1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Madaja: Leben in einer belagerten Stadt

Rahel Klein
28. September 2016

40.000 Menschen kämpfen in der belagerten syrischen Stadt Madaja ums Überleben. Rajaai Bourhan ist einer von ihnen. Im Interview erzählt er, wie der Alltag ohne Strom und Gas und mit 200 Gramm Reis pro Tag aussieht.

https://p.dw.com/p/2QgGQ
Rajaai Bourhan (Foto: privat)
Rajaai Bourhan lebt seit zwei Jahren in Madaja, die Stadt ist rund 50 Kilometer von Damaskus entfernt

DW: Herr Bourhan, Madaja wird seit mehr als einem Jahr belagert, am Wochenende sind zum ersten Mal seit sechs Monaten endlich wieder Hilfslieferungen angekommen. Was wurde am dringendsten benötigt und wie groß war die Erleichterung in der Stadt?

Rajaai Bourhan: Wir haben ein Wort dafür im Arabischen, wir sagen "Aid", also ein Tag zum Feiern. Die UN hat uns Zucker und Mehl gebracht, das war das Wichtigste. Jetzt können wir endlich wieder Brot backen, da haben wir sehr lange drauf gewartet. Außer Reis und Bulgur haben wir nämlich nichts. Die Lieferungen dürften für einen Monat oder anderthalb ausreichen, je nachdem. Wir rationieren uns unsere Vorräte, damit wir möglichst lange zu essen haben. Ansonsten haben sie auch noch Kichererbsen, Medizin und Solar-Ladegeräte für unsere Telefone mitgebracht.

Karte Syrien Madaja Deutsch

Anfang des Jahres wurde viel über die Hungersnot in Madaja berichtet, Dutzende Menschen sollen verhungert sein. Wie ist die Lage nach den Hilfslieferungen mittlerweile?

Das Leben in Madaja ist in gewisser Weise wie früher in der Sowjetunion: Wir haben alle das Gleiche zu Essen. Pro Person sind das 200-300 Gramm Reis oder Bulgur am Tag, einfach nur gekocht, ohne Salz oder Öl.

Manchmal esse ich auch einfach nichts und gehe hungrig schlafen, weil ich einfach keinen Reis mehr sehen kann. Ich habe früher viel Krafttraining gemacht. Man kann sagen, ich war dick (lacht). Ich habe 93 Kilo gewogen. Jetzt bin ich ziemlich dürr, weil ich so viel Gewicht verloren habe.

Reis (Foto: Rajaai Bourhan)
200 Gramm Reis oder Bulgur am Tag: Viel mehr gibt es für die Menschen in Madaja nicht zu essen

Gibt es Ärzte oder ein Krankenhaus?

Ein Krankenhaus nicht, aber ein medizinisches Zentrum. Wir haben einen Zahnarzt, der eigentlich noch studiert und einen Tierarzt, aber keine normalen Ärzte. Aber die Beiden tun ihr bestes und kümmern sich um die Menschen.

Wie muss man sich den Alltag in einer belagerten Stadt vorstellen? Gibt es noch Arbeit? Was tun die Bewohner den ganzen Tag?

Wir haben keinen Strom mehr, es gibt keine Arbeit, aber jeder hat so sein eigenes Hobby. Ich liebe Geschichte, deshalb lese ich viele Bücher. Das ist das Einzige, was ich machen kann. Meine Freunde sind alle nicht mehr in Madaja, deshalb bin ich meistens ziemlich allein.

Was fehlt Ihnen aus ihrem früheren Leben am meisten?

Die Uni. Ich würde so gerne wieder studieren. Ich habe in Damaskus Wirtschaft studiert, musste die Uni im Jahr 2011 verlassen, weil ich mich an Protesten gegen das Regime beteiligt habe und festgenommen wurde. Nach zwei Monaten, als ich wieder frei war, habe ich mich nicht getraut zurückzugehen und habe danach in meiner Heimat in Zabadani gelebt. Dann sind wir geflohen. Seit zwei Jahren lebe ich jetzt mit einem Teil meiner Familie in Madaja.

Rajaai Bourhan
Vor vier Jahren war Rajaai noch deutlich kräftiger. Durch die Essens-Rationierungen hat er fast 30 Kilo abgenommenBild: privat

Was bereitet Ihnen momentan am meisten Sorgen?

Wir brauchen dringend Treibstoff. Der Winter kommt, und wir haben nichts mehr zum Heizen oder zum Kochen. Wir verbrennen Plastik, damit wir Kochen können. Im Winter wird es sehr kalt, wir haben zwar Decken, aber bräuchten Strom und Diesel. Die UN hat versprochen, bald wieder zu kommen und etwas mitzubringen und wir hoffen, dass sie vor dem Winter kommen.

Könnten Sie die Stadt irgendwie verlassen, fliehen?

Wir sind von der Armee und der Hisbollah umzingelt. Es gibt viele Checkpoints, ich kann sie von mir aus sehen. Viele haben versucht Madaja zu verlassen und sind getötet worden, oder sie haben durch eine der vielen Landminen ihr Bein verloren. Vielleicht werden wir irgendwann evakuiert, so wie die Menschen in Daraja, und dann in den Norden gebracht.

Auch wenn ich nicht mehr studiere, in einem Haus lebe, das nicht mir gehört, immer dasselbe esse und es keinerlei Fortschritt in meinem Leben gibt: Ich will eigentlich nicht weg aus meiner Heimat. Wenn wir Madaja verlassen, ist es, als hätten sie gesiegt.

 

Rajaai Bourhan ist 26 Jahre alt und lebt in der belagerten syrischen Stadt Madaja.

Das Gespräch führte Rahel Klein.