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Weihnachten mit Flüchtlingen

Klaus Krämer23. Dezember 2015

Auf der einen Seite: Reichtum, zur Schau gestellt in geschmückten Auslagen. Auf der anderen Seite die Armut der Flüchtlingslager. Nun der Brückenschlag: Viele tausend Christen feiern gemeinsam mit Migranten Weihnachten.

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Drei Flüchtlinge - Richmelle Schulte mit Ashkan (l.) und Ben (r.) aus dem Iran
Bild: DW/K. Krämer

Deutschland erstrahlt im weihnachtlichen Lichterglanz, Straßen und Fassaden sind dekoriert. Kaufhäuser quellen über vor Geschenk- und Konsumartikeln, es herrscht Feierstimmung. Vis-à-vis Flüchtlingscamps und Asylbewerberheime randvoll mit Menschen, die kaum mehr etwas besitzen außer dem Leben. Not, Verfolgung, Gewalt, Flucht, Kulturschock, Einsamkeit. Vielen fehlt die Perspektive. Die Deutsche Evangelische Allianz (DEA) möchte an diese unheilvolle Ereigniskette neue Glieder schmieden: Zuwendung, Erbarmen, Gemeinschaft, menschliche Nähe, konkrete Hilfe. Bereits im November startete sie die Aktion "Willkommen zu Weihnachten". "Wir möchten damit ein Signal an all die Menschen aussenden, die zu uns kommen", so der DEA-Vorsitzende Michael Diener im DW-Gespräch.

"Weihnachten ist das Fest der Familie und wir wollen unseren Freunden und unseren Mitgliedern Mut machen, gerade zu diesem ganz besonderen Termin Flüchtlinge und Menschen mit Migrationshintergrund in unsere Familien und Gemeinden aufzunehmen." Die DEA ist ein Netzwerk von rund 1,3 Millionen Christen aus evangelischen Landes- und Freikirchen sowie Gemeinschaften. In etwa 1100 örtlichen Allianzkreisen bilden sie eine Art innerprotestantische Ökumene. Außerdem engagieren sich 230 Organisationen, Werke und Gruppen in diakonischen, pädagogischen, missionarischen und publizistischen Arbeitsfeldern. Dazu gehört auch die Stiftung Marburger Medien, ein christlicher Verlag, der Gemeinden mit geeigneter Literatur versorgt und in Fragen der Öffentlichkeitsarbeit berät. Hier wurde ein Paket geschnürt, das einen Leitfaden für Einladende enthält, aber auch Material für die Gestaltung gemeinsamer Weihnachtsfeiern. Einladungskarten, ein Magazin und eine DVD gibt es auf deutsch, englisch, arabisch und persisch. Die meisten Flüchtlinge, die derzeit nach Deutschland kommen, sind Muslime. Bei der Gestaltung der gemeinsamen Weihnachtsfeier sei "der Fantasie keine Grenzen gesetzt", betont Diener. Deshalb seien die vorgeschlagenen "4 G" nur als Empfehlung zu verstehen: Gemeinsame Mahlzeit, Gespräch und Austausch in gastfreundlicher, respektvoller Atmosphäre, Geistlicher Impuls (Weihnachten erklären) und ein gemeinsamer Gottesdienstbesuch.

Michael Diener Theologe und Buchautor
Michael DienerBild: Antje Römer

Weihnachten mit Migranten im Bergischen Land

Einige der inzwischen 3500 verschickten Informationspakete zur Aktion "Willkommen zu Weihnachten" hat die Evangelische Freikirche im oberbergischen Lindlar bestellt. Dabei ist sie in Sachen Flüchtlingsarbeit längst keine Anfängerin mehr. Vor 20 Jahren aus einem Hauskreis entstanden, hat sie heute 35 Mitglieder. Weil die Freikirche kein eigenes Gemeindehaus besitzt, nutzt sie für ihre Gottesdienste den Ratssaal der Kommunalgemeinde - und der liegt gleich neben dem Asylbewerberheim.

Symbolbild Weihnachten
Bild: picture-alliance/dpa/S. Stache

Drei Mitglieder engagieren sich in besonderer Weise ehrenamtlich für etwa 15-20 Flüchtlinge. Einer von ihnen, der Geschäftsmann und Theologe André Wilkes, betont: "Wenn Flüchtligsarbeit angemessen sein soll, dann ist eine einmalige Weihnachtsaktion zu wenig. Wir möchten ja mit diesen Menschen das Leben teilen - und Weihnachten ist nur ein Teil dieses Lebens." Ein Mal pro Woche gibt es einen Abend, an dem etwas unternommen - und über Freud und Leid gesprochen - wird. Den Anfang macht immer ein gemeinsames Essen. Manche Flüchtlinge seien schon seit einem Jahr dabei. "Wir haben eine freundschaftliche Beziehung aufgebaut und wollen mit unseren Freunden für andere Asylbewerber da sein. Mit denen zusammen werden wir dann Weihnachten feiern." Am zweiten Weihnachtsfeiertag werde es eine besondere Aktion in den Wohnheimen der gut 20.000 Einwohner zählenden Gemeinde geben, um für den nächsten Tag, den Sonntag, einzuladen.

