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Wie Photoshop unsere Wahrnehmung verändert hat

Anne-Sophie Brändlin/kk1. März 2015

Vor 25 Jahren kam das digitale Fotobearbeitungsprogramm Photoshop auf den Markt. Die Software veränderte nicht nur die Manipulationsmöglichkeiten von Fotos, sondern auch die Art, wie Menschen Bilder wahrnehmen.

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Model Kate Moss auf dem Cover eines Magazins (Foto: Vanity Fair)
Bild: picture alliance/AP Photo/C. Mcdean

Es begann als ein einfaches Computerprogramm, das nicht viel mehr konnte als Schwarz-Weiß-Bilder auf dem Bildschirm darzustellen. Doch schon ein Vierteljahrhundert später zählt Photoshop zu den technisch höchstentwickelten digitalen Fotobearbeitungsprogrammen der Welt. Das Programm hinterläßt überall seine Spuren: Die mit seiner Hilfe bearbeiteten Fotos erscheinen auf Computern und Smartphones, in sozialen Medien, Modemagazinen, Zeitungen und auch im menschlichen Unterbewusstsein.

Offenbar haben die Menschen sich bereits so an veränderte, bearbeitete, gefilterte und manipulierte Fotos gewöhnt, dass ihnen unbearbeitete Fotos bisweilen geradezu seltsam vorkommen. Ungeschönte Fotos populärer Persönlichkeiten wirken geradezu schockierend und machen im Internet entsprechend die Runde.

Stars so zu sehen, wie sie wirklich sind - also etwa mit Cellulitis und unreiner Haut - hat in den sozialen Medien in den letzten Wochen für Diskussionen gesorgt.

Ganz gleich, ob die Reaktionen positiv oder negativ sind, die im Netz aufgetauchten Fotos haben die Debatte über die Manipulation unserer Bilderwelten neu entfacht. Denn seit es Photoshop gibt, ist die Bearbeitung von Fotos eher die Regel als die Ausnahme.

Photoshop und das unerreichbare neue Schönheitsideal

Es gibt zahllose Möglichkeiten, das Aussehen einer Person durch Photoshop zu manipulieren. Man kann Hals und Beine verlängern, den Brustkorb weniger scharf hervortreten lassen; man kann die Wangenknochen anheben, das Haar dichter und die Farbe der Haut dunkler oder heller scheinen lassen.

Ein Video der NGO Global Democracy zeigt einige Manipulationstechniken der Modeindustrie.

"Die gesamte Modeindustrie verhält sich in ethischer Hinsicht höchst fragwürdig", erklärt der Medienwissenschaftler Thomas Knieper im Gespräch mit der DW. "Wenn man die Beine von Stars verlängert, ihre Taille schmaler macht und ihre Falten und sonstigen Makel unterdrückt, neigen die Menschen dazu, diese Personen maßlos zu bewundern und nachzuahmen."

Studien zeigen, dass Menschen, die in Modezeitschriften regelmäßig nachbearbeitete Bilder konsumieren, irgendwann glauben, was sie sehen sei die Norm. Das erhöht das Risiko, dass diese Menschen irgendwann an Essstörungen wie etwa Bulimie oder Anorexie erkranken.

"Diese Bilder können Menschen depressiv werden lassen. Sie sind nicht in der Lage, die von den Medien vorgegebenen Schönheitsstandards zu erfüllen. Sie merken, dass sie sich ihrem Ideal nicht einmal mit extremen Diäten oder Schönheitsoperationen nähern können. Das ist auch ganz normal, denn die Bilder, die sie sehen, sind anatomisch unmöglich", sagt Knieper.

Photoshop und Essstörungen

Die Kanadierin Erin Treloar hat diese Mechanismen am eigenen Leib erfahren. Als Teenager litt sie an einer schwerwiegenden Essstörung.

"Im Alter von 17 Jahren war ich einen Meter achtzig groß und wog vierzig Kilo", berichtet sie im DW-Gespräch. "Meine inneren Organe versagten langsam den Dienst, ich verlor mein Haar und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden."

Ihre Essstörungen seien durch das in den Medien verbreiteten Schönheitsideal entfacht und aufrecht erhalten worden, berichtet Treloar. "Wenn man einen Hang zum Perfektionismus hat und dann sieht, was die Medien als perfekt und wunderbar erklären, will man dieses Ideal ebenfalls erreichen."

Kampagnen gegen die Retusche

Um gegen diesen Mechanismus anzugehen und andere junge Frauen vor ähnlichen Erfahrungen zu bewahren, verfasste Treloar, heute 30 Jahre alt und bei bester Gesundheit, die Internetpetition #LessIsMore. Die werdende Mutter hofft, dass die gesammelten Unterschriften hinreichenden Druck auf die Magazine und Mainstream-Medien aufbauen werden, um sie dazu zu bringen, bei ihren Fotos weniger auf die Effekte von Photoshop zu setzen.

