1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Achterbahnfahrt auf Chinas Kohlemärkten

Thomas Kohlmann
20. November 2021

Erst treiben knappe Wintervorräte die Preise in astronomische Höhen, dann stürzen die Terminmärkte ab. Die letzten Wochen zeigen, wie stark China bei der Kohle hin- und hergerissen ist zwischen Abhängigkeit und Entzug.

https://p.dw.com/p/43G5L
China Huainan Kohlekraftwerk
Bild: Getty Images/K. Frayer

Es liegen stressige Wochen hinter Chinas Kohlehändlern, deren Geschäft darin besteht, genug Kohle für den Energiehunger ihres Landes heranzuschaffen. Genau wie beim Rohöl oder Erdgas decken sich die Händler dabei auf dem Terminmarkt mit Kontrakten ein, um in der Zukunft eine bestimmte Menge Kohle zu einem garantierten Preis geliefert zu bekommen. Eigentlich ein Geschäft mit überschaubarem Risiko, wenn man sich den gigantischen Bedarf der chinesischen Volkswirtschaft nach dem schwarzen Energieträger vor Augen führt. Entsprechend zeigte die Preiskurve bis vor kurzem steil nach oben.

Kohlefutures brechen um über 50 Prozent ein

Dann zogen die staatlichen Planer die Reißleine: Die mächtige Nationale Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC), das oberste Wirtschaftsplanungs-Gremium des Landes, deckelte den Preis für einheimische Kraftwerkskohle, der wichtigsten Energiequelle der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. In der Folge stürzten die Preise an der Terminbörse in Zhengzhou ab und verloren bis Ende Oktober mehr als die Hälfte ihres Wertes.

Panisch versuchten Kohlehändler ihre viel zu teuer eingekauften Kohlelieferungen abzustoßen, nahmen Verluste von 50 Prozent und mehr in Kauf. Oder sie versuchten, Schiffslieferungen mit Kohle aus Indonesien oder Südafrika zu stornieren. "Es war eine Massenpanik", klagte ein Händler gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. "Die Verkäufer traten sich gegenseitig auf die Füße, um ihre Ladungen loszuwerden." Seinen Namen wollte der Händler nicht in den Medien sehen, denn es kann ziemlich heikel werden, wenn die Folgen staatlicher Intervention in China mit allzu drastischen Worten beschrieben werden.

Indonesien l Kohlefrachter stehen Schlange bei Samarinda
Kohlefrachter n der Provinz Kalimantan in Indonesien, einem der wichtigsten Kohlelieferanten ChinasBild: Willy Kurniawan/REUTERS

Einige Kohlehändler traten sogar von ihren Kauf-Verträgen zurück und büßten so ihre Anzahlung für rund zehn Prozent der Liefermenge ein. Die Großhändler reagierten und schraubten die Anzahlungen künftiger Lieferungen in die Höhe: auf bis zu 50 Prozent des Lieferwerts, teilte der Händler eines chinesischen Unternehmens mit Sitz in Singapur der Agentur Reuters mit.

Kohlehunger ohne Ende

China, weltweit größter Kohleverbraucher und -produzent, importiert etwa ein Zehntel seines Kohlebedarfs und bezieht monatlich durchschnittlich 20 bis 30 Millionen Tonnen, hauptsächlich aus Indonesien, Russland und Südafrika. Bis zu einem Importstopp wegen politischer Differenzen führte China auch große Mengen an Kohle aus Australien ein.  

Pekings Entscheider stecken in der Zwickmühle: Sie müssen gleichzeitig in den Wintermonaten für genug Kohle zum Heizen und zur Stromerzeugung sorgen und trotz immenser Nachfrage die Preise niedrig halten.

Infografik die zehn Länder mit den Meisten Kohlekraftwerken DE

Spagat zwischen Kohle-Abhängigkeit und grüner Wende

China habe seine Anstrengungen bei grünen Technologien als Motor seiner Wachstumsstrategie zwar verdoppelt, sagt Byford Tsang, Senior Policy Advisor bei E3G, einem Think Tank in London, der sich mit dem Klimawandel beschäftigt. Der Aufbau grüner Industriebereiche spiele in Chinas Planungsdokumenten immer wieder eine wichtige Rolle, von Made in China 2025 bis zum jüngsten Fünfjahresplan, erklärt Tsang. "Aber der Aufschwung nach der COVID-Pandemie hat gezeigt, dass China immer noch nicht in der Lage ist, stärker auf diese neuen und umweltfreundlicheren Wachstumstreiber zu setzen." Chinas aktuelle Wirtschaftserholung sei vor allem von Investitionen im Immobiliensektor und in die Schwerindustrie abhängig.

Außerdem stehe die Staats- und Parteiführung vor der Herausforderung, die sozialen Kosten des ökologischen Übergangs im Blick zu behalten, etwa beim Blick auf Arbeitsplätze und die Wirtschaft in klassischen Kohleregionen, gibt der E3G-Experte zu bedenken. "In der Kohleprovinz Shanxi werden über 40 Prozent der lokalen Einnahmen durch Kohle erwirtschaftet."

