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Politik

Wenn der Dialog zur Mogelpackung wird

Richard A. Fuchs
14. August 2018

Sprechen wir über die Europäische Union! Mit diesem Versprechen touren Regierungsmitglieder derzeit durchs Land. Doch ausgerechnet EU-Befürworter sagen jetzt: Echte Bürgerbeteiligung sieht anders aus.

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Deutschland EU-Bürgerdialog in Eberswalde
Bild: DW/R. Fuchs

Auf den ersten Blick scheint es die Bundesregierung in Sachen Bürgerbeteiligung in der Europäischen Union (EU) jetzt ernst zu meinen. Die Bundesbürger sollen bei der deutschen EU-Politik künftig ein gewichtiges Wort mitreden können. Deshalb organisieren das Kanzleramt und die Ministerien 100 EU-Bürgerdialoge, die seit Mai im ganzen Land stattfinden. Erklärtes Ziel ist es, im Dezember mit einer Liste von Vorschlägen auf den EU-Gipfel in Brüssel zu reisen, als sichtbarem Beweis, dass die Stimme der Bürgerinnen und Bürger zählt.

Soweit die Theorie, die derzeit mit Leben gefüllt wird, wenn Minister, Staatssekretäre und selbst die Kanzlerin quer durch die Republik touren. Die Idee stammt von Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, der mit Bürgerkonventen die europäische Idee wiederbeleben will. Jetzt wird das in Deutschland planstabsmäßig umgesetzt, mit durchaus gehörigem Aufwand: Wirtschaftsminister Peter Altmaier stellt sich in der brandenburgischen Provinz den Fragen der Bürgerinnen und Bürger. Bundesjustizministerin Katharina Barley reist ins rheinland-pfälzische Trier. Am Dienstag ist die Kanzlerin zu Gast in der thüringischen Studentenstadt Jena. Im Zentrum aller EU-Bürgerdialoge steht der jeweilige Spitzenpolitiker, die jeweilige Spitzenpolitikerin. Und genau darin sehen die EU-politischen Spitzenverbände in Deutschland ein Riesenproblem.

Deutschland EU-Bürgerdialog in Eberswalde
Wirtschaftsminister Peter Altmaier ist ein glühender Befürworter der europäischen Zusammenarbeit. Ob er beim Bürgerdialog die EU erklären sollte, oder besser einfach mal den Bürgern zuhören müsste, das fragen sich derzeit viele Bild: DW/R. Fuchs

Selle: "Wenn Bürgerdialoge zur Zukunft Europas, dann richtig"

"Es reicht nicht, dass die Bürger den Ministern Fragen stellen dürfen, sondern es geht vielmehr darum, dass ein Politiker zuhören muss und vielleicht auch mal nicht in der ersten Reihe steht", sagt Linn Selle, Präsidentin der Europäischen Bewegung Deutschland, im Gespräch mit der DW. Selle repräsentiert den wichtigsten EU-politischen Interessenverband in Deutschland, mit knapp 250 Mitgliedsorganisationen. Die jetzt von der Bundesregierung lancierte "Roadshow" in Sachen Europäische Union hält sie für im Grundsatz richtig, aber in der Umsetzung für verfehlt. "Unsere Sorge ist, dass dieser Dialog nicht hält, was vollmundig versprochen wurde, und dass das den Frust und die Enttäuschung bei den Bürgerinnen und Bürgern sogar noch verstärkt."

Pro-europäische Interessenverbände hatten der Bundesregierung im Vorfeld einen Kriterienkatalog für einen Dialog auf Augenhöhe formuliert. Genützt hat es anscheinend nichts. Von neun geforderten Punkten erfüllt die Bundesregierung derzeit aus Sicht der Verbände keinen einzigen zur Gänze. So werde die Agenda der Treffen zu stark von den Ministerien, und zu wenig von den Bürgern selbst bestimmt. Und es bleibe weitgehend unklar, wie die Bundesregierung mit den Ergebnissen der Treffen umgehen wolle. Eine Blackbox statt echter Transparenz, auch das sei Gift für die Glaubwürdigkeit der europäischen Idee, findet Selle. Und selbst die Art und Weise, wie die Bundesregierung zu den EU-Bürgerdialogen einlade, mit Zeitungsannoncen und direkten Einladungen, sei fragwürdig. "Man hat im Grunde nicht näher darüber nachgedacht, wie man Leute erreicht, die nicht ohnehin zu solchen Bürgerdialogen kommen würden." Organisiert die Bundesregierung hier also eine Roadshow unter EU-Freunden - und scheut so die direkte Konfrontation mit EU-Skeptikern?

Linn Selle
Linn Selle, Präsidentin des Netzwerks Europäische Bewegung Deutschland, hier bei einem Kongress im Auswärtigen Amt Bild: EBD/K. Neuhauser

Guérot: "Es ist ja überhaupt nicht mehr klar, was Europa ist"

Für Ulrike Guérot, Professorin für Europapolitik und Demokratieforschung an der Donau-Universität Krems in Österreich, fehlt es vor allem an einer klaren Zielvorgabe, was die Dialoge erreichen sollen. Im Gespräch mit der DW sagt sie: "Früher wurde darüber gestritten, ob Europa den Binnenmarkt einführen soll, oder, ob die Osterweiterung kommt." Im Moment fehle dieses klar bestimmbare Ziel, weshalb viele der "nett gemeinten" Dialogversuche ins Leere liefen. Viel zielführender sei es da, wenn sich die Staats- und Regierungschefs EU-27 auf gemeinsame Leuchtturmprojekte für die Zukunft einigen würden, um diese dann vor der Umsetzung in europäischen Bürgerdialogen zur Diskussion zu stellen. Ein Beispiel könnte für die Wissenschaftlerin die Einführung einer einheitlichen europäischen Arbeitslosenversicherung ab dem Jahr 2035 sein. "Damit hätten wir echt viel Stoff zu diskutieren, ob wir das wollen, und wenn ja, was das eigentlich heißt."

Ulrike Guerot
Ulrike Guerot ist Professorin für Europapolitik und Demokratieforschung an der Donau Universität Krems (Österreich) und Direktorin des European Democracy Lab in Berlin Bild: picture-alliance/Geisler-Fotopress/C. Hardt

Zu beachten sei allerdings auch, dass die EU beziehungsweise Europa inzwischen ein hochpolitischer, hochumstrittener Begriff geworden sei. "Es ist ja überhaupt nicht mehr klar, was Europa ist", sagt die Europawissenschaftlerin, die auch das European Democracy Lab in Berlin leitet. Für die einen bedeute es den Schutz vor Terror, für die anderen das Leid der europäischen Sparpolitik. Für die Dritten gehe es vor allem um Flüchtlinge und Sicherheit. Und so hätten sich die Diskussionen in Thessaloniki, Porto, Helsinki und Göttingen teilweise voneinander entkoppelt. "Wenn wir das mit den Bürgerdialogen also richtig machen wollten, müssten wir die unterschiedlichen Dialoge miteinander verknüpfen, um zu schauen, finden wir gemeinsame Schnittmengen, haben wir alle das Gleiche erlebt." Kurz, die Sache mit den EU-Bürgerdialogen scheint durchaus komplizierter zu sein, als es auf den ersten Blick scheint. In jedem Fall gilt also: Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht.