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UN prangern Hunger in Syrien an

Bettina Marx12. März 2014

In Syrien herrscht drei Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs Hunger. Millionen Menschen sind auf Lebensmittelhilfe angewiesen. Für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen eine riesige Herausforderung.

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Essensausgabe der UN in der umkämpften Stadt Aleppo (Foto.dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Ich komme zu Ihnen als Botschafter der syrischen Kinder, die gestern hungrig zu Bett gehen mussten", sagt Muhannad Hadi, Nothilfekoordinator des Welternährungsprogramms (WFP) der Vereinten Nationen. Der Jordanier kann seine Gefühle nicht verbergen, wenn er über die Lage in Syrien spricht. "Es ist so traurig", sagt er deprimiert. Fast über Nacht seien die Menschen in dem arabischen Land zu Flüchtlingen und zu Bettlern geworden. Kinder, die noch vor kurzem zur Schule gingen, seien nun obdachlos. Eltern, die einem einträglichen Beruf nachgegangen seien, wüssten nicht, wie sie ihre Familien ernähren sollten.

Hadi kennt Syrien gut, er hat jahrelang dort gelebt und als Regionaldirektor des WFP gearbeitet. Seit einem Jahr organisiert er nun von Jordanien aus die Versorgung der Menschen in Syrien und in den Flüchtlingslagern in den Nachbarländern. Sein Fazit: Die Syrienkrise ist die größte und teuerste Krise weltweit. Mehr als ein Drittel der ursprünglichen Bevölkerung des Landes ist von Hunger bedroht.

Muhannad Hadi, WFP- Nothilfekoordinator für Syrien (Foto: WFP)
Nothilfekoordinator Muhannad Hadi ist regelmäßig vor Ort unterwegs.Bild: WFP/Syrien

Schwierige Hilfe

40 Millionen US-Dollar benötigt das Welternährungsprogramm pro Woche, um die Bedürftigen zu ernähren. "Jeden Monat fahren wir mit 3000 Lastwagen durch Syrien und bringen Lebensmittel zu den Menschen", berichtet der Nothilfekoordinator. Es ist eine gefährliche Mission, denn immer wieder werden die Mitarbeiter und Helfer an Checkpoints angehalten, bedroht und belästigt und allzu oft auch zurück geschickt.

"Zwischen Damaskus und Aleppo (das Artikelbild zeigt eine Essensausgabe in der umkämpften Stadt) gibt es zwischen 40 und 50 Checkpoints", so Hadi. Sie werden von Regierungstruppen oder von oppositionellen Milizen betrieben und machen den Helfern das Leben schwer.

UNICEF: Millionen syrische Kinder traumatisiert

Aus diesem Grund konnte das Welternährungsprogramm im letzten Monat nur 3,8 Millionen Notleidende in Syrien selbst erreichen. 4,5 Millionen Menschen sind aber auf die Hilfe angewiesen. Sie benötigen die Pakete mit den wichtigsten Grundnahrungsmitteln wie Mehl, Salz, Reis, Hülsenfrüchte und Konserven, die von der UN-Organisation verteilt werden.

Hungernde Kinder

Darüber hinaus müssen 240.000 Kinder mit Spezialnahrung unterstützt werden, um Entwicklungsstörungen infolge von Mangel- und Unterernährung zu vermeiden. Denn überall in Syrien leiden die Menschen drei Jahre nach Beginn des Aufstands gegen das Regime von Staatschef Bashar al-Assad Hunger. Viele Familien haben aufgrund der mangelhaften Versorgung ihre täglichen Mahlzeiten von drei auf zwei reduziert, mit dramatischen Folgen für die Kinder, die besonders auf ausgewogene Ernährung angewiesen sind.