Klares Ziel

Dabei geht es den Christen in Lindlar nicht nur darum, eine Art "Wohlfühl-Atmosphäre" zu schaffen. "Wir wollen den Migranten nicht nur sagen, dass wir sie mögen. Wir wollen ihnen auch sagen, dass Gott für sie da ist, dass sie einen Wert haben, weil sie für Gott wertvoll sind, dass Gott sie liebt und einen Weg für sie hat. Dass man die belastende Situation der Menschen in den Erstaufnahme- und Flüchtlingslagern nicht zum Missionieren nutzen soll, kann Wilkes voll und ganz nachvollziehen: "Bei der Botschaft der Bibel geht es um die Liebe Gottes, die der Mensch erwidern soll. Und Liebe ist immer freiwillig. Das heißt, man soll niemandem etwas aufdrängen." Es sei allerdings legitim, eine Position zu haben. Der Gedanke, alles Religiöse zu neutralisieren, funktioniere nicht und sei daher illusorisch. Deshalb unterstreicht er: "Wir stellen die Beziehung zu den Menschen in den Vordergrund. Diese Beziehung leben wir aber bewusst als Christen. Das heißt: Die Flüchtlinge nehmen uns als Christen wahr.

André Wilkes Theologe
Andrè WilkesBild: DW/K. Krämer

Weihnachten an der Sieg

"Willkommen zu Weihnachten", heißt es auch rund 60 Kilometer südöstlich von Lindlar. In Wissen an der Sieg, am nördlichen Zipfel von Rheinland-Pfalz, ist es ebenfalls die Freie Evangelische Gemeinde, die sich an der Aktion beteiligt. In diesem Jahr haben sich die gut 100 Mitglieder etwas ganz Besonderes fürs Fest einfallen lassen. Sie laden alle 8000 Bürger - und ganz besonders die rund 200 Flüchtlinge und Asylbewerber - zu einem Weihnachts-Musical ein, das sie selbst zur Bühnenreife gebracht haben. Zu den Migranten hat Richmelle Schulte einen besonderen Draht. Sie arbeitet ehrenamtlich im Internationalen Café mit, das die Stadt gemeinsam mit der Caritas unterhält. Obwohl erst Mitte 20, gehört die Kinderkrankenschwester bereits zur vorigen Flüchtlingsgeneration. 1991 musste sie als Kind mit ihren Eltern aus dem Kongo fliehen. "Ich bin auch auf solchen Wegen nach Deutschland gekommen und das lässt mein Herz noch höher für diese Menschen schlagen", sagt sie mit einem Lächeln. Die meisten von ihnen kommen aus dem Iran oder Syrien, haben also einen muslimischen Hintergrund.

Deutschland Aktion Willkommen zu Weihnachten
Wissen in weihnachtlichem GlanzBild: DW/K. Krämer

Anziehende Wirkung

Weil die eigenen Gemeinderäume zu klein sind, hat man für das Musical und die Weihnachtsgottesdienste Wissens gute Stube für besondere Veranstaltungen angemietet - das KulturWerk. "Dabei geht es in erster Linie um das Herstellen von Kontakten. Wir wollen Hallo sagen. Wenn es euch interessiert, seid ihr herzlich eingeladen, euch alles anzuschauen, unsere Kultur kennenzulernen, zu erfahren, warum es so festlich geschmückt ist", sagt Richmelle Schulte. Und fügt hinzu: "Wir als Christen sehen zuerst den Menschen, nicht seine Religion. Wir sollen unseren Nächsten lieben. Dazu gehöre es auch, ihm zu sagen, dass es beim Gott der Bibel keine Ländergrenzen gebe und das er keine Unterschiede wegen einer Hautfarbe mache.

Deutschland Aktion Willkommen zu Weihnachten
Früher ein Walzwerk, heute das KulturWERKBild: DW/K. Krämer

Dass eine solche Einstellung Folgen hat, steht der Freien Evangelischen Gemeinde Wissen mindestens jeden Sonntag vor Augen. Eine gute Hand voll Flüchtlinge gehören inzwischen fest dazu. Für Ben und Ashkan, beide aus dem Iran geflohen, ist diese Gemeinde ein Zuhause geworden. Sie genießen die liebevolle Atmosphäre dort. Aktuell fiebern aber auch Sie dem Heiligen Abend mit Musical und Gottesdienst entgegen. Wenn es dann heißt: "Willkommen zu Weihnachten".