1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Retter der Babydrachen

Enrique Gili22. März 2016

Eisbären und Pandas sind die Stars des Artenschutzes. Aber nicht alle Tiere sind auch süß. Manche haben vor allem Charakter, wie der sagenumwobene 'Babydrachen' des Balkan.

https://p.dw.com/p/1IHLp
Foto eines Olms unter Wasser auf einem Fels.
Bild: Dušan Jelić

Sollten Sie einmal in der märchenhaften Landschaft Kroatiens unterwegs sein und dabei durch einen der dunklen, morastigen und feuchten Gänge einer Höhle kommen, dann könnte Ihnen eine lebende Legende über den Weg laufen: der sogenannte Babydrachen des Balkans.

Nicht, dass sie jetzt an die geflügelten, feuerspeienden Drachen aus der Fernsehserie "Game of Thrones" denken. Die Kreatur, eigentlich ein Grottenolm, ist in Wirklichkeit wenig furchteinflößend. Der blinde, fleischfarbene Salamander ist trotzdem kein bisschen weniger faszinierend als die Fernsehdrachen. So faszinierend sogar, dass die Entdeckung von 55 Salamander-Eiern im Höhlenpark von Postojna die Aufmerksamkeit von Medien und Wissenschaftlern in aller Welt erregte.

Bislang ist nur wenig über die wahre Natur dieser mysteriösen Wesen bekannt. Dabei kennen sie die Menschen des Balkans bereits seit dem Mittelalter. In der kroatischen Folklore beispielsweise hat der Grottenolm dank seines schlangenähnlichen Körpers und breiten Kopfes mit außenliegenden Kiemen den Ruf, ein Sprössling der Drachen zu sein. Der Legende nach wurden sie durch starken Regen aus den unterirdischen Drachenhöhlen ihrer Eltern an die Erdoberfläche gespült.

Von Märchen einmal abgesehen blieb die Spezies bis in die letzte Hälfte des 19. Jahrhunderts weitgehend unerforscht. Das fehlende Wissen über die Lebensweise der Tiere in der freien Natur bereitet Umweltschützern heute Sorgen. Die #link:http://www.iucnredlist.org/details/18377/0:IUCN stuft den Grottenolm als gefährdet (vulnerable) und seine Zahl als sinkend ein#. Der Lebensraum der Höhlenbewohner ist vor allem durch Umweltverschmutzung und eine zunehmende Veränderungen der Landnutzung bedroht. Grottenolme sind ein Spiegelbild für Amphibienarten überall auf der Welt. Deren Zahl geht dramatisch schnell zurück. Bis 2050 könnte die Hälfte aller Arten verschwunden sein.

Dusan Jelic, ein Naturschutzbiologe am Croatian Institute for Biodiversity, versucht, Licht in die versteckte Welt der Grottenolme zu bringen. Er glaubt, dass ihr Wert als Schlüsselart weit über alte Legenden hinaus geht und dass ihr Wohlergehen eng mit dem Wohlergehen des ganzen Landes verbunden ist. "Wir haben ein altes Sprichwort: Wenn das Wasser gut ist für den Salamander, dann ist es definitiv gut zum Trinken", sagt Jelic.

In die Tiefe

Die Grottenolme leben tief unter der Erde, in einer Region, die als dinarischer Bogen bekannt ist. Hier befindet sich ein biologischer Hotspot, der sich von den Balkanstaaten des ehemaligen Jugoslawien bis in den angrenzenden nordöstlichen Zipfel Italiens erstreckt. Der Lebensraum des Salamanders besteht aus einer Reihe von labyrinthartigen Höhlen, die so schwer zugänglich sind, dass sie noch immer nicht vollständig kartografiert und erforscht sind.

Der Grottenolm findet sich in seiner dunklen Welt zurecht, weil er über ein sehr feines Gehör und einen sechsten Sinn verfügt, den auch Haie haben. Er kann Veränderungen in elektromagnetischen Feldern wahrnehmen.

Bis vor kurzem war es Menschen fast unmöglich, Grottenolme in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten. Doch der technische Fortschritt ermöglicht es Forschern wie Jelic, Wissenschaft und Extremsport zu verbinden, um mehr über die Tiere zu lernen. Höhenangst und Klaustrophobie dürfen die Wissenschaftler bei ihrer Arbeit jedenfalls nicht haben. Mitunter geht es steil abwärts oder durch sehr enge Gänge.

"Mit speziellen Höhlentauchgeräten, die es uns ermöglichen, bis zu acht Stunden lang unter Wasser zu sein, eröffnen sich uns neue Möglichkeiten, um in die Tiefe hinabzusteigen und Informationen zu sammeln", so Jelic.

Seine bis dato ehrgeizigste Forschungsexpedition führte ihn und sein Team 1400 Meter unter die Erde. Im kroatischen Krka Nationalpark gingen die Wissenschaftler auf die Suche nach einem unerforschten, unterirdischen Fluss.

