Wie das Alphabet entstand
Das Lesen und das Schreiben gehören heute zu den wichtigsten Kulturtechniken überhaupt. Aber wo und wie entstand das Alphabet und wie entwickelte es sich im Lauf der Jahrtausende weiter?
Ganz schön viele Zeichen
Die ersten Belege einer Schriftkultur in China fand man eingeritzt in den Schulterblättern von Ochsen. Entstanden um 1400 vor Christus. Heute besteht die chinesische Schrift aus ca. 50.000 Zeichen. Wenn man 3500 davon lernt, kann man immerhin 98 Prozent eines Textes lesen. Bis Schulkinder das beherrschen, vergehen einige Jahre. Da haben es deutsche Kinder mit 26 Buchstaben deutlich leichter.
Bilder statt Buchstaben
Die ersten Funde von Zeichnungen, die zur Verständigung dienten, liegen noch viel weiter zurück: Mehr als 2000 Figuren und Zeichen wurden in der Höhle von Lascaux in Südfrankreich vor über 20.000 Jahren in den Fels geritzt: Tiere und Menschen, aber keine graphischen Symbole. Daher sprechen Forscher von einer Vorstufe der Schrift, mit der die Menschen der Steinzeit ihr Leben darstellten.
Eingeritzt: die Keilschrift
Die frühesten Schriftzeichen entstanden im Zweistromland Mesopotamien, dem heutigen Irak. Als Erfinder der Keilschrift gelten um 3.300 v. Chr. die Sumerer. Sie kratzten mit einem spitzen Stein Zeichen in Tontafeln. Anfangs stand das Symbol "Fuß" nur für den Körperteil, später wurde es auch mit "gehen" assoziiert und schließlich - eine Revolution - mit einem Laut wie "a".
Magische Worte
Die Ägypter nannten ihre Schrift "Medu Netjer", Gottesworte, und schrieben ihnen magische Kräfte zu. Der heutige Ausdruck "Hieroglyphen" entstammt dem Griechischen und bedeutet "heilige Vertiefungen". Nur ein bis fünf Prozent der Ägypter waren schreibkundig. Der Berufsstand war hoch angesehen: "Werde Schreiber, dann bleiben deine Glieder glatt und deine Hände zart."
Versunkene Welt der Maya
Viele alte Schriften sind bis heute nicht entziffert. So fiel die Hochkultur der Maya den spanischen Eroberern zum Opfer. Bischof Diego de Landa ließ 1562 in einer groß angelegten Zerstörungsaktion Altäre, Bilder und Schriftrollen vernichten; nur vier Manuskripte blieben erhalten. Archäologen konnten rund 800 Schriftzeichen deuten, doch längst nicht alle Rätsel konnten gelöst werden.
Latein ist angesagt
Mit dem Römischen Weltreich trat auch die lateinische Schrift ihren Siegeszug an. Sie entwickelte sich aus dem griechischen Alphabet. Die Römer passten es ihren Bedürfnisse an und fügten fehlende Laute wie G, Y oder Z hinzu. Das "W" kam erst im Mittelalter als 26. Buchstabe dazu. Das lateinische Alphabet ist heute das am weitesten verbreitete der Welt.
Schönschrift, heilige Schrift, Alltagsschrift
Rund 100 Alphabete gibt es rund um den Globus. Bei der arabischen Schrift sind sogar zwei Formen gebräuchlich: eine für den Alltagsgebrauch, die andere für kalligraphische Verzierungen. Anders das hebräische Alphabet. Jahrhunderte lang war es religiösen Texten vorbehalten. Das änderte sich erst 1948 mit der Gründung des Staates Israel: Hebräisch wurde zur offiziellen Schrift- und Amtssprache.
Eine revolutionäre Erfindung
In diesem Museum in Mainz liegt das älteste Buch der Welt: die Bibel. 1452 erfand Johannes Gutenberg bewegliche Metalllettern und wagte sich an den Druck der Heiligen Schrift. Für 200 Exemplare brauchte er zwei Jahre. Ohne seine Erfindung gäbe es heute keine Schulbücher. Am wenigsten lernen müssen übrigens die hawaiianischen Kinder: Ihr Alphabet besteht nur aus 12 Buchstaben und einem Symbol.
Von der Handschrift zur Maschine
Jahrhundertelang schrieb der Mensch mit der Hand - doch die industrielle Revolution brachte technische Erleichterungen mit sich. Statt des Gänsekiels kamen Füllfederhalter und Kugelschreiber auf den Markt - und schließlich die Schreibmaschine. Je nach Bedarf mit einem "ß" für die Deutschen oder einem "ñ" für die Spanier. Im Geschäftsleben gehörten unleserliche Briefe so der Vergangenheit an.
Willkommen im 21. Jahrhundert
Trotzdem schrieben die Menschen weiterhin auf Papier und druckten ihre Bücher wie einst Gutenberg – bis der Computer auf den Markt kam. Einst ein Monstrum in der Forschung ist er heute als PC omnipräsent. Seine binären Codes haben eine neue Ära der Schrift eingeleitet. Die Abfolge von Nullen und Einsen müssen aber nur Programmierer kennen - am Bildschirm erscheint das Alphabet, wie wir es kennen.
Alphabetisierung? Nicht für alle
Trotz aller technischen Entwicklungen ist Bildung immer noch keine Selbstverständlichkeit. Weltweit können 781 Millionen Menschen nicht lesen und schreiben, vor allem in Indien und Afrika. Die meisten sind Frauen. Auch in Deutschland gibt es noch 7,5 Millionen Analphabeten. Seit 1966 erinnert die UNESCO am 8. September, dem Welttag der Alphabetisierung daran, wie wichtig Bildung für alle ist.