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Wann werden Kinder und Jugendliche geimpft?

19. April 2021

Auch bei Kindern und Jugendlichen kann COVID-19 zu schweren Erkrankungen und Langzeitfolgen führen. Experten fordern, auch sie zu impfen - aber noch gibt es keinen Impfstoff.

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Türkei Zeichnung von Zeynep Mira
So sieht die zehnjährige Zeynep für den DW Zeichenwettbewerb die Corona-KriseBild: Serkan Ocak/DW

Vor allem durch die britische Variante B.1.1.7 verbreitet sich das Coronavirus jetzt auch unter Kindern und Jugendlichen besonders schnell. Laut RKI haben sich die Inzidenzen bei den Jüngeren in kurzer Zeit mehr als verdoppelt. Das fällt freilich erst auf, seitdem verstärkt auch in Kindergärten und Schulen getestet wird.

Natürlich können infizierte Kinder andere Kinder und ihre Eltern zuhause anstecken, bislang waren schwere Krankheitsverläufe bei ihnen selbst jedoch selten. Mittlerweile allerdings landen auch immer mehr Kinder und Jugendliche mit schweren Verläufen auf den Intensivstationen.

Geburtstagsfeier von Kindern draußen mit Maske in Istanbul
Geburtstagsfeier draußen im kleinen Kreis - Eine unbeschwerte Kindheit ist derzeit kaum möglich Bild: Julia Hahn/DW

In der "Impfhierarchie" der meisten Länder werden Kinder und Jugendliche gar nicht erwähnt. Sie würden vermutlich erst als letzte geimpft. Allerdings stellt sich die Frage bislang nicht, weil bislang noch kein Corona-Impfstoff für Kinder und Jugendliche zugelassen ist. 

Verspätete Erkrankung oder Langzeitfolgen möglich

Selbst wenn eine Corona-Infektion bei den Jüngsten meistens symptomfrei abläuft, heißt das nicht, dass nicht auch Kinder und Jugendliche anschließend schwer erkranken oder gravierende Langzeitfolgen haben können.

Zudem häufen sich seit dem vergangenen Frühjahr weltweit - meist nach einer symptomlosen Infektion - plötzliche Fälle einer Multiorganerkrankung, des Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS). In den USA wird es auch Multiystem Inflammatory Syndrome in Children, kurz MIS oder MIS-C genannt.

Plötzlich auftretende Symptome

Das Syndrom ist zwar selten, es tritt nur bei etwa einem von 1000 Kindern vier bis sechs Wochen nach der Infektion auf, aber die Folgen können schwerwiegend sein. Ohne Vorwarnung werden die Kinder plötzlich sehr krank. Sie bekommen hohes Fieber, sind schlapp, kriegen Probleme am Herzen, Schmerzen im Darm, müssen sich erbrechen oder haben Durchfall, bekommen Hautausschläge.

Kinder sitzen während des Unterrichts in einer Grundschulklasse mit Plexiglas-Trennscheiben zwischen den Plätzen an ihren Tischen. Im Vordergrund steht ein Plüschtier mit Mund-Nase-Schutzmaske.
Schulen und Kitas sollen offen bleiben, aber Impfstoffe gibt es für die Jüngsten bislang nichtBild: Peter Kneffel/dpa/picture alliance

Die für COVID-19 typischen Atemwegsbeschwerden wie Husten, Atemnot und Brustschmerzen wurden bei weniger als 30 Prozent der kleinen Patienten registriert. Bei mehr als 50 Prozent gab es dagegen einen Blutdruckabfall und rund 37 Prozent erlitten einen Kreislaufschock.

Bei mehr als 90 Prozent der stationär behandelten Kinder und Jugendlichen waren mindestens vier Organsysteme betroffen und 58 Prozent mussten auf einer Intensivstation behandelt werden.

Wer ist besonders gefährdet?

Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen. Bislang blieben Kinder bis zu vier Jahren zwar etwas häufiger vor sehr schweren Verläufen verschont, doch auch von ihnen benötigten immer mehr eine Intensivbehandlung. Das Risiko ist bei den Vier- bis Sechs- und ganz besonders bei den Sieben- bis Zehnjährigen am höchsten.

Eine medizinische Fachkraft führt bei einem Kind einen Nasenabstrich durch
Durch die Mutationen steigt vor allem bei Kinder und Jugendlichen die Inzidenz rasant anBild: Marco Müller/DW

Zwar betrug die Letalität bei den untersuchten Fällen insgesamt "nur" etwa 1,4 Prozent, aber mit zunehmenden Alter steigt auch die Todesrate, bei den 15- bis 17-Jährigen liegt sie bei 2,6 Prozent  und bei den 18- bis 20-jährigen schon bei 10,9 Prozent.

Diagnose war lange nicht bekannt

In der ersten Pandemie-Welle gab es kaum diagnostizierte Fälle. Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie hat bislang 245 Kinder mit PIMS registriert, davon haben sieben Kinder Folgeschäden, vor allem am Herzen.

