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Von einer jüdischen Sekte zur Weltreligion

Christoph Strack30. Juli 2012

Das Wirken und Lehren des jüdischen Wanderpredigers Jesus veränderte die Geschichte tiefer als das je ein anderer Mensch vermochte. Die kleine Gruppe der Jesus-Nachfolger wuchs in 2000 Jahren zur größten Weltreligion.

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Ostermesse auf dem Petersplatz in Rom (Foto: dapd)
Bild: dapd

Ursprungsorte der religiösen Bewegung des Jesus Christus, des Christentums, der Kirche sind für ihre Anhänger die Geburtskirche in Bethlehem und die Grabes- und Auferstehungskirche in der Jerusalemer Altstadt. Sie stehen für die Eckdaten im Leben Jesu, für Geburt, Tod und Auferstehung. Hier Weihnachten, dort Karfreitag und Ostern. Auch jene, die nie etwas mit christlichem Glauben im Sinn hatten, wissen um diese Orte. Und doch liegt ein Ursprung des Christentums mindestens so sehr im Norden des heutigen Staats Israel, in Galiläa und vor allem am See Genezareth. Wo bestenfalls noch Ruinen stehen, lagen damals Fischerdörfer, in denen Jesus wirkte und in denen seine ersten Anhänger lebten. Von dort aus ging seine Botschaft der radikalen Liebe Gottes zu den Menschen hinaus in die Welt.

Das Handeln Jesu während der wenigen Jahre, in denen er öffentlich auftrat, unterscheidet sich deutlich von dem anderer Propheten seiner Zeit. Denn Jesus redete nicht nur spektakulär, sondern er wirkte zeichenhaft. Nach Überzeugung des Berliner evangelischen Kirchenhistorikers Christoph Markschies liegt darin Vieles von dem begründet, was jene Kreise bewegte, aus denen erste christliche Gemeinden und allmählich die frühe Kirche wurde. Er ist überzeugt davon, dass die Bewegung Jesu von Nazareth insofern eine besondere war, "als dass dieser Prophet gleichzeitig jemand war, der mit Krankheiten besonders umgehen konnte, also kranke Menschen gesund machen konnte. Er verschaffte ihnen den Eindruck, dass sie in der Begegnung mit ihm gesund werden." Dem Reden Jesu sei das Handeln gefolgt.

See Genezareth bei Kapernaum
See Genezareth bei KapernaumBild: picture-alliance / akg-images

Rascher Zulauf

Nachdem Jesus - ( vermutlich im Jahr 31 heutiger Zeitrechnung - am Kreuz starb, versetzten Berichte von der Auferstehung ihres Herrn seine Anhänger in erstaunliche Dynamik. Sie bekamen raschen Zulauf. Die christlichen Gemeinden entwickelten sich vielfach in den Synagogen. Eine klare Abgrenzung zum Judentum erfolgte erst allmählich. Paulus, Jude und römischer Bürger zugleich, wird Christ und einer der Haupt-Botschafter in Sachen christliche Glaubensverbreitung.

Paulus und sein Mitstreiter Petrus, der einer der Jünger Jesus war, richteten ihren Fokus auf Rom, die Hauptstadt des Reiches. Die christliche Bewegung insgesamt machte sich das für die kommenden Jahrhunderte zu eigen.

Jesus christ in heaven URL http://de.fotolia.com/id/9840532
Silhouette ChristiBild: Fotolia/Mike Kiev

Während sich bereits die ersten geistlichen Zentren entwickeln, gründen sich über das Römische Reich hinaus christliche Gemeinden. Die "christianoi" - so bald der Name - stehen nicht direkt gegen die staatliche Obrigkeit. Gleichwohl gibt es in den ersten drei Jahrhunderten wiederholt Verfolgungen von Christen durch den römischen Staat. "Sie tragen", sagt Christoph Markschies, "zur Identitätsstabilisierung der christlichen Gemeinde" bei.

Ein entscheidendes Ereignis gibt es im 4. Jahrhundert. Was im Begriff der "Konstantinischen Wende" dynamisch klingt, ist ein von Kaiser Konstantin (verstorben 337) eingeleiteter Prozess. Er mündet darin, dass das Christentum im Jahr 380 Staatsreligion wird. Es ist strittig, wie sehr es dem Kaiser um politisches Kalkül oder um persönliche Religiosität geht.

