1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
KulturGlobal

Wie die Missionarsstellung in die Welt kam

12. November 2024

Warum ist die wohl klassischste aller Sexstellungen nach Missionaren benannt? Wir blicken nicht ins Schlafzimmer, sondern auf den Ursprung dieser erotischen Geschichte zurück.

https://p.dw.com/p/4mQpn
Zwei Paar nackte Füße im Bett
Hat die klassische Missionarsstellung irgendetwas mit der katholischen Kirche zu tun?Bild: Josef Horazny/CTK/IMAGO

Ein seltsamer Name für eine gängige Sexstellung, bei der der Mann oben liegt, die Frau unten. Zu verdanken ist er in der Tat einem berühmten Zoologie-Professor, der bei seinen Recherchen nicht genau hingeguckt hat. Aber der Reihe nach.

Seit dem Jahr 1073 gilt für katholisch geweihte Priester das Zölibat. Keine Ehe, kein Geschlechtsverkehr; solch weltlichen Dinge würden nur von der Hingabe an Gott ablenken. Das bedeutete jedoch nicht, dass auch der Rest der Menschheit enthaltsam sein sollte.

Ein nackte junge Frau in einem Gemälde scheint auf eine Heiligenfigur herabzuschauen.
Sex war für die Männer Gottes tabuBild: Stefan Jaitner/dpa/picture alliance

"Die Kirche braucht natürlich Menschen, die in die Kirche gehen, um die Institution am Leben zu erhalten. Je mehr Kinder man also hat, umso ein besserer Christ ist man", sagte Cinzia Giorgio, Dozentin für Frauengeschichte und Autorin des Buches "Storia erotica d'Italia" (auf Deutsch: "Die erotische Geschichte Italiens").

Die Kirchenvertreter waren überzeugt, dass eine bestimmte Sexstellung für die Zeugung von Babys besonders förderlich sei: genau, die Missionarsstellung - auch wenn sie damals noch nicht so hieß.

Eine plausible und sehr populäre Theorie besagt, dass der Name entstand, weil Missionare heidnischen Völkern nahelegten, auf diese Weise Sex zu haben. Ihr Hintergedanke dabei: Waren sie erst mal zum Christentum übergetreten, würden sie mit ihrer Nachkommenschaft die Anzahl der kirchlichen Schäflein vermehren.

Sex als Kulturkampf - Polen und der Streit um die Sexualmoral

Christliche Sexualmoral  

Eine schöne Theorie, die nur einen Haken hat: Sie stimmt nicht. "Es wurde einfach als selbstverständlich angenommen, dass die Missionarsstellung von christlichen Missionaren stammt", so die Britin Kate Lister, Historikerin und Autorin von "Sex - Die ganze Geschichte" im Gespräch mit der DW. Beweise dafür, dass christliche Missionare diese Sexstellung als einzig wahre Position anpriesen, gebe es aber nicht. "Auch wenn man diese Theorie in Büchern, medizinischen Texten, Wörterbüchern und Forschungsarbeiten findet, so bleibt sie doch ein Gerücht." 

Eine neue Sexualmoral hatten die Missionare für die "Heiden" in aller Welt aber trotzdem im Gepäck. Als die Männer Gottes zum Beispiel den Briten bei der Kolonisierung Indiens halfen, muss ihnen das "Kamasutra", ein uralter Leitfaden für freie Liebe und tabulosen Sex, als Teufelswerk erschienen sein. Sex war etwas Sündhaftes, nur in der Ehe erlaubt und der einzige Zweck war es, Kinder in die Welt zu setzen. 

Erotische Skulpturen auf einem Relief
Der Tempel in Khajuraho zeigt einige Szenen aus dem Kamasutra Bild: Pond5/IMAGO

Sexpapst prägt die Missionarsstellung

Warum aber spricht man immer noch von der Missionarsstellung? "Der Begriff selbst taucht erst in den 1960er-Jahren auf", sagt Lister. Er gehe auf den bekannten US-Zoologen und Sexualwissenschaftler Alfred Kinsey zurück. 

