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Wie das US-Militär Wüstenschildkröten umsiedelt und schützt

Larry Buhl
9. Mai 2017

Weil eine US-Militärbasis ausgebaut wird, fliegen Soldaten und Biologen knapp 1.000 bedrohte Wüstenschildkröten in einen neuen Lebensraum aus. Risikolos ist die Umsiedlungsaktion allerdings nicht.

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Kleine Wüstenschildkröte
Bild: U.S. Marine Corps / Cpl. Medina Ayala-Lo

In gewisser Weise schwelt zwischen Wüstenschildkröten und US-Militär ein Konflikt. Keine erbitterte Auseinandersetzung zwar, aber doch kein echter Frieden. In der glühend heißen Mojave-Wüste in Südkalifornien stehen sich Mensch und Tier direkt gegenüber. 

Es geht, wie in so vielen militärischen Konflikten, um ein bestimmtes Gebiet: Das Areal, in dem die Wüstenschildkröten leben. Dabei lebten Militärs und Panzertiere für viele Jahre friedlich nebeneinander. Seit 2013 aber droht die Luft eng zu werden für die Schildkröten, nachdem der US-Kongress einen Ausbau des "Marine Corps Air Ground Combat Center" beschlossen hat. Hier wird mit scharfen Waffen geschossen.

Das Ziel für den Waffeneinsatz hier sind nicht die Tiere. Die Waffen werden getestet. Und der Lebensraum der Tiere ist als neues Testgelände ausgesucht worden. Wohin nun mit den Schildkröten? Die Marines, die das Combat Center betreiben, müssen nach einer friedlichen Lösung suchen. Sie müssen die Tiere schützen und Hunderte Schildkröten aus der Gefahrenzone bringen.

Dabei handelt es sich um die größte Umsiedlung dieser Art, die es jemals gegeben hat. Sie hat sogar einen eigenen Namen: "Operation Desert Tortoise", Operation Wüstenschildkröte.

Bedrohte Art

Die Wüstenschildkröte lebt vor allem in der Mojave- und Sonora-Wüste. Laut "United States Endangered Species Act" gilt sie als "bedroht".

Biologen sahen sich das erste Mal in den 1970er Jahren mit einem akuten Sterben der Art konfrontiert. Laut Ileene Anderson, einer Wissenschaftlerin am Zentrum für biologische Vielfalt (CBD) waren Atemwegserkrankungen der Grund dafür. Möglicherweise wurden diese ausgelöst durch Kontakt mit anderen, exotischen Schildkrötenarten, so Anderson.

"Die Leute nahmen Schildkröten aus den Wüsten mit und hielten sie als Haustiere. Manchmal wurden sie auch einfach wieder ausgesetzt", so Anderson. "Es ist möglich, dass das Vermischen mit anderen Arten in Gefangenschaft dazu beigetragen hat, dass sich das Virus verbreitet. Aber bewiesen ist das nicht."

Wüstenschildkröten in einer Plastikkiste
Der Umzug steht kurz bevorBild: U.S. Marine Corps / Cpl. Medina Ayala-Lo

Da nun aber die Schildkröten Schutz genießen, ist es illegal, sie überhaupt anzufassen, wissenschaftliche Arbeit ausgenommen.

Auch Räuber, Kojoten zum Beispiel, sind ein Problem. Für sie sind vor allem die jungen Schildkröten mit ihren weichen, schmackhaften Bäuchen eine Delikatesse. Der Einfluss des Menschen, im Vergleich dazu, ist weitaus größer. Der legt nicht nur illegale Weiden für sein Vieh an, sondern jagt auch mit Geländewagen durch den Lebensraum der Wüstenschildkröten und richtet so enormen Schaden an.

Und wo der Mensch ist, ist sein Müll nicht weit, stehen Telefonmasten herum und lassen sich hungrige Raben nieder, die es auch auf die Schildkröten abgesehen haben. Das sagt Jane Hendron, Sprecherin des "U.S. Fish and Wildlife Service" (FWS) in Carlsbad, Kalifornien.

"Raben sind da, wo die Menschen sind, sie folgen den Menschen, dem Müll, den sie hinterlassen und Telefonmasten sind eine perfekte Aussichtsplattform für die Vögel, um Schildkröten auf dem Boden auszumachen", sagt Herndon.

Ist eine Population erstmal angegriffen, braucht sie lange, um sich zu regenerieren. Schildkröten fangen erst im Alter von 16 Jahren an, sich fortzupflanzen. Zu all den Faktoren kommen noch Jahre der Dürre, so dass die Weibchen keine Eier legen konnten. Was die Schildkröten am wenigsten brauchen können, ist ein Konflikt mit dem Militär.

Riskantes Manöver

Die Schildkröten aufheben und in einen anderen Teil der Wüste versetzen, geht nicht. Der Operation ging eine dreijährige Planungsphase voraus, geleitet von Walter Christiansen, dem Chef der Naturschutzsparte bei den Marines, und Brian Henen, dem technischen Leiter des Projekts. Eine enge Zusammenarbeit mit dem "Department of the Navy", das die Stützpunkte in der Wüste betreibt, war nötig, um einen Umsiedlungsplan zu entwerfen, zu entwickeln und umzusetzen.

