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Politik

"Aufstehen" bleibt umstritten

9. Dezember 2018

Die Idee: mit vereinten Kräften die politischen Koordinaten nach links verschieben. Das Ziel: ein gerechtes und friedliches Land. Der Weg: außerparlamentarisch. Das Problem: das linke Lager ist schon zerstritten.

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Deutschland | PK Vorstellung der linksgerichteten Sammelbewegung #Aufstehen
Sahra Wagenknecht ist das Gesicht der im September in Berlin vorgestellten Sammlungsbewegung "aufstehen"Bild: picture-alliance/dpa/B. v. Jutrcenka

Emmanuel Macron hat gezeigt, wie man ein über Jahrzehnte etabliertes Parteien-System in kürzester Zeit aus den Angeln heben kann: 2016 verließ er seinen Ministerposten unter dem Sozialisten François Hollande, gründete die Bewegung "En marche", und 2017 wurde er zum Präsidenten Frankreichs gewählt. Triebfeder seiner Unterstützer und Wähler war die Unzufriedenheit mit den gesellschaftlichen Zuständen im Allgemeinen und dem Agieren der politischen Klasse im Besonderen. Hohe Arbeitslosigkeit, perspektivlose Jugend, Fremdenfeindlichkeit – Frankreich hat die gleichen Probleme wie viele andere Länder inner- und außerhalb Europas. 

Dass sich in unübersichtlichen Zeiten unkonventioneller und mitunter erfolgreicher Protest regt, ist keine Seltenheit. Macrons mittlerweile zur Partei mutierte Bewegung - die inzwischen selbst zur Zielscheibe einer Graswurzel-Bewegung, den sogenannten Gelbwesten, geworden ist - ist dafür nur ein Beispiel unter vielen. In Italien gibt es die 2009 vom Kabarettisten Beppe Grillo gegründete Fünf-Sterne-Bewegung ("Movimento 5 Stelle"). Seit Juni regiert sie zusammen mit der rechtspopulistischen Lega. Auch die schon 1980 in Deutschland entstandenen Grünen wurzeln in einer Bürger-Bewegung – gegen Atomkraft und für besseren Umweltschutz.

Frankreich Macron will verstärkten Kampf gegen Terror
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron als Wahlkämpfer der von ihm begründeten Sammlungsbewegung "En Marche" Bild: picture alliance/abaca/B. Eliot

Von solchen Erfolgen ist die deutsche Sammlungsbewegung "Aufstehen" noch sehr weit entfernt. Allerdings ist sie erst im September gestartet. Seitdem haben sich 165.000 Unterstützer online registriert. Sie alle wollen einen "gesellschaftlichen Neubeginn", wie es in der Präambel heißt. Wortführerin außerhalb des Internets ist Sahra Wagenknecht – Fraktionsvorsitzende der Linken im Deutschen Bundestag und Stammgast in TV-Talkshows.

Sahra Wagenknecht tanzt auf zwei Hochzeiten

Einen Widerspruch oder gar Interessenkonflikt zwischen ihrer parteipolitischen Rolle und ihrem außerparlamentarischen Engagement kann sie nicht erkennen. Ein rot-rot-grünes Bündnis aus Sozialdemokraten, Linken und Grünen sei in der Bevölkerung "überhaupt nicht mehr populär", sagt Wagenknecht im DW-Interview. Und sie kann das verstehen. Die meisten Menschen würden das weder mit höheren Löhnen noch mit besseren Renten verbinden "oder generell mit einer Politik für mehr sozialen Ausgleich".

So wie Wagenknecht sehen es auch viele "Aufstehen"-Unterstützer, die lokale Gruppen gründen. Andrea Schaaf hat das in Köln getan. Rund 150 Neugierige und von der klassischen Partei-Politik Enttäuschte kamen zum ersten Treffen. "Viele Leute waren, wie ich, total resigniert", erzählt sie der Deutschen Welle auf einer Veranstaltung, zu der die örtliche Linke im November eingeladen hatte. Dieses Mal ist das Interesse geringer: Etwa 50 Besucher diskutieren über die Frage "Aufstehen - Spaltpilz oder Chance für eine starke Linke?" Für Andrea Schaaf ist die Antwort klar: "Wenn man sich zusammentut, in den verschiedensten Bereichen, können wir gemeinsam mobilisieren." 

Deutschland Köln Debatte | Aufstehen Köln & Ortsverband Die Linke
Sammlungsbewegung "Aufstehen" - Fluch oder Segen? Im Kölner Ortsverband der Linken gehen die Meinungen auseinander Bild: Günter Oesterling

Bei Sahra Wagenknecht klingt das so: "Wir brauchen auch in Deutschland mehr Druck von der Bevölkerung, wenn die Regierung über die Köpfe der normalen Menschen hinwegregiert." Dabei gebe es gesellschaftliche Mehrheiten für eine neue Politik. "Aber es gibt keine mehrheitsfähige Parteienkoalition, die für eine solche Politik steht", heißt es schon im Gründungsaufruf von "Aufstehen". Warum sich das mit Hilfe der Sammlungsbewegung ändern sollte, ist weiterhin unklar.

Linken-Chef Riexinger sieht einen "Rollen-Konflikt"

Im Gründungsaufruf ist davon die Rede, "die Forderungen, die die Menschen am meisten bewegen, auf die Straße und in die Politik zu bringen". Dafür bedarf es aber schon mehr als Debatten im Internet und gelegentlichen Treffen in Ortsgruppen. Immerhin soll im Sommer 2019 ein Kongress stattfinden. Eine Partei soll aber nicht gegründet werden, betont Wagenknecht. "Der Charme von 'Aufstehen' besteht gerade in dieser Transparenz und Flexibilität, die eine Bewegung mit sich bringt."

Sahra Wagenknecht über Vorbilder für ihr Projekt "aufstehen"

Eine Partei hätte die klassischen Strukturen und müsste unter Beweis stellen, "dass sie nicht spaltet, sondern zusammenführt", sagt Wagenknecht. Ihre Gegner werfen ihr aber genau das vor: ihr eigenes Süppchen zu kochen. Die größten Skeptiker gibt es in den eigenen Reihen. Linken-Parteichef Bernd Riexinger sieht sich im DW-Gespräch in seiner Skepsis bestätigt. "Ich habe immer gesagt, es wird einen Rollen-Konflikt geben." Es dürfe nicht zu Missverständnissen führen.

"Projekt einer schon gespaltenen linken Partei"

Wie im Oktober bei der Berliner Demonstration für mehr soziale Gerechtigkeit und eine humane Migrationspolitik: Aufgerufen hatten hunderte gesellschaftliche Organisationen, darunter Kirchen und Gewerkschaften. Eine viertel Million Menschen gingen damals auf die Straße. Wagenknecht hingegen hatte sich schon vorher von der Veranstaltung distanziert, weil sie im Gegensatz zur offiziellen Linie ihrer Partei gegen offene Grenzen für alle ist. Jene, die es besonders schlecht mit Wagenknecht meinen, werfen der 49-Jährigen ohnehin vor, auf Unterstützung von rechts zu spekulieren.

Solche Töne sind auch auf der Veranstaltung in Köln zu hören. Am drastischsten formuliert es ein Teilnehmer, der sich als Salvator vorstellt: "Aufstehen" spalte die Linke nicht, es sei das Projekt einer "schon gespaltenen linken Partei". Ein Befund, der von niemandem ernsthaft bestritten wird. Dass die Sammlungsbewegung unter diesen Vorzeichen in Deutschland das linke Lager befrieden und einen kann, mutet fast schon absurd an. Sahra Wagenknecht gibt sich trotz allem kämpferisch. Wenn "Aufstehen" im September 2019 ein Jahr alt sein wird, hofft sie, "dass wir einen Aufschwung linker Politik und eine breite Akzeptanz linker Inhalte haben".