"Ich weiß, dass die Retuschier-Praxis nicht völlig verschwinden wird. Das braucht sie auch gar nicht", sagt Treloar. "Aber ich möchte erreichen, dass die Magazine darauf verzichten, die Körper und Gesichter zu retuschieren. Wenn man bemerkt, dass ein Bild einen Anzug zeigt, auf dem ein Haar liegt, kann man das digital natürlich nachträglich entfernen. Ebenso ist es völlig in Ordnung, jemanden einen großen Pickel mitten auf der Stirn zu retuschieren. Das ist völlig in Ordnung. Aber hört damit auf, Hüften schmaler wirken zu lassen."

Immer mehr Unternehmen reagieren auf solche Appelle. Die Wäschemarke "Aerie" des amerikanischen Unternehmens American Eagle Outfitters präsentierte vor kurzem die #AerieReal campaign. Darin sind ausschließlich unbearbeitete Bilder von Models zu sehen.

"Unsere Aerie Real-Kampagne zielt auf ein realistischeres Bild von Mädchen und Frauen," erklärt Jennifer Foyle, die Marketing-Chefin des Unternehmens gegenüber der DW. "In den Bildern gibt es keinerlei Manipulation. Nichts wurde nachträglich verschönert."

Und die Kampagne scheint bei den Konsumenten anzukommen.

"Es gibt keine klaren Regeln"

Doch nicht nur die Modebranche beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit man Bilder mit Photoshop manipulieren darf. Jede fünfte eingereichte Arbeit für den renommierten Foto-Wettbewerb "World Press Photo" wurde abgelehnt, weil die Fotos massiv mit Photoshop bearbeitet worden waren.

"Doch von welchem Moment an kann man sagen, dass Fotos massiv bearbeitet worden sind", gibt Thomas Knieper zu bedenken. "Ist es schon zu viel, wenn man Farben nachbearbeitet?" Seiner Ansicht nach braucht es dringend ein Regelwerk, das Anhaltspunkte zur Arbeit mit Photoshop liefert.

Das gleiche gilt für Nachrichtenredaktionen und Medienunternehmen auf der ganzen Welt. Es gibt klare Spielregeln dafür, wann und in welchem Maß Fotos bearbeitet werden dürfen und sollen. "Im Hinblick auf die Arbeit mit Photoshop hat jede Redaktion ihre eigenen Vorgaben", sagt Knieper.

Allgemein akzeptiert seien Methoden wie nachträgliche Farbbearbeitung oder Techniken, die ein Motiv schärfer werden lassen. Ebenso sei es Standard, kleine Dinge wie Fusseln nachträglich zu entfernen. Als nicht akzeptabel gelte es hingegen, den Inhalt eines Bildes zu manipulieren – etwa, indem man einen Berg hinzufügt oder Personen oder Dinge nachträglich aus einem Bild entfernt.

Erste irakische Soldaten ergeben sich
Je nachdem, welchen Ausschnitt man wählt, hat das Bild ganz unterschiedliche BotschaftenBild: picture alliance/AP Images

Wenn Medien Photoshop missbrauchen

Für den missbräuchlichen Einsatz von Photoshop gibt es viele Beispiele. So dunkelte das "Time Magazine" das Gesicht von O.J. Simpson auf den Fotos nach, die die Polizei von ihm gemacht hatte. Der ehemalige American-Football-Star war in den 90er Jahren des Mordes an seiner Frau angeklagt, dann aber freigesprochen worden. Die Entscheidung der Redakteure, das Porträt nachzudunkeln, werteten Kritiker als subtile Form von Rassismus. Der "Economist" entfernte von seinem Titelblatt, das US-Präsident Obama beim Besuch eines von einer Ölkatastrophe heimgesuchten Strands zeigte, zwei Personen.

Schon das Entfernen geringster Details kann die Bedeutung und Aussage eines Fotos grundlegend verändern. Ein berühmtes Beispiel ist die Aufnahme zweier US-Soldaten in Irak im Jahr 2003. Der eine reicht einem irakischen Gefangenen Wasser aus einer Feldflasche. Der andere Soldat hält ihm ein Gewehrlauf an den Kopf. Je nachdem, wie man den Bildausschnitt wählt, erscheinen die Soldaten entweder als Helfer oder als Bedrohung.

Für den angemessenen Umgang mit digitaler Bildbearbeitung empfiehlt Knieper den Medien, ihre Regeln nach den Ansprüchen ihrer Leser auszurichten. Was nehmen sie hin und was nicht? Studien hätten ergeben, dass Leser nachträgliche Änderungen nur bis zu einem gewissen Grad akzeptierten. Das gelte vor allem dann, wenn hohe Ansprüche an den dokumentarischen Wert des Fotos gelegt würden, sagt Knieper.

"Wie jedes Instrument lässt sich auch Photoshop zum Guten wie zum Schlechten gebrauchen", sagte Thomas Knoll, einer der Erfinder von Photoshop in einem Fernsehinterview. Wenn sämtliche Medien verantwortlich mit ihm umgehen, könne Photoshop auch in den kommenden 25 Jahren ein bedeutendes Instrument der digitalen Bildbearbeitung bleiben.