2014 begannen Biologen damit, jede Schildkröte, die sie fanden, mit einem Peilsender zu versehen. Am 8. April 2017 begann die heiße Phase von "Operation Desert Tortoise". Mehr als 100 Biologen machten sich auf in die Wüste, um Schildkröten mit Sendern einzusammeln. April ist der optimale Zeitraum dafür, weil Schildkröten sich auf die Suche nach einem Partner machen und so eher zu finden sind.

Vor der nun anstehenden Umsiedlung haben die Biologen die Tiere medizinisch unter die Lupe genommen, auch deren körperliche Verfassung und Blutbild wurden ausgewertet, bevor die 930 Tiere in Plastikkisten gesteckt und mit Helikoptern 20 Kilometer ausgeflogen wurden. Hier befinden sich insgesamt fünf Gebiete, die Wissenschaftler als adäquaten Schildkröten-Lebensraum identifiziert haben. Jeder Schildkröte wurde an einem vorher für sie bestimmten Platz ausgesetzt und direkt im Anschluss überwacht.

Eine Wüstenschildkröte wird untersucht
Vor ihrem Abtransport wurden die Wüstenschildkröten untersuchtBild: U.S. Marine Corps / Cpl. Medina Ayala-Lo

"Über den gesamten Umsiedlungsverlauf wurde jedes Tier mehrere Male genau untersucht", sagt Christiansen.

Das "Combat Center" behält etwa 20 Prozent der frisch umgesiedelten Tiere mit ihren Sendern weiter im Auge. Etwa die gleiche Anzahl bereits seit einiger Zeit umgesiedelter Tiere wird ebenfalls überwacht, so Christiansen. Die Schildkröten in den neuen Gebieten werden auch auf Erkrankungen hin überprüft, damit sie ihre Nachbarn nicht anstecken.

Die Gesamtkosten der "Operation Desert Tortoise" liegen bei fast 50 Millionen US-Dollar (45,8 Millionen Euro). Eine hohe Summe. Damit wird aber auch ein auf 30 Jahre angelegtes Monitoring-Programm finanziert.

Sowohl Christiansen als auch der FWS sagen, die Umsiedlung der Tiere würden das Überleben der Spezies nicht aufs Spiel setzen. Trotzdem gibt es Hinweise darauf, dass umgesiedelte Schildkröten, selbst bei sorgfältigster Planung Schaden nehmen können. Ein Bericht aus dem Jahr 2014 etwa, veröffentlicht in "Animal Conservation", weist auf ernsthafte gesundheitliche Bedrohungen hin, die ein solcher Umzug haben kann.

Und dann schwebt da auch das Erbe von "Fort Irwin" über den aktuellen Ereignissen. Im Jahr 2008 wurden bei einer ähnlichen Umsiedlung von Wüstenschildkröten aus dem "Fort Irwin National Training Center", hohe Sterberaten unter den Tieren beobachtet. Das Gebiet befindet sich auch in der Mojave-Wüste.

Einer Studie aus dem Jahr 2010 zufolge, die in der wissenschaftlichen Zeitschrift "Endangered Species Research" veröffentlicht wurde, war eine Dürre das Hauptproblem und nicht Krankheit oder unzureichende Planung. Die Studie sagte, dass es den Schildkröten im Allgemeinen nicht schlechter ging als ihren Verwandten in anderen Teilen der Wüste.

Das Viertel geht den Bach runter

Jane Hendron von FWS sagt, dass man viel aus den Erfahrungen von "Fort Irwin" gelernt hat. Ein Unterschied ist etwa der Einsatz einer "Head Start"-Einrichtung im aktuellen Fall. Jede Schildkröte, die zu klein ist, um einen Funksender zu bekommen, wurde ins Schildkröten-Forschungszentrum  der Militärbasis verlegt, wo sie aufgezogen und überwacht wird, bis sie für einen Umzug groß genug ist.

Außerdem, sagt Hendron, habe man alles unternommen, um Nachbarn unter den Schildkröten zusammen zu lassen. Wenn sie einander kennen und zusammenhalten, dann ist eine Umsiedlung weniger anstrengend und der Weg in eine neue, sehr ähnliche Umgebung, weniger aufregend.

Schwierigkeiten werden die Schildkröten trotzdem noch haben, sagt Anderson vom CBD.

Ein Hubschrauber im Flug
Obwohl sie nicht weit weg ziehen, ist der Umzug ein aufwendiges UnterfangenBild: U.S. Marine Corps / Cpl. Medina Ayala-Lo

"Die Schildkröten kennen sich noch nicht in der neuen Umgebung aus. Sie kennen keine sicheren Räume, wo sie sich vor Raubtieren schützen können, sie wissen nicht, wo sie Wasser finden", sagt Anderson.

Sie fügt hinzu, dass sich Schildkröten, die sich nicht schnell genug an ihre neue Heimat anpassen können, auf den Weg nach Hause machen könnten. "Wir haben schon Exemplare gesehen, die 15 Kilometer in Richtung ihrer alten Umgebung unterwegs waren."

Aber, sie sagt noch, das tun Schildkröten bekanntlich ziemlich langsam.