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Wie gefährlich ist Titandioxid?

18. April 2019

In Frankreich dürfen Lebensmittel ab 2020 kein Titandioxid mehr enthalten, da der Weißmacher möglicherweise krebserregend wirkt. Ist das Hysterie oder besteht ein begründetes Gesundheitsrisiko?

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Bild: picture alliance/chromorange/B. Neveu

Achten Sie mal drauf: Titandioxid ist wirklich überall zu finden. Gekennzeichnet wird der Zusatzstoff in Lebensmitteln mit der Bezeichnung E171, in Kosmetika lautet die Bezeichnung CI 77891. Das weiße Pigment findet sich auch in Arzneimitteln, in Zahnpasta, Sonnencremes, in vielen Kunststoffen, in Gummi und in Klebstoffen, in Beton, Papier, vor allem aber in Farben und Lacken. In Lebensmitteln wie Mozzarella, Fertigsuppen, in Süßigkeiten und Desserts sorgt Titandioxid dafür, dass Lebensmittel knackiger, glänzender und frischer aussehen. 

Frankreich verbietet umstrittenen Zusatzstoff

In Frankreich darf Titandioxid in Lebensmitteln aber ab 2020 nicht mehr verwendet werden. Das Umwelt- und Wirtschaftsministeriums hat ein entsprechendes Verbot erlassen. Es stuft das weiße Pigment als gesundheitsgefährdend ein, da Titandioxid möglicherweise krebserregend ist.

2017 hatten französische Wissenschaftler bei Ratten nachgewiesen, dass eine regelmäßige orale Einnahme von E171 dem Immunsystem schadet und Darmentzündungen hervorruft. In den Versuchen zeigte  sich, dass Titandioxid die Darmbarriere durchbrechen kann und so als Nanopartikel ins Blut gelangt. Unklar ist noch, ob Titandioxid auch die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann.

Symbolbild Frau &  Sonnenschutz
Jährlich werden rund vier bis fünf Millionen Tonnen Titandioxid produziert Bild: Colourbox/information

Experten der französischen Agentur für Lebensmittelsicherheit, Umweltschutz und Arbeitsschutz (ANSES) und der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit wie der European Food Safety Authority (EFSA)  sahen 2016 noch keine gesundheitliche Gefahr bei einer oralen Einnahme von Titandioxid, auch weil für eine Einstufung von Titanoxid als Stoff mit vermutlich krebserregender Wirkung einfach zu wenige Erkenntnisse vorlagen. Auch konnte in den Untersuchungen noch nicht nachgewiesen werden, dass die bei den Ratten beobachteten Gesundheitsschäden auch beim Menschen auftreten.

Entsprechend hielten sich die Forscher mit einer klaren Verurteilung des Weißmachers zurück. Denn es geht nicht nur um die Gesundheit, sondern auch um viel Geld, werden jährlich doch rund vier bis fünf Millionen Tonnen Titandioxid produziert. 

Gefahr durchs Einatmen der Titandioxid-Partikel

Selbst wenn E171 im Essen für Verbraucher unbedenklich ist: Ganz anders sieht es aus, wenn Titandioxid nicht oral in den Organismus kommt, sondern wenn es inhaliert, also eingeatmet wird. Zum Beispiel wenn Lacke versprüht werden, wenn Sonnencremes aufgesprüht werden oder wenn Titandioxid durch Abrieb in die Luft gelangt. In solch einem Fall stufte der Ausschuss für Risikobewertung der EU-Chemikalienbehörde ECHA im Jahr 2017 Titandioxid als "vermutlich krebserregend bei Inhalation" ein.

Selbstreinigender Anstrich

Sicherlich kann man auf Sprühlacke oder Sonnencremesprays leicht verzichten. Auch im Straßenverkehr ist das Einatmen der Kleinstpartikel durchaus denkbar, etwa durch den Abrieb der Reifen. Denn beim Straßenbau werden die Titandioxid-Körnchen mittlerweile häufig in den Beton der Fahrbahndecken eingewalzt, wie jüngst am abgasverseuchten Stuttgarter Neckartor. Dort soll das Titandioxid Schadstoffe reduzieren, indem es in Verbindung mit Sonnenlicht Stickstoffdioxid zu wasserlöslichem Nitrat umwandelt, das dann wiederum vom Regen weggespült wird. 

Gesundheitsbehörden versus Chemieindustrie

Ob es neben den erfreulichen Effekten auch möglicherweise krebserregende Nebeneffekte durch das Einatmen von Titandioxid gibt, wurde noch nicht abschließend untersucht.

Die EU-Kommission will Titandioxid jedenfalls als Gefahrenstoff einstufen und dies auch mit dem Warnhinweis "möglicherweise krebserregend" kennzeichnen. Und die europäische Chemieindustrie will dies unter allen Umständen verhindern, auch indem sie die bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen anzweifelt bzw. diskreditiert. So beantwortet etwa die "Titanium Dioxide Manufacturers Association (TDMA)", die die wichtigsten Produzenten von Titandioxid (TiO2 ) in Europa vertritt, die Frage: 'Kann Titandioxid Krebs verursachen?' so: "Verlässliche, wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass Titandioxid sicher ist und keinen Krebs verursacht."

Und weiter schreibt die Interessensvertretung TDMA: "Jahrzehnte industrieunabhängiger Forschung haben keine Hinweise auf ein potenzielles Krebsrisiko für Menschen durch Titandioxid gefunden. ... Studien, die Titandioxid mit einem erhöhten Krebsrisiko in Verbindung bringen, basieren auf der Wirkung hoher Konzentrationen in den Lungen ("Overload"), wie sie bei Ratten beobachtet wurden, die durch Inhalation einer sehr hohen Dosis Titandioxid ausgesetzt wurden. Solch hohe Dosen sind höher als die, denen Arbeiter täglich ausgesetzt sind, und der beobachtete Effekt in den Lungen repliziert sich bei Menschen nicht."

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund