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Gegen Scheinargumente und verlogene Rhetorik

31. Oktober 2011

In seinem Buch "Deutschsein" ruft Zafer Senocak den Deutschen ihre Errungenschaften als Kulturnation ins Gedächtnis. Der deutsch-türkische Autor warnt aber auch eindringlich vor Entgleisungen in der Identitätsdebatte.

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Der Schriftsteller Zafer Senocak (Foto: David Ausserhofer)
Plädiert für mehr Lockerheit unter den Deutschen: Zafer SenocakBild: David Ausserhofer

"In Deutschland zu leben ist ein Privileg", schreibt Zafer Senocak in seinem Buch "Deutschsein". Es gebe kaum ein Land auf der Erde, "in dem ein so dichtes kulturelles Angebot zur Verfügung steht. Die Deutschen werden als Kulturnation wahrgenommen, die mit großem Geschick und Fleiß ein lebenswertes Land aufgebaut haben."

Deutsche hadern trotzdem gern mit sich und der Welt und ihr Verhältnis zur deutschen Identität ist ebenso schwierig. Umso bemerkenswerter ist es, dass jetzt ein deutsch-türkischer Autor Deutschland und Deutschsein ausgesprochen positiv darstellt. In seiner Essaysammlung diskutiert Senocak die kulturellen Leistungen der Deutschen und legt seinen Landsleuten nahe, ein kritisch-reflektiertes, aber unverkrampftes Verhältnis zu ihrer Identität zu entwickeln.

Türkische Verklärung deutscher Tugenden

Cover "Deutschsein" (Foto: Verlag / Körber Stiftung Hamburg)
Bild: Körber Stiftung Hamburg

Zafer Senocak selbst kommt aus einer türkischen Familie, die nach Deutschland umsiedelte, als er acht Jahre alt war. Aufgewachsen ist er in der ländlichen bayerischen Idylle um das Städtchen Murnau. Das positive Verhältnis zum Deutschsein wurde ihm durch seinen Vater quasi in die Wiege gelegt. Nicht selten seien die emsigen und korrekten Deutschen als vorbildhaft verklärt worden, schreibt er.

"Mein Vater war Preuße in seiner Seele, der sich sein ganzes Leben lang in der Türkei fremd gefühlt hatte", so Senocak. "Es kam mir vor, als würde mein Vater den Deutschen ihr Deutschsein vorleben. Die akribisch der Länge nach sortierten Stifte auf seinem Schreibtisch, der kleine Koffer, den er für seine Reisen vorbereitete, und der aufgrund der raumsparenden Füllung eine außerordentlich große Menge an Sachen aufnahm. Bis heute scheitere ich daran, einen Koffer mit ähnlicher Effizienz zu packen."

Blick in die Seele der Deutschen

Symbolbild Deutschland-Flagge auf der Karte Deutschland (Foto: DW)
Deutschsein verändert sich - und zugleich sind viele Aspekte daran konstantBild: DW

Senocaks Text wird nicht selten von einer subtilen Ironie und Selbstironie getragen. Er blickt in die Seele der Deutschen und beobachtet sehr treffend. So schreibt er zum Beispiel: "Die Deutschen werden nervös, wenn sie sich mit anderen beschäftigen müssen. Sie brauchen die ganze Energie für sich selbst."

Die Essaysammlung "Deutschsein" ist also keine einseitige Studie, die nur das Positive betont. Senocak attestiert dem Land unter anderem eine unangemessene Politikverdrossenheit und gesellschaftliche Schwarzmalerei. Offiziell heiße es beispielsweise immer, die Integrationspolitik sei gescheitert. Dabei macht Senocak nicht ohne Süffisanz darauf aufmerksam, dass es bis vor kurzem noch gar keine Integrationspolitik gegeben habe. Und die Erfolge würden weitgehend ausgeklammert.

Kritiker und Advokat des Islams

Senocak ist bisweilen als scharfer Kritiker des Islam aufgetreten: In einem Beitrag für die Zeitung "Die Welt" konstatierte er, die Gewalt in islamischen Ländern komme aus dem Herzen der Religion. Gleichwohl tritt Senocak auch als Anwalt der Muslime und ihrer Religion auf. So schreibt er in "Deutschsein", dass der Islam selbstverständlich zu Deutschland gehöre - schließlich gebe es deutsche Staatsbürger muslimischen Glaubens. Damit sei diese Frage ganz eindeutig beantwortet.

Auch an anderer Stelle nimmt Senocak den Islam gegen Anfeindungen in Schutz, nämlich in Bezug auf das Konstrukt eines christlich-jüdischen Europas, demzufolge für den Islam kein Platz in Europa sei. "Dieser tumbe Identitätsentwurf eines christlich-jüdischen Abendlandes bezweckt nur eines: die Abgrenzung gegenüber dem Islam."

Senocak geht es im Kern seines Buches um die universelle Botschaft der Aufklärung. Das Thema Leitkultur sei keine Diskussion über Bratwurst und Sauerkraut, sondern über die Werte eines Rechtsstaates, der seinen Bürgern Freiheit und Menschenrechte garantiere. Und diese Werte, schreibt Senocak, seien viel besser universell, global aufgehoben als in einem nationalen Identitätsprogramm.

Autor: Lewis Gropp

Redaktion: Nicole Scherschun