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Wie in Vietnam

Daniel Scheschkewitz20. Oktober 2006

Präsident Bush hat erstmals Parallelen zwischen der Situation im Irak und der Niederlage der USA in Vietnam eingeräumt. Erwacht Präsident Bush langsam aus seinem Traum?

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„Truthiness“ so lautet die neue Vokabel im amerikanischen Englisch mit der hierzulande die rein subjektive Wahrheit der Bush-Leute umschrieben wird, wenn sie sich auf die seit Monaten eskalierenden Lage im Irak bezieht: Das Land sei auf dem Weg nach vorn, die Demokratie mache entscheidende Forschritte, die Sicherheitslage sei dabei sich zu verbessern, der Irak komme auf die Beine.

Truthiness, man könnte auch sagen: unbeirrbarer Zweckoptimismus, war es, was die Durchhalteparolen der Bushregierung über die letzten Monate bestimmte. Inzwischen verzieht sich jedoch der Nebel ums Weiße Haus und ganz unpassend zur Jahreszeit macht sich aufklärende Helligkeit breit. Schärfer denn je erklärt ein Armeesprecher das Scheitern der US-Bemühungen, mehr Sicherheit in der Hauptstadt Bagdad zu schaffen. Die Lage sei „entmutigend“, die verfehlte Strategie müsse überdacht werden.

Eingeständnis als Strategie

Ex-Aussenminister Baker, ein Kritiker der Irakpolitik Präsident Bushs, wird zum Erstaunen der politischen Beobachter gebeten, neue Vorschläge für einen Ausweg aus dem Dilemma zu machen und Präsident Bush setzte dem Ganzen die leuchtende Krone der Washingtoner Spätaufklärung auf.

Die immer neue Gewalt, die den Monat Oktober zum bisher blutigsten für die US-Truppen werden ließ, erinnere ihn an die Tet-Offensive des Vietkong 1968 in Vietnam, von der Historiker glauben, dass sie die Ablehnung des Krieges in der US-Öffentlichkeit besiegelte, weil sie den Eindruck verfestigte, dass dieser Krieg für Amerika nicht mehr zu gewinnen war.

Wie im Vietnam?

Diesem Eindruck war Bush im Falle des Irak stets entschieden entgegengetreten. Umso erstaunlicher diese publizistische Wende, die Bush am Mittwoch (18.10.) dieser Woche in einem ABC-Interview vollzog. Nun stammt der Vergleich zwischen den Erfolgen der Aufständischen im Irak und dem Vietkong zwar nicht von Bush selbst, sondern von dem notorischen Regierungskritiker und Kolumnisten der New York Times Thomas Friedman. Aber schon ein anderer Topjournalist, der bislang nicht unbedingt als Bushgegner galt, Bob Woodward, hatte sich vor wenigen Wochen daran beteiligt, Bush auf den Pfad der Realitätswahrnehmung zurückzubringen als er sein neues Buch „State of Denial“ nannte und den Präsidenten-Beratern darin permanentes Leugnen vorwarf.

Was kommt als nächstes? Wird Bush doch noch gegen Ende seiner Amtszeit sein historisches Scheitern im Irak eingestehen und die US-Truppen zurückbeordern? Ich glaube es kaum. Dieser Präsident hat sich festgelegt. Im Irak wird es mit ihm kein Zurückweichen geben. Die vermeintliche Dämmerung im Weißen Haus kündigt (noch) keinen Kurswechsel an. Bestenfalls hat man begriffen, dass sich die amerikanische Bevölkerung inzwischen nicht mehr für dumm verkaufen lässt. Bushs Zugeständnis an die Realität ist eine Geste an die republikanischen Kandidaten im Kongresswahlkampf. Von denen darf keiner die Wähler verschaukeln, wenn er gewählt werden will. Und ohne die republikanische Kongressmehrheit wäre Bush endgültig eine lahme Ente, oder anders ausgedrückt: ein gescheiterter Präsident.