"Vier Wochen und 60 Mann waren nötig, um die gesamte Ausrüstung da runter zu bringen, nur damit zwei Taucher tauchen konnten", sagt Jelic. "Am Ende wurden wir dauerhaft überwacht. Jelic nutzt solche Tauchgänge auch dafür, die Grottenolm-Populationen zu überwachen und nach Anzeichen für Umweltverschmutzung zu suchen.

Probleme mit Umweltverschmutzung

Ein Grund dafür ist die Trinkwasserversorgung in Kroatien. Das Wasser wird über Grundwasserleiter an die Oberfläche gepumpt und verschmutztes Wasser fließt dank der Schwerkraft wieder zurück in die Höhlensysteme. Laut Jelic nutzen Kroatiens berühmte alte Städte und Dörfer noch immer veraltete Rohrleitungen und Abwassersysteme. Demzufolge fließt das ungeklärte Abwasser einfach in die Umwelt. Und das kann katastrophale Folgen für den Grottenolm haben.

Zwar sind kleine Mengen organischen Materials nützlich für die Nahrungsversorgung der Tiere, "aber sobald man es zu weit treibt, fehlt auf einmal Sauerstoff und alles stirbt", sagt Jelic. Achtlose Zerstörung, Dämme und Abholzung belasten zudem die Wasserqualität und verkleinern den verfügbaren Lebensraum der Spezies. "Wir haben mehr Umweltverschmutzung als je zuvor", sagt Jelic.

Aber es gibt nicht nur schlechte Nachrichten: 2013 wurde Kroatien Mitglied der Europäischen Union und trat dem europäischen Natura 2000 Netzwerk bei, das die Artenvielfalt und die unterschiedlichen Lebensräume des Kontinents erhalten will.

Dazu hat Kroatien elf Arten benannt, die besonders schützenswert sind, darunter den Grottenolm. Mit dabei sind zwei Arten, die auch Höhlensysteme brauchen, in dem die Salamander zuhause sind. Und diese Nominierungen scheinen positive Auswirkungen auf den Grottenolm zu haben.

"Erst kürzlich haben wir für das Ombla Höhlensystem (in Südkroatien) Beweise liefern können, nach denen ein geplantes Wasserkraftwerk erhebliche Auswirkungen auf Grottenolme und Höhlenfische haben würde. Letztendlich wurden die Pläne niedergelegt", sagt Jelic.

Kuriositätenkabinett

Auch kleine Siege zählen natürlich. Doch der Grottenolm teilt ein Schicksal, das auch viele andere Arten haben, die wenig bekannt oder einfach nicht fotogen sind: Er ist nicht so süß wie ein Panda oder ein Löwenbaby und taugt damit nicht zum Artenschutz-Maskottchen.

Die #link:http://www.zsl.org/:Zoological Society of London (ZSL)# will für genau diese Arten etwas tun. "Wenn wir die Grottenolme verlieren, dann gibt es nichts Vergleichbares mehr auf der Welt", sagt Nisha Owen, Programm-Managerin des #link:http://www.edgeofexistence.org/:Edge of Existence (EDGE) Programms#, das auf gefährdete Arten aufmerksam macht, die nicht im Rampenlicht der Medien stehen. Sonderbar und genetisch isoliert muss eine Art sein, um es unter die "Top 100" der gefährdetsten Arten des EDGE-Programms zu schaffen. Der Grottenolm ist Platz 19 auf der Liste der Amphibien, auf der er mit anderen Kuriositäten wie dem Chinesischen Riesensalamander, dem mexikanischen Axolotl und dem lungenlosen Salamander steht.

Die Naturschutzorganisation finanziert auch die Forschung von Wissenschaftlern wie Jelic, die eine offensichtliche Leidenschaft für eine besondere Spezies und deren Lebensraum haben. "Wenn die Leute wenigstens über eine Tierart und die Herausforderungen, der sie gegenübersteht, nachdenken, kann man daran arbeiten, eine Lösung zu finden", sagt Jelic. Seine Faszination für den Grottenolm hat er schon von Kindesbeinen an.

Foto von zwei von Wald umgebenen Seen im Nationalpark Plitvicer Seen in Kroatien.
Der Nationalpark Plitvicer Seen in Kroatien erscheint wie ein verzauberter Ort und ist einer der Orte, wo man die seltenen Olme finden kannBild: picture alliance/PIXSELL/B. Filic
Foto von zwei Olmen nebeneinander.
Olme schwimmen mithilfe ihres Schwanzes. Ihre Beine sind eher klein. Sie verfügen sowohl über Lungen als auch über AußenkiemenBild: gemeinfrei
Foto eines Tauchers mit einem Olm.
Um Olme zu erforschen, müssen Forscher abenteuerlustig sein. Oft müssen sie klettern und durch unterirdische Tunnelsysteme tauchen, um die Tiere zu findenBild: PROTEUS/Vedran Jalžić