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Wer hat das Sagen bei Wikipedia?

12. Januar 2011

Die Idee war verheißungsvoll: eine freie Online-Enzyklopädie, an der jeder mitarbeiten kann. Das Konzept ist aufgegangen, völlig demokratisch aber geht es bei Wikipedia nicht zu, sagt der Soziologe Christian Stegbauer.

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Schriftzug und Logo der freien Internet-Enzyklopädie "Wikipedia" in mehreren Sprachen

Deutsche Welle: Herr Stegbauer, seit zehn Jahren gibt es die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Die deutschsprachige Version hat inzwischen über vier Millionen Besucher am Tag. Die Zahl derer, die aktiv an Wikipedia arbeiten, ist hingegen erstaunlich klein – gerade mal 1000 Leute. Sie haben zu Wikipedia geforscht, wie demokratisch ist Ihrer Einschätzung nach die Online-Enzyklopädie wirklich?

Christian Stegbauer: Die Anzahl der Mitarbeiter sagt ja noch nichts darüber aus, ob es demokratisch zugeht oder nicht. Wir haben das untersucht und festgestellt, dass im Grunde genommen sogar weniger als 1000 Leute Wikipedia in der Hand haben.

Wie viele haben Sie gefunden?

Verwischte Computertastatur (Foto: bilderbox)
Wer darf Inhalte löschen...?Bild: bilderbox

Es gibt eine Art Führungsschicht, die Administratoren. Derzeit sind das etwas mehr als 300. Dazu kommen noch ein paar sehr Engagierte, die aber diesen Administratorenstatus nicht haben. Das Interessante dabei ist, dass die Administratoren, die ja gewählt werden, durch diese Wahl eine gewisse demokratische Legitimation haben. Andererseits beteiligt sich nur ein Teil der Aktiven an der Wahl, und viele von ihnen sind bereits Administratoren. Es kommt also auch darauf an, von wem man vorgeschlagen wird. Kommt der Vorschlag von einem Administrator, sind die Chancen gewählt zu werden wesentlich besser, als wenn ein anderes Mitglied jemanden vorschlägt.

Administratoren – das sind die Leute, die letzten Endes über die Inhalte entscheiden, die auf der Seite bleiben dürfen?

Ja und nein. Eigentlich soll ein Administrator keine Leitungsfunktion haben. Aber er kann Artikel löschen und Teilnehmer sperren, wenn sie Unsinn machen.

Wenn nur ein relativ kleiner Personenkreis löschen und sperren kann, ist das noch demokratisch aus Ihrer Sicht?

Christian Stegbauer (Quelle: http://de.wikipedia.org)
Christian Stegbauer (Foto stammt aus Wikipedia)Bild: Rob Irgendwer (Gerd Seidel)/by/sa

Aus meiner Sicht ist das eine organisatorische Notwendigkeit. Dazu gibt es ja so etwas wie Wahlen. Die Frage ist, wie demokratisch die Wahlen sind. Aber auch da gibt es Argumente dafür, dass man das so machen kann.

Finanziert wird Wikipedia durch Spenden. Wer spendet da eigentlich und mit welchen Interessen?

Es sind sehr viele Spender und es sind vor allem sehr viele Kleinspender. Man kann als Spender einen Kommentar abgeben, und da stehen dann öfters mal Dinge wie: "Ich bin Student und habe viel von Wikipedia profitiert. Ich kann nicht viel spenden. Hier habt ihr meine fünf Euro. Macht weiter so."

Dahinter steckt also wirklich ein Enthusiasmus von Menschen, die sich für etwas engagieren wollen?

Bei vielen trifft das zu. Es gibt natürlich gelegentlich auch Firmenspenden. Aber es wird nicht groß kundgetan, welches Unternehmen für Wikipedia gespendet hat. Es ist auch deutlich weniger attraktiv als beispielsweise als Sponsor irgendwo öffentlich in Erscheinung zu treten.

Verbirgt sich dahinter auch das Interesse, bestimmte Informationen zu lancieren?

Das gibt es natürlich auch, und zum Teil wird es auch als legitim angesehen. Es gibt sicherlich Mitarbeiter von Autoherstellern, die mitschreiben, wenn es darum geht, Modelle vorzustellen. Das ist sicherlich im Interesse des Herstellers, aber es ist auch im Interesse der Allgemeinheit, die etwas über diese Modelle wissen will. Kritisch wird es, wenn Berichte geschönt werden. Wenn zum Beispiel über Mängel an den Autos berichtet wird, und die Mitarbeiter des betroffenen Autoherstellers würden die entsprechenden Zeilen einfach löschen.

Kommt das vor?

Für dieses Beispiel kann ich es nicht sagen, aber es sind verschiedene Dinge aufgedeckt worden, die Skandale waren. Da gab es einen ehemaligen Siemensvorstandsvorsitzenden, an dessen Biographie die PR-Abteilung von Siemens beteiligt war. In einigen US-amerikanischen Wahlkämpfen wurden die Biographien von Politikern verändert, und man hat aufgedeckt, dass in den USA der Geheimdienst CIA an der Wikipedia mitgeschrieben hat.

Was empfehlen Sie Nutzern in Anbetracht der Tatsache, dass man weiß, dass es solche gezielten Informationsstreuungen gibt?

Man sollte sich Inhalte immer kritisch ansehen und durchaus gucken, ob es vorherige Versionen des Textes gibt. Und man sollte sich auch nicht ganz auf Wikipedia verlassen. Das sagen auch die Wikipedianer selbst. Das ist nicht unbedingt ein Widerspruch zu der Qualität, aber ein Hinweis darauf, dass man Dinge, die irgendwo geschrieben stehen, nicht unkritisch übernehmen sollte.

Das Interview führte Aya Bach

Redaktion: Petra Lambeck