Einige Symptome erinnern an das Kawasaki-Syndrom, dass ebenfalls nach harmlosen Infekten auftreten kann und ein ähnliches Krankheitsbild zeigt. Aber es gibt eben auch Unterschiede, weshalb Mediziner bei MIS von einem eigenständigen Krankheitsbild ausgehen.

Eine Lehrerin desinfizeirt die Hände von Schülern, die Masken tragen in Brasilien
In Brasilien sind auch Kinder und Jugendliche besonders stark von der Pandemie betroffen Bild: Andre Penner/AP Photo/picture alliance

In den sehr stark von der Pandemie betroffenen USA sind innerhalb von zehn Monaten mehr als 2.000 Kinder und Jugendliche an einem MIS erkrankt. Oftmals wird MIS aber auch nicht erkannt. Wie hoch etwa die Zahl im ebenfalls stark betroffenen Brasilien ist, bleibt unklar. Nach Angaben des brasilianischen Gesundheitsministeriums sind zwischen Februar 2020 und dem 15. März 2021 mindestens 852 Kinder unter neun Jahren, darunter 518 Babys unter einem Jahr, an COVID-19 gestorben. 

Laut einem BBC-Bericht könnte die tatsächliche Zahl allerdings auch doppelt so hoch sein, mutmaßt die Medizinerin Dr. Fatima Marinho, die auch leitende Beraterin der internationalen Gesundheits-NGO Vital Strategies ist. Bis zu 1300 Babies könnten an COVID-19 gestorben sein.

Was löst die heftigen Entzündungen aus?

Dass PIMS bzw. MIS tatsächlich durch SARS-CoV-2 ausgelöst wird, steht mittlerweile außer Frage. Aber vermutlich löst nicht das Coronavirus selbst die Erkrankung aus.

Da das Entzündungssyndrom im Durchschnitt 27 Tage nach dem Beginn erster COVID-Symptome auftritt, wenn es denn überhaupt Symptome gab, spricht viel dafür, dass die Entzündungen durch eine verzögerte überschießende Immunantwort auf eine Corona-Infektion ausgelöst werden. 

Auffällig ist auch, dass der Beginn der Erkrankung oftmals mit dem Maximum der Antikörperproduktion zusammenfällt und dass die jungen Patienten besonders viele Antikörper gegen die Rezep­torbindungsstelle von SARS-CoV-2 bilden.

Wie wird das Entzündungssyndrom behandelt?

Häufig ist das Multisystemische Entzündungssyndrom nach einer Woche wieder überstanden. Zum Glück sind die Mediziner bei entsprechenden Symptomen inzwischen vorgewarnt.

Die Therapie konzentriert sich darauf, die übermäßige Reaktion des Immunsystems zu bremsen. Hilfreich kann die Gabe von Kortison sein. Zudem erhalten die jungen Patienten - ähnlich wie beim Kawasaki-Syndrom - intravenöse Immunglobuline sowie Acetylsalicylsäure-Tabletten, um Schädigungen des Herzens vorzubeugen. Deren Wirksamkeit ist aber - anders als beim Kawasaki-Syndrom - bisher nicht belegt. 

Oftmals werden die jungen Patienten auch mit Steroiden behandelt, um die verantwortlichen Botenstoffe zu neutralisieren und die Erkrankung effektiv zu behandeln. Allerdings ist noch nicht belegt, ob die Steroide auch die Prognose bei MIS-C tatsächlich verbessern. Jüngste Studien sind allerdings sehr vielversprechend. 

Auch Kinder und Jugendliche müssen geimpft werden

Angesichts der schnell steigenden Inzidenzen bei Kindern und Jugendlichen werden vermutlich auch einige dieser Kinder und Jugendlichen PIMS bzw. MIS entwickeln. Für die Jüngsten der Gesellschaft gibt es aber noch keinen Impfstoff und selbst wenn es ihn gäbe, wären sie laut der etwa in Deutschland gültigen Impfhierarchie erst in vielen langen Monaten an der Reihe.

Ein von Kindern gemaltes Schild im Fenster eines Kindergartens: "Schön, dass ihr wieder da seid".
Noch schöner wäre es, wenn auch Kinder und Jugendliche ausreichend geschützt sindBild: Michael Reichel/dpa/picture alliance

Bisher sind die Corona-Impfstoffe erst für Jugendliche ab 16 bedingt zugelassen. Inzwischen beziehen die Impfstoffentwickler BioNTech/Pfizer und Moderna aber auch Kinder zwischen 6 Monaten und 11 Jahren bzw. Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren in die Studien zur Wirkung und Sicherheit ihrer Impfstoffe mit ein. Ähnliches ist von AstraZeneca und Johnson & Johnson zu hören.

Wenn alles gut läuft, könnte laut BioNTech ein Impfstoff für jüngere Kinder Anfang 2022 verfügbar sein. Moderna wolle bis zum Sommer erste Ergebnisse vorlegen.

Solange es keinen Impfstoff für Kinder und Jugendliche gibt, bleiben neben den gängigen Abstandsregeln nur regelmäßige Schnelltests oder eine Schließung der Kindergärten und Schulen als Option, um Infektionsketten zu unterbrechen und auch die Jüngsten in der Gesellschaft besser zu schützen. 

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund