1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Chinesen contra Tibet

Gui Hao24. März 2008

Die blutigen Ereignisse in Tibet sind auch Thema auf chinesischen Webseiten. Das schiefe Meinungsbild komme durch einseitige Berichterstattung staatlich kontrollierter Medien zustande, erläutert Gui Hao.

https://p.dw.com/p/DTHI
Chinesische Militär-Polizei in Tibet (AP Photo/Greg Baker)
Chinesische Militär-Polizei in TibetBild: AP

Die chinesische Regierung und das Volk scheinen die gleichen Ansichten zu vertreten. Dieser Eindruck drängt sich bei der Lektüre chinesischer Internetforen auf. Es sei richtig, dass die Polizei den Aufstand der Tibeter mit Gewalt beendet, lautet die einhellige Meinung in Chaträumen. "Bringt alle Separatisten um, die unser Land abspalten wollen", schreibt ein Chatraum-Besucher. "Präsident Hu, unternehmen Sie bitte alles Mögliche! Das Volk unterstützt Sie", meint ein anderer.

Diese Aufrufe sind in chinesischer Sprache verfasst. Vermutlich stammen sie alle von der größten ethnischen Gruppe, den Han-Chinesen, die mehr als 90 Prozent der gesamten Bevölkerung ausmacht. Die Han-Chinesen haben kein Verständnis, dass sich die Tibeter aus Frustration zum Aufstand versammeln, akzeptieren schon gar nicht die Unabhängigkeit von Tibet.

Für dieses Meinungsbild sei der starke Propaganda-Apparat in China verantwortlich, meint der Regimekritiker Liu Xiaobo: "Die meisten Menschen im Inland haben keinen Zugang zu ausländischen Medien. Sie wissen nicht, wie die anderen Medien den Aufstand in Tibet sehen. Sie lassen sich leicht von den Informationen überzeugen, die die staatlich kontrollierten Medien verbreiten."

Dalai Lama (AP Photo/Gurinder Osan)
Von vielen Chinesen als Separatist verteufelt: der Dalai LamaBild: AP

"Fragiles China"

Sie verteufeln den Dalai Lama als Separatisten und wissen nichts davon, dass er auch weitgehende Autonomie statt Unabhängigkeit befürwortet, denn das in China verschwiegen. Die einseitige Berichterstattung über Tibet beflügelt Patriotismus und Nationalismus. Und die Regierung profitiere davon, meint Dr. Axel Berkovsky vom European Policy Center in Brüssel. China wachse wirtschaftlich um zehn bis elf Prozent pro Jahr. "Trotzdem ist die Lage in China, ich würde nicht sagen instabil, aber sehr fragil." Es gebe eine Menge sozialer Unruhen, große Umweltprobleme, eine Menge Unzufriedenheit und Armut, so Berkovsky. "Der Nationalismus und dieses 'Auf-China-Stolz-Sein' ist nach meiner Meinung und der anderer Wissenschaftler eine Taktik und eine Strategie der chinesischen Regierung, das Land zusammenzuhalten." Denn China, so der Experte, fürchtet den Zusammenbruch.

Das nationale Bewusstsein der aufsteigenden Weltmacht erwacht. Viele Chinesen träumen von der Weltdominanz ihres Landes wie zu Zeiten der Kaiserreiche und nehmen keine Rücksicht auf die Minderheiten. Was sie aus den inländischen Medien nie erfahren, ist die Tatsache, dass die Tibeter in ihrer Heimat unterdrückt werden. Norbu Khamba war einer von ihnen. Er gehörte zu den Nomaden auf dem "Dach der Welt", lebte von der Viehzucht. Vor elf Jahren floh Khamba aus seiner Heimat nach Deutschland, weil er sich unterdrückt fühlte. "Die Han-Chinesen marschierten bei uns ein. Sie haben keine Ahnung, wie das Leben in Tibet organisiert ist, und setzen die Einheimischen unter Druck." Sie raubten seiner Familie die Tiere und alle anderen wertwollen Gegenstände, gute Geschäfte wurden zwangsenteignet, Grundstücke in guter Lage beschlagnahmt. "Sie sind gegenüber den Tibetern knallhart und zeigen kein Pardon", sagt Khamba.

Verdrängung in Tibet

Die Chinesen weisen darauf hin, dass die Han-Chinesen mit milliardenschweren Investitionen die Wirtschaft in Tibet gefördert und sogar eine Eisenbahnlinie zur Provinzhauptstadt Lhasa gebaut haben. Der Tibeter Tsewang Norbu von der Heinrich-Böll-Stiftung ist anderer Meinung. "Die Han-Chinesen sind auf Anordnung der Regierung nach Tibet gekommen." Im Zuge der Wirtschaftsliberalisierung kämen immer mehr nach Tibet, was zu einer Marginalisierung der Einheimischen führe. "Leider beobachten wir, dass die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Tibetern und Han-Chinesen Schaden nehmen."

Die Tibeter werden zur Minderheit in ihrer Heimat. Der chinesische Schriftsteller Wang Lixiong hat viele Bücher über Tibet geschrieben. Er sieht das Fehlen der Chancengleichheit im Wirtschaftsleben zwischen Tibetern und Chinesen als eine der Ursachen für die jüngsten Unruhen: "In Tibet wird die Marktwirtschaft zügellos eingeführt und viele Han-Chinesen werden übersiedelt. Die Hans haben eine stärkere Position im Wirtschaftsleben als die Tibeter." Mit den Veränderungen im Wirtschaftsleben habe sich die Lebensweise der Tibeter grundlegend verändert, die Religionsfreiheit werde eingeschränkt, so Wang. "Ich teile die Meinung des Dalai Lama, wenn er vom kulturellen Völkermord spricht."

Glaube an Verschwörung

Die chinesische Öffentlichkeit dagegen beginnt langsam, an eine Verschwörungstheorie zu glauben: Der Dalai Lama beabsichtige, mit Hilfe des Westens das sozialistische China zu stürzen und zu spalten. Völliger Unsinn, sagt Axel Berkovsky, Berater der Europäischen Union: "China darauf hinzuweisen, die Menschenrechte in Tibet und sonst wo zu beachten, ist keine Abspaltungstaktik. China hat Menschenrechtsprobleme."

Solange China jedoch keine freien Medien hat, werden die Menschen wohl kaum von der Verschwörungstheorie abrücken.