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Von wegen "typisch deutsch"

29. April 2010

Wer Begriffe wie "Schmetterling" oder "Hängematte" für typisch deutsch hält, irrt sich. Die beiden Wörter sind in die deutsche Sprache eingewandert, wie eine Ausstellung von Wuppertaler Studenten zeigt.

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Der gefährdete Argusbläuling, Schmetterling des Jahres 2008 (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/ dpa

Sie stehen im Mittelpunkt unzähliger Gedichte, Lieder und Gemälde. In den Mythen machte ihre Schönheit sogar die Götter neidisch. Trotzdem gaben die Menschen den Schmetterlingen einen Namen, der alles andere als ein Kompliment ist. Im tschechischen Volksglauben nämlich galten die bunten Falter als hinterlistige Diebe und wurden als "smetana" bezeichnet, was so viel wie "Milchrahm" oder "Schmand" bedeutet.

"Im Mittelalter hat man angenommen, dass sich die Schmetterlinge nachts in kleine Hexen verwandeln, die in die Vorratskammern der Gutsherren einbrechen und dort den Rahm von der Milch abschöpfen", erklärt Germanistikstudentin Tanja Böhl. Sie war von der Geschichte der bunten Falter so fasziniert, dass sie die Sprachgeschichte des Schmetterlings genauer untersucht hat. Ihre Erkenntnisse münden nicht, wie sonst üblich, in einer Seminararbeit, sondern in einer Ausstellung.

Ferien nicht gleich Freizeit

Zwei Badeenten am Sandstrand (Foto: picture-alliance / chromorange)
Mit Sonne und Strand nichts zu tun: Der Begriff 'Ferien'Bild: picture-alliance / chromorange

Die Idee dazu hatte die Wuppertaler Dozentin Kerstin Runschke. Gemeinsam mit rund 40 Studierenden ihres Germanistikseminars präsentiert sie die schönsten Beispiele sogenannter "eingewanderter Wörter", die gar nicht danach klingen, in der Wuppertaler Stadtbibiliothek. Mit Plakaten, Landkarten und kleinen Figuren in Glasvitrinen erzählen die Studenten die Sprachgeschichte einiger Begriffe, die vom Schmetterling bis zum Tohuwabohu reichen. "Für die Recherche habe ich mit dem Seminar viel Zeit in Bibliotheken verbracht", erzählt Kerstin Runschke.

Doch es musste auch gemalt, gebastelt und Sand aufgeschüttet werden. Zum Beispiel für den Begriff "Ferien". "Wir haben in einer Umfrage festgestellt, dass die meisten Menschen mit Ferien tatsächlich Sonne, Strand und Entspannung verbinden", sagt Ramona Storp. Dabei hatte das lateinische Wort 'feriae' ursprünglich eine andere Bedeutung. Ferien waren einfach nur Tage, an denen es keine Gerichtsverhandlungen gab und keine Geschäfte getätigt wurden.

Hängematte kommt nicht von "hängen"

Relaxen in der Hängematte an einem Palmenstrand auf den Malediven (Foto: dpa)
Bild: dpa - Fotoreport

Auch die Hängematte ist kein typisch deutsches Wort, das sich aus den Begriffen "hängen" und "Matte" zusammensetzt, sondern seinen Ursprung in der Karibik hat. "Wir finden es zum ersten Mal 1529 in einer deutschen Reisebeschreibung unter dem Begriff 'hamaco'", erzählt Ramona Storp. So nämlich nannten die Haitianer die Netze, in denen die Seefahrer schliefen, um nicht von Ratten oder Ungeziefer auf den Schiffen belästigt zu werden. Im 17. Jahrhundert wandelte sich der Begriff dann zur "Hängematte", angelehnt an die holländische Bezeichnung "hangmot".

Für die Ausstellung hat die 23-jährige Germanistikstudentin eine Landkarte erstellt, die den weiten Weg von Europa nach Haiti zeigt. Auch der Begriff "Tollpatsch" wird durch eine ungarisch-deutsche Landkarte symbolisiert, auf der breite Schuhsohlen den Weg weisen. "In Ungarn wurde den Fußsoldaten der Spitzname 'talpas' verpasst", berichtet Anna Schlotmann. Der Grund: Sie trugen breite Sandalen und galten deshalb als breitfüßig. Im 17. Jahrhundert wanderte der Begriff mit den Soldaten nach Deutschland, doch dort wandelte er sich zu einer Bezeichnung für einen ungeschickten Menschen, den "Tollpatsch".

Von der Wüste zum Tohuwabohu

Die Göttinger Gutenberg-Bibel (Foto: AP)
Enthält das älteste Migrationswort: die BibelBild: AP

Auch das vermutlich älteste Migrationswort der deutschen Sprache zeigt die Ausstellung. "Tohuwabohu kommt aus der Bibel und bezeichnet den Zustand der Erde vor dem ordnenden Eingreifen Gottes", erzählt Stefanie Feller. Im Hebräischen bedeutet Wüste 'tohu' und die Leere 'bohu', was Martin Luther dazu veranlasste, den bei Mose stehenden Satz "die Erde war wüst und leer" mit "Tohuwabohu" zu übersetzen.

"Die Beispiele zeigen, dass die deutsche Sprache sich aus vielen Wörtern mit Migrationshintergrund zusammensetzt", sagt Seminarleiterin Kerstin Runschke. "Wir sind sprachlich schon viel internationaler, als wir glauben."

Autorin: Sabine Damaschke
Redaktion: Gaby Reucher