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Wie sinnvoll sind Corona-Massentests?

17. November 2020

Luxemburg und die Slowakei haben es getan, Österreich plant es: massenhafte Tests gegen das neuartige Coronavirus. Wäre das auch eine Lösung für größere Länder wie etwa Deutschland? Die Antwort: Ja und nein.

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Deutschland Corona-Test in Neukölln, Berlin
Bild: Travel-Stock-Image/imago images

Ein ganz normales, möglichst sorgloses Weihnachtsfest im Kreise der Liebsten, wäre das nicht schön?! Um diesem Ziel näher zu kommen, will Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz möglichst all seine Landsleute auf das neuartige Coronavirus testen lassen. 

Luxemburg und die Slowakei haben ihre Bevölkerung schon durchgetestet und gelten nun Österreich als Vorbild. Denn möglichst viele Tests durchzuführen, erhöht die Chance, asymptomatisch Infizierte aufzuspüren und frühzeitig in Quarantäne zu schicken. Wäre das nicht auch eine Idee für größere Länder, etwa für Frankreich, Italien, Spanien oder Deutschland?

Die Sinnfrage

Grundsätzlich sinnvoll seien Massentests schon, sagt Matthias Orth, Chefarzt der Laboratoriumsmedizin am Marienhospital in Stuttgart und Vorstandsvorsitzender des Berufsverbands Deutscher Laborärzte (BDL). "Wir wissen, dass etwa ein Drittel der Infizierten nicht erkrankt, das Virus aber munter weitergibt."

Deutschland Corona-Pandemie | Gesundheitsamt testet
Kinder zeigen seltener Symptome, haben aber eine ähnliche Viruslast wie ErwachseneBild: Waltraud Grubitzsch/picture alliance/dpa

Jeder Patient, der im Marienhospital in Stuttgart aufgenommen und behandelt wird, wird natürlich zunächst getestet. "Wir haben gerade das Ergebnis eines jungen Mannes erhalten, der operiert werden soll. Er hat die größte Viruslast, die wir hier je gemessen haben und hatte keinerlei Symptome", erzählt Orth. Solche Leute ließen sich mit Massentests finden.

Neben der Sinnfrage stellt sich allerdings die Frage nach der Machbarkeit. Weder Luxemburg, dessen Gesamtbevölkerung von etwa 630.000 sich bequem in Düsseldorf unterbringen ließe, noch die Slowakei mit ihren knapp 5,5 Millionen Einwohnern können dem 83 Millionen Menschen schweren Deutschland oder anderen großen Staaten als Blaupause dienen.

"Mehr geht nicht!"

"Ein kleines Land wie Luxemburg mit Tupfern und Reagenzien zu versorgen, ist möglich. Das geht aber in Deutschland nicht", sagt Orth. Damit Massentests überhaupt ein verlässliches Bild vom Infektionsgeschehen innerhalb einer Bevölkerung zeichnen könnten, müssten sie möglichst gleichzeitig überall im Land stattfinden.

Das würde aber sämtliche Kapazitäten sprengen. "Ein Abstrich dauert im Schnitt etwa fünf Minuten pro Person. Sie können sich ausrechnen, wie lange es dauern würde über 80 Millionen Menschen zu testen", sagt Orth.

Und wir haben nachgerechnet: Bei den derzeitig verfügbaren Testkapazitäten würde es 53 Wochen dauern - also mehr als ein Jahr. 

Corona-Test für Zuhause?

Aktuell bearbeiten deutsche Labore etwa 1,5 Millionen PCR-Tests pro Woche. "Die 600.000 Luxemburger könnten wir in Deutschland also locker innerhalb einer Woche testen", sagt Orth. Die gesamte deutsche Bevölkerung innerhalb von sieben Tagen testen zu wollen, würde die Laborkapazitäten um mehr als das 50-fache übersteigen. 

"Wir arbeiten ja jetzt schon in zwei, manchmal sogar drei Schichten an sieben Tagen in der Woche", sagt Orth. "Wir können unsere Kapazität vielleicht nochmal um zehn bis 20 Prozent steigern, aber mehr geht nicht."

Ein weiteres Problem, das Massentests in weite Ferne rücken lässt, ist der chronische Mangel an für die Testung relevanten Materialien. "Die Produktion der notwendigen Reagenzien befindet sich auch schon im Sieben-Tage-Betrieb", sagt Orth. Trotzdem drosseln Materialengpässe den Testbetrieb in deutschen Laboren immer wieder.

Deutschland: Corona-Test am Fenster

All diese limitierenden Faktoren machen Massentests praktisch unmöglich. Gleichzeitig gebieten knappe Ressourcen auch eine besonders gut durchdachte Teststrategie. Aus Sicht des Labormediziners ist die aktuell in Deutschland eingeschlagene Marschrichtung, vorrangig Menschen mit COVID-Symptomen zu testen, wenig zielführend. 

"Wenn ich eine Familie habe, in der der Vater an COVID erkrankt ist und die Mutter auch Symptome hat, dann brauche ich doch die Mutter nicht zu testen", meint Orth. Schließlich stünde das positive Testergebnis im Grunde schon fest und die knappen Kapazitäten würden verschwendet.

"Entscheidend für den Verlauf des Infektionsgeschehens ist, dass ich die asymptomatisch Erkrankten mit hoher Viruslast finde. "Statt die Menschen mit Symptomen zu testen, müsste der Fokus auf denen ohne sichtbare Erkrankung liegen", findet Orth. Sinnvoll wäre es demnach, die Testkapazitäten vor allem für die ersten Kontaktpersonen von Erkrankten zu nutzen, die aber asymptomatisch sind. 

Fallen diese Tests dann positiv aus, müsste man es auch auf deren Kontaktpersonen ausweiten. Je nachdem, wie weit man dann die Ringe zieht, könnte es am Ende dann doch wieder auf Massentests hinauslaufen. Aber die wären dann regional und nicht für das ganze Land.