Byford Tsang E3G
Byford Tsang vom Londoner Klima-Think Tank E3GBild: E3G

Was will Xi wirklich?

Die Energieknappheit in China hatte in den vergangenen Wochen bereits dazu geführt, dass Fabriken ihre Produktion auf Anweisung der Behörden zeitweise stoppen mussten, um Strom zu sparen und die Stromnetze zu entlasten.

Byford Tsang glaubt nicht, dass China wegen einer kurzfristigen Krise seine langfristige Klimapolitik ändern wird, aber es könnte die chinesischen Entscheidungsträger möglicherweise dazu bringen, darüber nachzudenken, ob das Tempo beim grünen Umbau der Wirtschaft ausreicht.

"Nach der Krise schlugen die chinesischen Staats- und Regierungschefs, darunter Präsident Xi und Premierminister Li, einen vorsichtigeren Ton an, wenn sie über Chinas Klimapolitik sprachen", stellt Tsang fest. "Sie betonten die Notwendigkeit, die Klimaziele in einer 'geordneten und wissenschaftlich fundierten Weise' zu erreichen, und wiesen darauf hin, dass der Lebensunterhalt der Menschen gesichert werden müsse, während China bei der Energiewende vorankommt."

China Shanxi Provinz Überschwemmungen
Überschwemmungen in der Kohleprovinz Shanxi im Oktober 2021 Bild: AFP

Die aktuelle Krise sei durch eine Kombination systembedingter Probleme auf dem Strommarkt ausgelöst worden: die Versorgungsunternehmen konnten die gestiegenen Kohlekosten nicht an die Verbraucher weitergeben. Durch die Pandemie und Sicherheitsprobleme in den Bergwerken sei weniger Kohle in China gefördert worden und die schnelle Wirtschaftserholung habe die Energienachfrage in die Höhe getrieben. "Die wichtigste Lehre, die die politischen Entscheidungsträger aus dieser Krise ziehen sollten, ist dabei, dass Kohle kein Garant für Energiesicherheit ist", unterstreicht Tsang.

Lehren aus der Energiekrise?

"Es ist jetzt wichtig sich anzuschauen, wie China aus dieser Krise herauskommt", betont Tsang, "ob Peking sein Versprechen, neue Kohlekraftwerke 'streng zu kontrollieren', bricht und weiter auf Kohle setzt. Oder ob das Land die Risiken der Kohleverstromung erkennt und sein Stromsystem flexibler macht - mit mehr erneuerbaren Energien und Speicheranlagen."

China könne genug Strom aus fossilen Brennstoffen erzeugen, um seinen Bedarf auch in Spitzenzeiten zu decken - davon ist Tsang überzeugt. "Es besteht keine Notwendigkeit, neue Kohlekapazitäten zu schaffen, um den Energiebedarf zu decken."

Grubenunglück in China Chongqing
Immer wieder kommt es in Chinas Kohlegruben zu Unglücken mit Toten und Verletzten, wie hier im Bergwerk Songzao im Südwesten des Landes im September 2020Bild: Huang Wei/Xinhua/picture alliance

Knappheit durch staatliche Eingriffe?

Schon jetzt zeichnen sich die Folgen der Achterbahnfahrt bei den Kohlepreisen für die kalten Monate ab. Aus den Daten des New Yorker Finanzmarktanalyse-Anbieters Refinitiv geht hervor, dass durch die Kurskapriolen im November über ein Viertel weniger Kohle als im Vormonat importiert werden könnte. Und für Dezember ist die Entwicklung noch gar nicht abzusehen.

Tsang weiß, wie das Management in der Volksrepublik tickt. Mehrere Jahre lang war er dort als Umweltberater für chinesische Industriebetriebe tätig. Für ihn kommt es gar nicht so darauf an, das Management in Chinas Industriesektor davon zu überzeugen, dass sie ihre CO2-Emissionen und die Nutzung fossiler Energie reduzieren müssen.

"Meine Arbeit als Umweltberater in Festland-China liegt zwar schon eine Weile zurück", sagt der Klimaexperte. "Generell würde ich aber sagen, dass Chinas Industriesektor eher auf Druck von oben reagiert als auf Marktmechanismen wie den Emissionshandel, der in diesem Stadium noch recht begrenzt ist."

China Kohlekraftwerk Datong
Kohlekraftwerk Datong 2 in der Provinz Shanxi, die massiv vom Kohlesektor abhängig ist Bild: Danita Delimont/imago images

Deshalb sei es wichtig, darauf zu achten, ob China künftig starke CO2-Ziele und einen strengeren Zeitplan für seine Industriebranchen festlegt. Man müsse sich also die neuen Zielsetzungen für Chinas Industriesektoren genau ansehen, die in den nächsten Monaten veröffentlicht werden, so Tsang. "Sie werden eine klare Richtung für die Industrie vorgeben."