Widerstand gegen den Wettbewerb
12. Dezember 2012Dieter Lenzen hat genug. Mehrmals pro Woche, sagt der Präsident der Universität Hamburg, gehe bei seiner Hochschule mittlerweile eine Ranking-Anfrage ein. Für eine Vergleichsliste solle die entsprechende Abteilung dann alle möglichen Zahlen heraussuchen: Wie viele Professoren es gibt und wie viele Studierende, wo die Absolventen unterkommen und wie viele Artikel ein Professor im Jahr durchschnittlich veröffentlicht, wie groß die Labore in bestimmten Fächern sind und welche Fachzeitschriften in der Bibliothek ausliegen.
"Diese Anfragen binden im Augenblick bei uns eine ganze Abteilung mit zwölf Mitarbeitern", klagt Dieter Lenzen. "Diese Kollegen tun nichts anderes, als Daten zu generieren und aufzuarbeiten." Die Uni-Leitung hat deshalb die Reißleine gezogen: An solchen Umfragen zu Rankings, Absolventenstudien und Uni-Vergleichen werde man sich ab sofort nicht mehr beteiligen, teilte die Universität Hamburg im Herbst mit.
Aufrufe zum Ranking-Boykott
Dieter Lenzen nennt dafür gleich mehrere Gründe. Neben dem enormen Bearbeitungsaufwand sehe er schlicht nicht ein, dass sich die akademischen Einrichtungen bei solchen Rangliste gegeneinander ausspielen lassen: "Wir haben die Verpflichtung, für die jungen Leute halbwegs gleich gute Bildungsangebote zu machen und gerade nicht die Einrichtungen in einen Wettbewerb gegeneinander zu hetzen, in dem es am Ende viel mehr Schlechte als Gute gibt – jedenfalls in den Rankings."
Die Ranglisten, sagt Lenzen, vermitteln nämlich ein stark verkürztes Gesamtbild der beteiligten Unis – keine Hochschule sei nur top oder flop, es gebe immer Schattierungen. Und auch bei den Ranking-Verlierern könne man gut studieren – selbst wenn die Rankings einen gegenteiligen Eindruck vermittelten. Mit dieser Kritik steht der Hamburger Uni-Präsident nicht alleine: Auch die Uni Leipzig hat einen vorläufigen Ranking-Stopp beschlossen. Und der Historikerverband, der größte deutsche Verband von Geschichtswissenschaftlern, ruft seine Mitglieder ebenso zum Ranking-Boykott auf wie die Deutsche Gesellschaft für Soziologie.
Bei 4000 Hochschulen den Durchblick behalten
Gero Federkeil dagegen gehört zu den Ranking-Befürwortern. Er ist Projektleiter für Rankings beim Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), einem Think-Tank, der sich mit Hochschulfragen beschäftigt und das nationale CHE-Ranking in Deutschland herausgibt. Außerdem hat das CHE in einer Pilotstudie für die Europäische Kommission untersucht, wie ein europäisches Hochschulranking aussehen könnte. Denn die bisherigen internationalen Rankings, sagt Gero Federkeil, bieten für Studierende bei der Uni-Wahl in Europa wenig Hilfe.
Für Studierende nur begrenzt informativ
Weltweit bekannt sind stattdessen etwa das Shanghai-Ranking oder die Rangliste des Times Higher Education Supplement. "Zum einen sind das globale Rankings. Das hat zur Folge, dass in beiden Rankings relativ wenig europäische Hochschulen vorkommen", sagt Gero Federkeil. "Zum anderen beziehen sich die beiden Rankings in allererster Linie auf die Forschung und sind damit natürlich für Studierende, die an Informationen über Studiengänge, über Studium und Lehre interessiert sind, nur begrenzt informativ."
Federkeil sieht deshalb durchaus eine Berechtigung für nationale und internationale Ranglisten – wenn sie die studentische Perspektive abbilden. Denn schließlich gibt es in Deutschland über 300, europaweit sogar rund 4000 Hochschulen. Wer da den Durchblick behalten will, sagt der CHE-Projektleiter, komme an vergleichenden Ranglisten eigentlich nicht vorbei.