak dem amerikanischen Sender CNN.

Indien North Sentinel Island
Die abgelegene Insel aus der Luft (Archivbild)Bild: picture-alliance/AP Photo/G. Singh

Deutsche Welle: Wie sollten die Behörden Ihrer Ansicht nach mit diesem Fall umgehen?

Christoph Antweiler: Die Tötung des Missionars sollte grundsätzlich erstmal behandelt werden wie jeder andere Fall auch. Es sollte da keine Sonderregelung geben, egal ob das nun ein Missionar oder ein Amerikaner oder ein Einheimischer ist. Das Problem ist, dass es sich bei der Insel zwar um indisches Territorium handelt, die Sentinelesen aber seit Jahren oder Jahrzehnten den Kontakt zur Außenwelt so gering gehalten haben wie möglich. Hier können die Behörden nicht so handeln wie in anderen Teilen Indiens. Insofern sollte die Polizei behutsam vorgehen und das Gespräche suchen. Es ist nämlich auch klar, dass es sich um eine Minderheit handelt, die sich von der Identität her nicht zum indischen Staat zugehörig fühlt.

Aber gefährdet eine solche Untersuchung nicht die Sentinelesen, deren Immunsystem beispielsweise nicht gegen Grippe oder Masern gewappnet ist?

Es ist von isoliert lebenden oder länger mit geringem Austausch lebenden Völkern bekannt, dass da oft gesundheitliche Risiken bestehen, wenn sie auf andere treffen. Diesbezüglich sollten natürlich Schutzmaßnahmen ergriffen werden.

Kennen Sie vergleichbare Fälle?

Eine derartig isolierte Situation wie auf Sentinel Island gibt es auf der ganzen Welt extrem selten. Vielleicht noch in Feuerland, wo es einzelne Inseln gibt, die auch sehr wenig kontaktiert sind, oder kleinere Inseln im Pazifischen Ozean. Eine andere Situation, die in die Richtung geht, sind einige Gebiete in Papua Neuguinea, wo die extrem bergige Landschaft Räume schafft, wo es relativ wenig Kontakt zu anderen Populationen gibt. Aber insgesamt kann man sagen, dass es isolierte Völker im Sinne von unentdeckten Kulturen auf diesem Planeten nicht mehr gibt.

Karte North Sentinel Island DE

Was wissen wir über Kontakte dieser Völker mit der Außenwelt?

Am ehesten wissen wir dazu etwas über Völker, die im Amazonastiefland leben. Dort gibt es über hundert Gruppen, die weitgehend isoliert leben wollen. Das sind aber nicht etwa nicht entdeckte Völker, sondern Völker, die irgendwann mal Kontakt hatten, etwa zu Teilen der brasilianischen Bevölkerung. Die haben oft schlechte Erfahrungen gemacht und sich dann bewusst zurückgezogen. Das Problem ist, dass es häufig zu Machtfragen kommt, etwa wenn ein großes Interesse an der Nutzung des Landes besteht. Dann wird der Kontakt erzwungen, gegen den Willen dieser Völker. Das führt oft zu Konflikten.

Erklärt dies das gewalttätige Verhalten der Sentenilesen?

Dazu gibt es nur Vermutungen. Die am häufigsten geäußerte ist, dass es in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten immer wieder konfliktreiche Kontakte mit anderen Menschen gegeben hat, die dort beispielsweise siedeln wollten. Auffällig ist, dass gerade in diesen Gebieten, den Inselgruppen der Andamanen und den Nikobaren, frühe ethnografische Berichte von gewalttätigen Auseinandersetzungen berichten.

Warum sollen Völker wie die Sentinelesen überhaupt geschützt werden?

Das ist eine schwierige Frage, die verschieden beantwortet werden kann, je nachdem ob man das jetzt aus menschenrechtlicher oder staatspolitischer Sicht sieht.

Aus Menschenrechtssicht gilt, dass die kulturelle Vielfalt und Minderheiten geschützt werden sollten. Menschenrechte sollen die Bevölkerung ja unter anderem vor ihren eigenen Regierungen schützen. Andererseits kollidiert das natürlich mit dem mit Souveränitätsanspruch des Staates. Er will in seinem Territorium das Gewaltmonopol durchsetzen. Hier muss in jedem Fall eine Abwägung getroffen werden.

In einem umfassenderen Sinne, etwa aus kosmopolitischer Perspektive, geht es nicht nur um das Schicksal dieser einzelnen Menschen, sondern um die Vielfalt menschlichen Lebens überhaupt. Diese Fragen führen dann zu sehr grundsätzlichen ethischen und philosophischen Überlegungen.

Ich persönlich bin der Überzeugung, dass diese Völker schützenswert sind. Allerdings ist es nicht realistisch, einen solchen Schutz durch Isolation zu erreichen. So eine Art Museum oder die Idee einer Art Schutzglocke birgt immer die Gefahr, dass es dann doch zu einem unvorhergesehenen Kontakt kommt, der dann oft sehr radikal, schädlich oder gewalttätig sein kann.

Was wäre die Alternative?

Die Alternative wäre eine vorsichtige Form begrenzten Austausches. Nur so kann die Anpassung bzw. Assimilierung an die dominante Gesellschaft verhindert werden. Dieser behutsame und viel Zeit erfordernde Austausch ist auch im aktuellen Fall geboten.

Christoph Antweiler ist Anthropologe. Schwerpunkte seiner Arbeit sind Asien, Urbanisierung, Regionale Identität, Lokales Wissen und Universalien. Sein letztes Buch erschien 2018: Our Common Denominator. Human Universals Revisited.  New York and Oxford: Berghahn Books.

Das Interview führte Rodion Ebbighausen.

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia