Was Bauernregeln uns heute noch sagen
Früher halfen sie nicht nur Bauern, mit Wetterphänomenen umzugehen: Reimsätze, in denen sich Weisheiten wiederfanden, die auf Naturbeobachtungen beruhten. Heutzutage übernehmen die Vorhersagen Meteorologen.
Tag für Tag blicken Menschen mit Spannung darauf. Kaum ein Thema ist von größerem Interesse, nicht die Politik, nicht die Kultur, noch nicht einmal der Fußball. Die Frage aller Alltagsfragen lautet eben: Wie wird morgen ...
„Das Wetter / Das Wetter / Das Wetter.“
Zwar gibt es zahlreiche Wetter-Apps für Smartphones, so dass jede und jeder zeitunabhängig schauen kann, wie die Wetterprognose für die eigene Region oder auch die Region, in die man reisen möchte, lautet. Wer lieber auf Fernsehen oder Radio setzt, muss sich in einer eigenen „Wettersprache“ zurechtfinden:
„Im Osten fallen anfangs noch gewittrige Schauer. Sie lassen jedoch rasch nach, so dass es auch hier wieder zu Aufheiterungen kommen wird. / Der Wind ist meist nur schwach. Er kommt aus Nordwest, morgen aus Nordost. / Und der Wind dreht von Süd auf West.“
Die modernen Wettervorhersagen sind meist über einen Zeitraum von 42 Stunden hinweg verlässlich, sie treffen zu etwa 85 Prozent zu – eine hohe Wahrscheinlichkeit, die durch den Einsatz von Wettersatelliten, Radar Radar, -e (m./n.) Gerät bzw. Methode zur Ortung von Gegenständen oder zur Erfassung von Daten (etwa Wetterdaten) , Großrechenanlagen und Messstationen erzielt wird. Auch für die Landwirtschaft sind Wetterprognosen sehr wichtig, um notfalls Schutzmaßnahmen zu treffen: So kann für Obst produzierende Betriebe beispielsweise Frost im Frühjahr existenzbedrohend sein, weil Blüten an Obstbäumen erfrieren. Spezielle Beregnungsanlagen können aufgestellt werden, die dafür sorgen, dass sich das Wasser auf die Blüten legt, dort gefriert und so die zarten Blüten schützt. Ganz ohne diese Technik mussten die Bauern früher auskommen. Landwirt Theo aus dem Hochsauerlandkreis in Nordrhein-Westfalen erzählt, wie diese sich beholfen haben:
„Die Bauern waren mehr oder weniger auf Beobachtungen der Natur angewiesen. Diese Beobachtungen wurden von Generation zu Generation weitergegeben.“
Das war auch in Theos Familie so, wo die Bauernregeln von einer Generation zur nächsten weitergegeben wurden – und das seit dem 13. Jahrhundert:
„Also von meinem Großvater – ich war 14 Jahre, als er starb – hab’ ich die schon übernommen, von meinem Vater, auch von Nachbarn; und vor allen Dingen hatten wir hier auf dem Hof früher eine große Schafherde, und die Schäfer sind ja nun den ganzen Tag in der freien Natur, und als Kind nimmt man diese Beobachtungen dann besonders gut wahr. Und, das hat sich eingeprägt, und ich hab’ auch versucht, die dann weiterzugeben.“
Mancher sprachliche Begriff geht auf solche Naturbeobachtungen zurück. Ein Beispiel ist die „Schafskälte“, die Umschreibung für einen unvermittelten Kälteeinbruch im Juni. Ursprünglich stammt der Begriff von kälteempfindlichen, frisch geschorenen scheren die Haare oder das Fell kurz schneiden Schafen. Landwirt Theo kennt aber noch andere Bauernregeln:
„‚Mai kühl und nass, füllt dem Bauern Scheuer und Fass‘. ‚Neujahrsnacht hell und klar, bringt den Bauern ein gutes Jahr‘, heißt es zum Beispiel. Und dann: ‚Der Januar muss vor Kälte knacken, wenn das Korn gut soll sacken‘. ‚Märzenschnee tut den Saaten weh‘. Wenn die Saaten die ersten Triebe bringen, und dann kommt im März noch mal so ’n richtiger Schneeschauer, das soll den Saaten wehtun. ‚Regnet’s um Johanni leise, so regnet’s Mäuse. ‚Mäuse‘ ist Ungeziefer. Und wenn es dann so lange regnet, danach kriegt man Ungeziefer im Pelz. Also, so gibt es für jeden Monat irgendwie so ’n besonderen Spruch, und was Wahrheit und Dichtung ist, das muss man dann selbst entscheiden.“
Ein sprachliches Charakteristikum von Bauernregeln ist, dass sie sich reimen: „Mai kühl und nass, füllt dem Bauern Scheuer und Fass“. Gab es einen regnerischen, nassen, Mai, konnten die Bauern im Herbst mit einer guten Getreideernte rechnen: Die Scheune, die Lagerhalle eines Bauernhofs, konnte mit Getreide ebenso gefüllt werden wie Holzfässer. Das Gleiche gilt für den Januar: Ist es im Januar knackig kalt, herrschen also Minusgrade von mehr als zehn Grad Celsius, bringt das später im Jahr eine reiche Getreideernte, sackt das Korn gut. Andersherum sieht es aus, wenn es um den 24. Juni, den Johannistag, regnet. Dann entwickelt sich Ungeziefer, Schädlinge wie Läuse und Wanzen, die sich in Haut und Haaren, dem Pelz, festsetzen. Diese Weisheiten zum Wetter und dessen Auswirkungen auf die Landwirtschaft gibt es für jeden Monat im Jahr. In der Regel können sie wissenschaftlich erklärt werden. So wie auch dieses Naturphänomen, das Theo im norddeutschen Dialekt Plattdeutsch wiedergibt:
„Auf Plattdeutsch sagt man: ‚Owendrot schwatt, jit Rejen satt‘. Und da können Sie drauf gehen: Wenn die Sonne schwarz untergeht abends, gibt’s am nächsten Tag Regen.“
Für diese Bauernregel gibt es eine physikalische Erklärung: „Morgenrot“ und „Abendrot“ sind Wetterphänomene, bei denen sich der Himmel verfärbt. Diese Verfärbungen entstehen durch die sogenannte „Streuung“ der unterschiedlichen Wellen des Sonnenlichts in der Atmosphäre Atmosphäre, - (f.; nur Singular) hier: die die Erde umgebende Lufthülle . Morgens und abends, wenn die Sonne tief am Himmel steht, legt das Sonnenlicht einen viel längeren Weg durch die Atmosphäre zurück als mittags. Der Blauanteil des Lichts wird von kleinen Teilchen in der Atmosphäre „herausgefiltert“. Übrig bleiben nur die roten und gelben Wellenlängen. Somit erscheint uns der Himmel in Rottönen. Ob die Bauernregel nun zutrifft oder nicht, hängt wesentlich von der Wetterzone ab. Deutschland liegt in einer westlich orientierten Wetterzone. Ist der Himmel im Westen rot bis violett, droht schlechtes Wetter. Herrscht allerdings eine sogenannte „Ostwetterlage“ stimmt die Regel nicht mehr. Auch eine andere Bauernregel gilt nicht wirklich, sondern ist sogar lebensgefährlich:
„Eichen soll man weichen, vor den Fichten soll man flüchten. Doch Buchen soll man suchen. Auch Linden soll man finden.“
Früher dachte man, dass man sich von bestimmten Baumarten fernhalten sollte, wie von Eichen Eiche, -n (f.) ein großer Laubbaum mit sehr hartem Holz und länglich runden Früchten oder Fichten Fichte, -n (f.) ein Nadelbaum mit kurzen Nadeln . Man sollte sich sogar sofort entfernen, weichen. Dagegen sollte man andere Arten wie Buchen Buche, -n (f.) ein Laubbaum mit glattem Stamm und kleinen, dreikantigen Früchten und Linden Linde, -n (f.) ein Laubbaum mit herzförmigen Blättern und gelblichen, duftenden Blüten bei einem Gewitter aufsuchen, um unter den Baumkronen Schutz zu suchen. Allerdings gibt es keine einzige Baumart, die vor Gewitterblitzen schützt. Ganz im Gegenteil: Es wird davor gewarnt, bei Gewitter unter einem Baum Schutz zu suchen. Bei manchen Bauernregeln spielten früher aber auch der Spaß an Dichtung und Aberglaube eine Rolle wie Theo erzählt:
„Früher gab’s kein elektrisches Licht, dann wurden abends dann bei Petroleum Spukgeschichten erzählt, und dann hat man dann auch über diese alten Sachen vielleicht doch etwas viel Anekdoten weitergegeben und den Aberglauben nicht gerade verdammt.“
Man saß abends beim Licht von Öl-, Petroleumlampen, zusammen und erzählte sich Spukgeschichten, Erzählungen über wissenschaftlich unerklärliche, unheimliche Erscheinungen. Trotz alledem findet Theo, dass Bauernregeln beziehungsweise die genaue Beobachtung der Natur auch in der modernen Zeit noch ihren Sinn haben und nicht belächelt jemanden/etwas belächeln jemanden/etwas nicht richtig ernst nehmen, weil man jemanden/etwas als ungeeignet betrachtet werden sollten, vor allem, weil es Menschen gibt, die dafür aufgeschlossen sind, daran Interesse haben:
„Die städtische Bevölkerung ist für diese Sachen sehr aufgeschlossen, und die werden sehr nachdenklich, wenn sie von diesen alten Sitten, Gebräuchen hören. Vielleicht haben wir doch in dieser schnelllebigen Zeit diese Sachen etwas vernachlässigt.“
Was Bauernregeln uns heute noch sagen
Radar, -e (m./n.) — Gerät bzw. Methode zur Ortung von Gegenständen oder zur Erfassung von Daten (etwa Wetterdaten)
scheren — die Haare oder das Fell kurz schneiden
Atmosphäre, - (f.; nur Singular) — hier: die die Erde umgebende Lufthülle
Eiche, -n (f.) — ein großer Laubbaum mit sehr hartem Holz und länglich runden Früchten
Fichte, -n (f.) — ein Nadelbaum mit kurzen Nadeln
Buche, -n (f.) — ein Laubbaum mit glattem Stamm und kleinen, dreikantigen Früchten
Linde, -n (f.) — ein Laubbaum mit herzförmigen Blättern und gelblichen, duftenden Blüten
jemanden/etwas belächeln — jemanden/etwas nicht richtig ernst nehmen, weil man jemanden/etwas als ungeeignet betrachtet