Kinder im Flüchtlingslager Zaatari in Jordanien erhalten energiereiche Spezialnahrung (Foto: WFP)
Kinder im Flüchtlingslager ZaatariBild: WFP/Dina Elkassaby

"Wir wissen, dass die ersten 1000 Tage im Leben eines Kindes besonders wichtig sind für seine Entwicklung. Wenn es in dieser Zeit nicht ausreichend Nahrung erhält, wird das Kind für sein ganzes Leben geschädigt", erläutert Hadi. Inzwischen könne man schon von einer ganzen Generation sprechen, die mit der Erfahrung des Krieges aufwachse, mit dem Lärm der Bomben, mit Tod und Hunger. "Für mich als Vater von drei Kindern, die im Nahen Osten leben, ist das sehr schmerzhaft."

Flüchtlinge und Eingeschlossene

Außerhalb von Syrien sind 2,9 Millionen Flüchtlinge auf Hilfe angewiesen. Sie werden vom WFP mit Gutscheinen versorgt, mit denen sie das einkaufen können, was sie brauchen. "Dieses Verfahren reduziert die Spannungen mit der lokalen Bevölkerung in den umliegenden Ländern, die ebenfalls unter Armut und schlechten Bedingungen leidet", erklärt Hadi. Außerdem sei das Gutschein-System eine direkte Investition in die Wirtschaft von Jordanien, dem Libanon und dem Irak

Doch es gibt auch Menschen, die das Welternährungsprogramm nicht erreichen kann. Zum Beispiel die in der Stadt Homs oder in dem palästinensischen Flüchtlingslager Yarmouk Eingeschlossenen. Seit Monaten werden diese und andere Orte von Regierungstruppen belagert, beschossen und ausgehungert. "Wir schaffen es nicht, die Menschen dort mit Nahrungsmitteln zu versorgen", sagt Hadi resigniert. Die UN-Organisation komme in die rund 40 belagerten Gebiete nicht hinein und könne nur denen helfen, die fliehen könnten. Nach Angaben von Aktivisten sollen in Yarmouk schon mehr als 100 Menschen verhungert sein, eine Zahl, die Hadi weder bestätigen noch widerlegen kann.

Unsichere Zukunft

Sorgenvoll schauen die Helfer auch in die Zukunft. Für das Jahr 2014 benötige das Welternährungsprogramm mindestens zwei Milliarden Dollar zur Bewältigung der humanitären Folgen der Syrien-Krise, sagt der Leiter des WFP-Büros in Berlin, Ralf Südhoff. Bisher wurden von den Geberländern aber nur 300 Millionen zugesagt. Seit März seien daher die Lebensmittelrationen gekürzt worden und eine weitere Reduzierung sei wahrscheinlich. Damit reiche die Kalorienzufuhr aber nicht mehr aus, um ein gesundes Leben zu gewährleisten.

Deutschland habe im letzten Jahr insgesamt 350 Millionen Euro für humanitäre Hilfe zur Verfügung gestellt, darunter 200 Millionen für Syrien. "In diesem Jahr werden wir viel weniger bekommen", befürchtet Südhoff. Bislang habe Berlin nur 80 Millionen zugesagt. Aber: "Hoffentlich ist das nicht das letzte Wort."

Gespräch im BMZ

Nothilfekoodinator Hadi sprach in Berlin am Mittwoch auch mit dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Thomas Silberhorn. Dieser bezeichnete es als ein Kriegsverbrechen, das Aushungern der Bevölkerung als Waffe einzusetzen. Die Bundesregierung werde sich im Kreis der EU-Partner dafür einsetzen, "den Druck auf die Konfliktparteien zu erhöhen, um den Zugang der notleidenden Bevölkerung zu Hilfsleistungen zu gewährleisten". Hadi bestätigte, dass der fehlende Zugang zu den Menschen ein gravierendes Problem darstelle, verwies aber auch auf die drastische Unterfinanzierung der internationalen Hilfsprogramme. Es wäre tragisch, wenn zwar sukzessive der Zugang zu den Menschen möglich würde, die Hilfsleistungen aber nicht ausreichend finanziert seien.

Hadi dankte für die bisherige deutsche Unterstützung des Welternährungsprogrammes im Kontext der Syrien-Krise in Höhe von 55 Millionen Euro. Deutschlands Beitrag zur Linderung der Folgen der Syrienkrise seit 2012 beträgt laut BMZ rund 482 Millionen Euro.