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Von der Radikalopposition zur Volkspartei?

19. November 2010

Die Grünen sind in Freiburg zu ihrem ersten Bundesparteitag seit ihren Rekordwerten bei Umfragen zusammengekommen. Die vor 30 Jahren gegründete Partei gehört längst nicht mehr zur Radikalopposition.

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Symbolbild Grüner Aufschwung (Foto: dpa)
Bild: Bilderbox

"Wir schalten um auf: Die Grünen. Die einzige Alternative. Wir wählen die Grünen." Mit diesem etwas ungelenken Slogan zogen die Grünen im Jahr 1980 in ihren ersten Bundestagswahlkampf. Kurz zuvor hatten sie sich in Karlsruhe als Partei auf Bundesebene gegründet. Hervorgegangen war die neue Partei aus der Umweltbewegung, der Anti-Atombewegung und aus sozialen Gruppierungen. Daneben spielten aber auch Rüstungsfragen und der Nato-Doppelbeschluss, der die Stationierung von amerikanischen Raketen in Europa vorsah, eine wichtige Rolle bei der Gründung der Grünen. "Es gab gravierende Missstände in der Gesellschaft. Es drohte ein Wettrüsten mit einer atomaren Vernichtung der ganzen Welt", erinnert sich Hans-Christian Ströbele, Gründungsmitglied und mit 74 Jahren der älteste Bundestagsabgeordnete der Grünen. Die neue Partei sei aus der Kritik an dem bestehenden Parteiensystem entstanden. Sie habe alles anders machen wollen als die etablierten Parteien.

Porträt Hans-Christian Ströbele (Foto: DW)
Grünes Urgestein: Hans-Christian StröbeleBild: Kiesel

In der Tat verstanden sich die Grünen als "Anti-Parteien-Partei". Sie wollten mehr innerparteiliche Demokratie, mehr Pluralität und mehr Transparenz. Darum führten sie eine ganze Reihe von Regelungen ein, die erst im Lauf der Jahre und nach schweren innerparteilichen Kämpfen aufgegeben wurden. So mussten die gewählten Abgeordneten in einem Rotationsverfahren ihre Plätze im Parlament nach zwei Jahren für Nachrücker räumen, so wurden Amt und Mandat streng getrennt, die Geschlechter und die verschiedenen Flügel der Partei mussten gleichmäßig repräsentiert sein. Bis heute erhalten hat sich dagegen die Doppelspitze in Partei und Fraktion, die mit mindestens einer Frau besetzt sein muss.

Einzug der bunten Exoten in den Bundestag

1980 erreichten die Grünen nur enttäuschende 1,5 Prozent der Stimmen. Bei den vorgezogenen Neuwahlen im Jahr 1983 dagegen schafften sie den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde und zogen erstmals in den Bundestag ein.

Als die Abgeordneten der anderen Parteien sich am Morgen des 29. März 1983 vor der konstituierenden Sitzung zum ökumenischen Gottesdienst trafen, rollten die Grünen einen Erdball durch die Bonner Innenstadt, damals war Bonn noch Hauptstadt, und trugen Blumen und Zweige in den Bundestag. Mit ihrer bunten Kleidung, ihren Bärten und langen Haaren trugen sie Farbe in das ehrwürdige Grau des Plenarsaals. Doch nicht die Kleidung und das Aussehen waren das Wesentliche, sagt Ströbele im Blick zurück: "Das wesentliche waren die anderen Inhalte am Rednerpult."

Infografik Bundestagswahlergebnisse der Grünen (Grafik: DW)

Die anderen Parteien taten sich zunächst schwer mit den bunten Exoten im Bundestag. Erst nach und nach akzeptierten sie die neue Partei und integrierten sie in die parlamentarische Arbeit. Im Jahr 1990 aber schien der Aufstieg der Grünen zunächst gestoppt zu sein. In der Bundestagswahl nach der Wiedervereinigung scheiterten die westdeutschen Grünen an der Fünf-Prozent-Hürde. Nur die Fusion mit der ostdeutschen Bürgerbewegung Bündnis 90 sicherte der Partei den Wiedereinzug in den Bundestag.

Der Aufstieg von Joschka Fischer

Die frühen 1990er-Jahre waren für die Partei eine Zeit der inhaltlichen Neuorientierung. Im Streit zwischen den Flügeln verließen prominente Politiker des linken Flügels, die sogenannten Fundis die Partei. Der realpolitische Flügel, die sogenannten Realos, behielt die Oberhand. Bestimmend für den neuen Kurs der Partei wurde Joschka Fischer, der als erster grüner Umweltminister in Hessen schon 1985 Regierungsverantwortung hatte sammeln können. Er wurde 1994 einer von zwei Vorsitzenden der grünen Bundestagsfraktion.

Beim Parteitag in Bremen 1995 brach Fischer mit einem Tabu der Grünen: Er sprach sich für Auslandseinsätze der Bundeswehr aus. Es war der Bosnien-Krieg und das Massaker an den muslimischen Männern in der Uno-Schutzzone von Srebrenica, die bei ihm zu einer Abkehr vom traditionellen Pazifismus der Grünen führte.

Porträt Joschka Fischer (Foto: AP)
Symbol für den Wandel in den 90er-Jahren: Joschka FischerBild: AP

Nach der Bundestagswahl 1998 wurde Fischer Außenminister und musste Deutschlands Beteiligung am Kosovo-Krieg mitverantworten. Innerparteilich führte dieser Kurswechsel zu harten Auseinandersetzungen mit der Basis, die die Militarisierung der Außenpolitik nicht so ohne weiteres mittragen wollte. Beim Sonderparteitag in Bielefeld im Jahr 1999 gab es regelrechte Tumulte, bei denen Fischer von einem Farbbeutel am Kopf getroffen wurde. In seiner Rede sagte der damalige Bundesaußenminister: "Es ist jetzt Krieg und ich hätte mir nie träumen lassen, dass Rot-Grün mit im Krieg ist, aber dieser Krieg … hat mittlerweile Hunderttausenden das Leben gekostet. Und das ist der Punkt, wo Bündnis 90/Die Grünen nicht mehr Protestpartei sind."

Am Ende stärkte der Parteitag Joschka Fischer den Rücken. Der Bruch der rot-grünen Koalition wurde damit abgewendet. Größter Erfolg der Grünen in ihrer Regierungszeit als Juniorpartner der SPD war der Ausstieg aus der Atomenergie und die Vereinbarung von Restlaufzeiten für die deutschen Kernkraftwerke.

Steigende Popularitätswerte

Nach der Bundestagswahl im Jahr 2005 kehrten die Grünen in die Opposition zurück. Bei der Wahl im Jahr 2009 erreichten sie mit 10,7 Prozent der Zweitstimmen ihr bisher bestes Wahlergebnis.

In den Meinungsumfragen steigt ihr Ansehen seither ständig. In manchen Regionen hat die grüne Partei längst der SPD den Rang abgelaufen und gilt schon als die neue Volkspartei. Hans-Christian Ströbele ist der erste Bundestagsabgeordnete der Grünen, der in Berlin ein Direktmandat für die Grünen erringen konnte. In manchen Gegenden Berlins, sagt er stolz, seien die Grünen inzwischen nicht nur Volkspartei, sondern sogar schon die stärkste Partei.

Autorin: Bettina Marx
Redaktion: Kay-Alexander Scholz