Im Jahr 1948 schrieb Kinsey ein bahnbrechendes Buch mit dem Titel "Das sexuelle Verhalten des Mannes" (Original: Sexual Behavior in the Human Male"). Darin stellte er fest, dass die amerikanische Bevölkerung offenbar eine Sexstellung bevorzugt, bei der der Mann oben liegt. Er nannte sie "die anglo-amerikanische Stellung".

Schwarz-Weiß-Porträt von Alfred Kinsey (1953)
Sexpapst mit Gegenwind: Der Kinsey-Report erschütterte 1948 das prüde Amerika Bild: Everett Collection/picture alliance

Kinsey bezog sich dabei auf die Arbeit des polnischen Anthropologen Bronisław Malinowski, der in den Jahren 1914 bis 1920 nach Australien, Neuguinea und Melanesien gereist war, um die indigenen Völker zu "studieren". In einem seiner zahlreichen Bücher schrieb er über das Sexualleben des Trobriand-Stammes in Papua-Neuguinea.

Kinsey zitierte in seinem eigenen Werk aus diesem Buch, machte dabei jedoch einen entscheidenden Fehler. Er behauptete, Malinowski habe geschrieben, dass die Angehörigen des Trobriand-Stammes über die Art und Weise lachten, wie weiße Männer Sex hatten. Kinsey schreibt, dass sie "zu ihrer großen Belustigung Karikaturen der anglo-amerikanischen Stellung" am Lagerfeuer aufführten - und dass die Einheimischen sie "die Missionarsstellung" nannten.

Von Missionaren war nie die Rede

Doch auch ein promovierter Sexualwissenschaftler ist nicht unfehlbar: Kinsey zitierte Malinowski schlicht falsch. Der hatte zwar geschrieben, dass die Einwohnerinnen und Einwohner der Trobiand-Inseln sich tatsächlich über diese Sexposition lustig machten, dass sie diese aber bei "weißen Händlern, Farmern oder Beamten" beobachtet hätten, so Kate Lister. Von Missionaren war nie die Rede. 

Papua-Neuguinea Insulaner mit Federschmuck
Die Einheimischen in Papua-Neuguinea amüsierten sich über das Verhalten der Weißen Bild: Photoshot/picture alliance

Allerdings prägten die Insulaner den Begriff "Missionarsmode". Er bezog sich auf Weiße, die Händchen hielten, um ihre Zuneigung zu demonstrieren - nicht auf Sex. Bei den Bewohnern der Trobriand-Inseln, auch als "Inseln der Liebe" bekannt, sorgte diese Art der Romantik für Heiterkeit. Sie selbst hielten sich nämlich nicht mit Händchenhalten auf, galt es doch als erstrebenswert, vor der Ehe so viele verschiedene Geschlechtspartner wie möglich zu haben.

Die Legende lebt weiter 

Es war der Anthropologe Robert Priest, der den Mythos über die Entstehungsgeschichte des Begriffs Missionarsstellung zerplatzen ließ. Im Jahr 2001 schrieb er eine Abhandlung mit dem Titel "The Missionary Position: Christian, Modernist, Postmodern" - für die er zahlreiche Texte durchforstete, um die wahre Geschichte hinter dem Namen zu überprüfen. Dabei stellte er fest: "Kinsey dachte, er berichte über historische Fakten, schuf stattdessen aber eine Legende."

Ausgemerzt hat er die Geschichte damit aber nicht; der Mythos, warum die Missionarsstellung so heißt, ist nicht totzukriegen. Es sei eben eine gute und interessante Story, sagt Lister, die längst im öffentlichen Bewusstsein verankert sei.  

Dieser Artikel basiert auf einer Podcast-Episode von Charli Shield, Rachel Stewart und Sam Baker. Der englischsprachigen DW-Podcast "Don't Drink the Milk: The curious history of things" ist auf unserer Website zu hören - oder auf jeder beliebigen Podcastplattform.

DW Mitarbeiterportrait | Rayna Breuer
Rayna Breuer Multimediajournalistin und Redakteurin