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Wie gefährlich ist die Linke wirklich?

23. Januar 2012

Seit Jahren werden Abgeordnete der Linken vom Verfassungsschutz beobachtet. Manche Parlamentarier klagen dagegen. Kritik am Verfassungsschutz kommt aus fast allen politischen Lagern.

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Logo der Partei Die Linke (Foto: dapd)
Unter Beobachtung: Die LinkeBild: dapd/Jens Schlueter

Die vom Verfassungsschutz angelegte Akte über die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages soll rund 600 Seiten dick sein. So genau weiß Petra Pau das nicht. Der uneingeschränkte Einblick in die Dokumente, den sie seit Jahren begehre, werde ihr von der Behörde verweigert, kritisiert die Abgeordnete der Linken. Etliche Seiten seien geschwärzt, empörte sich die Berlinerin gegenüber DW-WORLD.DE schon 2010. Ähnliches weiß der Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi zu berichten. Deshalb ist sich der 64-Jährige sicher, dass Verfassungsschützer entgegen ihren Behauptungen "auch mit geheimdienstlichen Methoden" gegen die Linke vorgingen. "Die lügen", sagte Gysi am Montag (23.01.2012) in Berlin.

15 Seiten über die Linke

Gruppenfoto des Vorstands der Linken (Foto: dapd)
Wehrt sich: Der Vorstand der LinkenBild: dapd

Für neue Aufregung über das an sich alte Thema sorgte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Seinen Informationen zufolge sollen 27 von 73 Abgeordneten der Bundestagsfraktion und elf weitere in Landesparlamenten unter Beobachtung der Verfassungsschutzämter stehen. Über dieses Ausmaß, wenn es denn zutreffend sein sollte, ist selbst die Linke überrascht. Dass die Sozialisten seit langem im Visier der Behörden sind, können sie Jahr für Jahr im offiziellen Bericht des in Köln ansässigen Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) nachlesen. In der aktuellen Ausgabe sind der Partei im Kapitel "Linksextremismus" 15 Seiten gewidmet. Unter anderem heißt es, die Linke sammele unter Begriffen wie "Pluralismus" Kräfte, "welche das Ziel einer grundlegenden Veränderung der bisherigen Staats- und Gesellschaftsordnung verfolgen".

Linke fährt strikt antikapitalistischen Kurs

Derselbe Wortlaut findet sich im 2011 verabschiedeten Partei-Programm der Linken zwar nicht, sie bekennt sich darin auch zu einem strikt antikapitalistischen Kurs. Klaus Ernst, der sich mit Gesine Lötzsch seit 2010 den Parteivorsitz teilt, bezeichnete das neue Programm sogar als "Kampfansage an die herrschenden Verhältnisse und die Herrschenden". Dass derlei Rhetorik oder die Existenz einer "Kommunistischen Plattform" innerhalb der Linken die Beobachtung der ganzen Partei und einzelner Abgeordneter rechtfertigt, ist unter Politikern ebenso umstritten wie unter Experten.

Der Hamburger Rechtsprofessor Matthias Klatt sagte gegenüber DW-WORLD.DE, zunächst müsse geklärt werden, ob "tatsächliche Anhaltspunkte" für Bestrebungen vorlägen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet seien. Sollte dies der Fall sein, dürfte seines Erachtens die Partei beobachtet werden. Abgeordnete hingegen müssten wegen ihres im Grundgesetz verankerten hohen Stellenwerts von Beobachtungen verschont bleiben. Ihre Aufgabe ist es unter anderem, das Handeln der Exekutive, also der Regierung, zu kontrollieren. Und das schließt die Kontrolle der Sicherheitsdienste, zu denen der Verfassungsschutz gehört, ein. Im Bundestag gibt es dafür sogar ein Parlamentarisches Kontrollgremium (PKG), das regelmäßig geheim tagt.

Der Unterschied zwischen beobachten und überwachen

Heinz Fromm, Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz (foto: dapd)
Heinz Fromm, Chef des VerfassungsschutzesBild: dapd

Um Abgeordnete dennoch zu beobachten, müsste ihnen eine aktive Mitarbeit in extremistischen Gruppierungen nachgewiesen werden, erläutert Rechtsprofessor Klatt den aus seiner Sicht engen Spielraum für den Verfassungsschutz. Wobei grundsätzlich zu unterscheiden sei zwischen Beobachtung und Überwachung mit nachrichtendienstlichen Methoden wie das Abhören von Telefongesprächen. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Heinz Fromm, verweist regelmäßig darauf, dass die Linke ausschließlich auf der Basis öffentlich zugänglicher Informationen beobachtet werde. Dazu zählen neben Internetseiten und Publikationen von Strömungen innerhalb der Partei auch Zeitungsberichte.