Kirche und Staat

Bis heute entzünden sich an der Zuordnung von Kirche und Staat Kontroversen. Dieses Thema wird bei Konstantin konkret und taucht seitdem immer wieder auf - auch im modernen Verfassungsstaat. Christoph Markschies gibt zu bedenken: "Man muss sich immer klar machen: Unsere säuberliche Unterscheidung von Glaube und Politik ist eine sehr neuzeitliche. Früher war man der Auffassung: Die Frage, welches Glaubensbekenntnis ein Volk oder ein Staat hat - wenn man diese modernen Begriffe verwenden darf - ist nicht nebensächlich, sondern für die Staatswohlfahrt essenziell."

Konstantin der Große (Foto: public domain/The Yorck Project: 10.000 Meisterwerke der Malerei, DVD-ROM, 2002)
Konstantin der GroßeBild: public domain

Kirche war nie ein monolithisches Gebilde. Zu Beginn dauert es Jahrhunderte, bis die soziale und geistliche Bewegung einen philosophischen Überbau bekommt. Seit 325 gibt es gesamtkirchliche Treffen, die "Ökumenischen Konzilien", die die Lehre der Kirche prägen und festschreiben. So befasst sich 451 das Konzil von Chalcedon (heute ein Stadtteil Istanbuls) mit der Frage der Natur Jesu Christi. Im Streit darüber, inwieweit er Mensch oder Gott war, spalten sich im Nachhinein die Kirchen Ägyptens und Syriens von der römischen Hauptlinie ab. Es dauert bis weit ins 20. Jahrhundert, bis geduldiger Dialog diese frühe Spaltung überwinden kann.

Doch die tiefste Spaltung erlebt die Christenheit im 11. Jahrhundert. In einem politisch motivierten Streit trennen sich West und Ost - das lateinische Sprechen und Denken vom griechischen Sprechen und Denken. Für Christoph Markschies ist die Kirchenspaltung des 11. Jahrhunderts "Ausdruck eines schon länger gärenden Entfremdungsprozesses".

An der Schwelle zur Neuzeit

Die nächste große innerkirchliche Krise bricht im 16. Jahrhundert auf. In Rom wächst der Bau des neuen Petersdoms heran - ein Statussymbol, das den Anspruch der römischen Kirche als Weltkirche verdeutlichen soll. Als die Finanzmittel knapp werden, verkauft die Kirche sogenannte Ablässe. Diese Briefe sollen eine Vergebung der Sünden garantieren und den Gläubigen so vor der Hölle bewahren. Das fordert den deutschen Augustinermönch Martin Luther (1483-1546) heraus. Seine biblische Argumentation, dass ein Mensch allein durch die Gnade Gottes gerecht werden kann, setzt die Reformation in Gang. Das etablierte kirchliche System gerät ins Wanken.

Das Luther-Denkmal auf dem Marktplatz in Wittenberg, Sachsen-Anhalt (Foto: AP)
Luther-Denkmal in WittenbergBild: AP

Da sich auch weltliche Herrscher in diese Machtprobe einschalten, folgen auf Debatten und Beschimpfungen bald auch bewaffnete Konflikte. Letztendlich erwächst aus der Reformation in Mittel- und Osteuropa eine ganze Reihe neuer christlicher Konfessionen - Lutheraner, Reformierte, Anglikaner.

Neues Denken

Alle Konfessionen sehen sich im 18. Jahrhundert der Aufklärung gegenüber. Sie steht für einen Erkenntnisprozess, der gerichtet ist auf die Befreiung von Traditionen, Institutionen, Konventionen und Normen, die nicht mit der Vernunft des Menschen begründet werden können. Die Autonomie der menschlichen Vernunft sollte zum Maß aller Dinge werden. Wegbereiter der Aufklärung war ein Umbruch in den Naturwissenschaften. Manche Debatte über die Zuordnung von Glaube und Vernunft erfolgt erst in der Gegenwart oder steht bis heute aus.

Doch die Aufklärung konnte die verschiedenen Kirchen im Grunde nie existenziell gefährden, In weiten Teilen der westlichen Welt befinden sich die Kirchen allerdings in einer ähnlichen Situation wie in den Anfangstagen des Christentums, weil sie in deren Gesellschaften an Rückhalt verlieren. Kirchenhistoriker Christoph Markschies nimmt das eher gelassen hin. Der Kirchenhistoriker sieht in der Rückbesinnung auf den Anfang durchaus Perspektiven für die Christen der Gegenwart: "Die Stärke der frühen Kirche war, dass sie Minderheit als Chance empfunden hat."

Prof. Christoph Markschies (Foto: pa/dpa)
Prof. Christoph MarkschiesBild: picture-alliance/dpa