BfV-Chef Fromm: Betroffene sind informiert

Zur aktuellen Diskussion äußerte sich Fromm am Montag im Anschluss an ein von seiner Behörde veranstaltetes Extremismus-Symposium in Berlin. Es sei "nicht neu", dass die Partei beobachtet werde und einzelne Abgeordnete einbezogen seien. Den Betroffenen sei das bekannt. Angaben zu einzelnen Personen machte Fromm nicht. Aus politischer Sicht habe er Verständnis für die Aufregung. Die Linke erhielt unterdessen Unterstützung aus anderen Parteien. Politiker der oppositionellen Sozialdemokraten und Grünen, aber auch der regierenden Liberalen kritisieren den Umgang des Verfassungsschutzes mit den Sozialisten.

Die Bundesregierung wartet ab

Fraktionschef Gysi kündigte an, Briefe an Bundespräsident Christian Wulff, Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu schreiben. Der SPD-Politiker Wolfgang Thierse bezeichnete die Praxis des Verfassungsschutzes als "Unding". In einem Gespräch mit der sozialistischen Zeitung "Neues Deutschland" kündigte er an, das Präsidium des Bundestages werde sich mit dem Thema auseinandersetzen. Entscheidend sei aber, dass sich das Parlamentarische Kontrollgremium damit befassen müsse.

Unterstützung erhielten das Bundesamt für Verfassungsschutz und die 16 Landesämter dagegen von der Bundesregierung. Regierungssprecher Steffen Seibert verwies in Berlin auf den gesetzlichen Auftrag. Man sei sich aber bewusst, dass immer wieder überprüft werden müsse, "ob bestimmte Maßnahmen verhältnismäßig sind oder nicht". Ähnlich hatte sich BfV-Präsident Fromm schon vor Jahren geäußert. Die Beobachtung der Linken scheint in letzter Zeit jedoch eher zugenommen zu haben. Anhaltspunkt dafür sind die im Vergleich zu früheren Ausgaben umfangreicheren Kapitel in den jährlich erscheinenden Berichten des Verfassungsschutzes.

Auf dem rechten Auge blind?

Die neuerliche Debatte über die Beobachtung der Linken findet zu einem für den Verfassungsschutz ungünstigen Zeitpunkt statt. Im November 2011 wurde bekannt, dass die Geheimdienste der Länder und des Bundes offenbar jahrelang nicht mitbekamen, dass eine rechtsextremistische Terrorgruppe Ausländer in Deutschland ermordete. Seither ist Verfassungsschutz mit dem Vorwurf konfrontiert, auf dem rechten Auge blind zu sein. "Das war und ist nicht der Fall", versichert Fromm. Gemessen an den personellen und finanziellen Ressourcen, von denen der "Spiegel" ausgeht, widmet der Verfassungsschutz der rechtextremistischen NPD mehr Aufmerksamkeit als der Linken. Mehr als zehn Stellen, die Kosten von knapp 600.000 Euro verursachten, seien für die NPD eingeplant. Um die Linke sollen sich angeblich sieben Mitarbeiter kümmern, deren Personalkosten sich auf knapp 400.000 Euro beliefen.

Verfassungsbeschwerde eingereicht

Petra Pau, Bundestagsabgeordnete der Linken (Foto: ap)
Ärgert sich: Linken-Abgeordnete PauBild: dapd

Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau hofft nun auf ein baldiges Ende der Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Ihre bereits im Mai 2008 eingereichte Klage ruht derzeit. Im Moment will sie die weitere Entwicklung abwarten. Einen Rückschlag hatte die Linke im Juli 2010 erlitten. Damals erklärte das Bundesverwaltungsgericht in letzter Instanz die Beobachtung des thüringischen Landtagsabgeordneten Bodo Ramelow für zulässig, nachdem er mit seiner Klage zunächst erfolgreich gewesen war. Das letzte Wort ist allerdings noch immer nicht gesprochen. Denn beim Bundesverfassungsgericht ist eine Verfassungsbeschwerde Ramelows anhängig. Eine Entscheidung wird noch in diesem Jahr erwartet.

Autoren: Marcel Fürstenau / Marlis Schaum
Redaktion: Friederike Schulz