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Politik

Von der Leyen will auf Polen zugehen

Patrick Große
19. Juli 2019

"Keiner ist perfekt": Nach ihrer Wahl schlägt die neue Kommissionschefin beim Thema Rechtsstaatlichkeit gegenüber Polen versöhnliche Töne an. Neuer Stil oder Gegenleistung für die Stimmen der rechtsnationalen PiS-Partei?

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EU-Parlament: Ursula von der Leyen - Wahl zur Kommissionspräsidentin
Verständnis zeigen für die Länder Osteuropas: die designierte Kommissionschefin von der LeyenBild: Getty Images/AFP/F. Florin

Eigentlich hat die EU-Kommission Polen ein Ultimatum gesetzt. Zwei Monate, bis dann müsse die polnische Regierung bestimmte Regelungen im Justizwesen überarbeiten. Diese seien mit dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit in der EU nicht vereinbar. Konkret geht es darum, dass polnischen Richtern Disziplinarverfahren drohen, sollten sie zur Unterstützung ihrer Rechtsprechung eine Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) einholen - eigentlich ein unveräußerliches Recht in den EU-Verträgen. Sollte nichts passieren, werde die EU-Kommission ihrerseits den EuGH einschalten - um gegen Polen vorzugehen.

Diese Drohgebärden kamen am Mittwoch aus Brüssel. Zwei Tage später klingt es aus Berlin schon deutlich versöhnlicher. Die bald wichtigste Frau der EU, die designierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, wirbt in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" um Verständnis mit osteuropäischen Staaten wie Polen. "Wir alle müssen lernen, dass volle Rechtsstaatlichkeit immer unser Ziel ist, aber keiner ist perfekt", sagte von der Leyen.

Dialog statt Strafen

Seit 2017 führt die EU ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen. Die EU-Kommission sieht wegen einer Justizreform der rechtsnationalen Regierung den Rechtsstaat in Gefahr. In letzter Konsequenz könnte das Land sein Stimmrecht in der EU verlieren. Seitdem sind Warschau und Brüssel auf Konfrontationskurs. "Wir brauchen eine sachlichere Debatte", mahnt von der Leyen im Interview mit der "SZ". Damit schlägt sie einen neuen Ton im Umgang mit Polen an: Dialog und Verständnis statt Drohungen und Strafen.

Polen Protest gegen Justizreform in Breslau
Proteste gegen die polnische Justizreform in Breslau im Juli 2017Bild: Reuters/Agencja Gazeta/M. Michalak

Milan Nič, kommissarischer Leiter des Robert Bosch-Zentrums für Mittel- und Osteuropa, stimmt ihr im DW-Gespräch zu: "Natürlich müssen wir von allen Mitgliedsstaaten erwarten, dass sie den Rechtsstaat respektieren. Aber die Debatte zu Polen war manchmal schon sehr überhitzt." Auch wenn man inhaltlich nicht einer Meinung sei, müssten beide Seiten respektvoll miteinander reden.

"Wenn man das Gespräch sucht, stellt man nicht die schärfste Drohung an den Anfang", sagt Ursula von der Leyen. Damit gibt sie eine Antwort auf eine langanhaltende Diskussion innerhalb der EU. Die Auszahlung von EU-Mitteln könnte an die Situation der Rechtsstaatlichkeit geknüpft werden, schlug die bisherige Kommission von Jean-Claude Juncker vor. Für von der Leyen ist das nur "das allerletzte Mittel nach vielen Stufen, die vorher kommen".

Politiker in Polen reagieren unterschiedlich auf von der Leyens Aussagen - je nachdem, ob sie Teil der Regierung oder der Opposition sind. "Es ist eine Chance für einen Ausgleich", sagte Vize-Außenminister Szymon Szynkowski. "Meiner Meinung nach sollten die EU-Kommission und andere europäische Institutionen ihr Ansehen in der polnischen Gesellschaft wiederaufbauen." Das sieht Bogdan Borusewicz anders. "Die Aussagen von Frau von der Leyen beunruhigen mich etwas", sagt der Politiker der Oppositionspartei "Bürgerplattform" der DW. "Ich habe die Vermutung, dass es von der Leyen um einen Deal ging." Dennoch betont der Politiker, dass es richtig sei, alle Länder in der EU gleich zu behandeln.

Szymon Szynkowski Staatssekretär im polnischen Außenministerium
Polens stellvertretender Außenminister Szymon Szynkowski sieht von der Leyens Wahl als "Chance"Bild: Polnische Botschaft Berlin/D. Pawlos

"Brauchen ein neues Werkzeug"

Die harte Gangart der Kommission war bisher wenig erfolgreich. Nur der Europäische Gerichtshof konnte Polen bisher einmal zum Einlenken bewegen: 2017 stoppte der EuGH ein Gesetz der polnischen Regierung, das eine neue Altersgrenze für Richter einführte. Damit, so die Kritiker, wollte sich die Regierung unliebsamer Systemkritiker entledigen. Warschau ließ die entlassenen Richter wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. "Es zeigt die Schönheit Europas, dass diese neutrale Institution von allen Mitgliedsstaaten respektiert wird", sagt von der Leyen über den EuGH und spricht sich damit gegen konfrontative Strafen und für neue Lösungen aus.

Für Osteuropaexperte Milan Nič ist das kein neuer Vorschlag: "Sie erfindet das Rad nicht neu." Von der Leyen greife lediglich Diskussionen auf, die es in Brüssel schon seit mindestens einem Jahr gebe. "Der Mechanismus des Vertragsverletzungsverfahrens war ein vorher nie getestetes Werkzeug", erklärt Nič. "Wir haben es ausprobiert und sind an Grenzen gestoßen. Daher brauchen wir etwas Neues."

Polen Viktor Orban in Warschau
Ungarns Ministerpräsident Victor Orban und der Parteivorsitzende der polnischen PiS, Jaroslaw KaczynskiBild: picture-alliance/dpa/PAP/P. Supernak

Nicht voll akzeptiert

Die Probleme zwischen der EU und Staaten wie Polen lägen zudem tiefer. "Es gibt in Europa Risse. Zwischen Nord und Süd aus eher wirtschaftlichen Gründen, aber auch zwischen Ost und West, wo sie eher eine emotionale Komponente haben." In den osteuropäischen Ländern herrsche bei vielen das Gefühl, von den anderen EU-Mitgliedern "nicht voll akzeptiert zu sein".

Ein Gefühl, dass sich nach Milan Ničs Meinung schon 2004 einstellte. Damals nahm die EU gleich zehn neue Länder in die Gemeinschaft auf, darunter Polen und Ungarn. "In Deutschland ist immer öfter zu hören, dass diese große Erweiterung viel zu schnell verlief. Die Gesellschaften der neuen Mitglieder waren teils ganz anders als die im Rest Europas." Hinzu kam dann die Migrationskrise im Jahr 2015. "Es entstand eine Teilung Europas, die die politischen Debatten vergiftet hat", meint Nič. Stereotypen und negative Bilder hätten die Zeit nach 2015 bestimmt.

Milan Nic, kommissarischer Leiter des Robert Bosch-Zentrums für Mittel- und Osteuropa
Milan Nič, Experte für die EU, Osteuropa und den BalkanBild: Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.

"Wenn wir die Debatte so scharf führen, wie wir sie führen, trägt das auch dazu bei, dass Länder und Völker glauben, sie seien im Ganzen gemeint, wenn einzelne Defizite kritisiert werden", sagt von der Leyen in der "SZ". Mit einem Monitoringsystem für Rechtsstaatlichkeit für alle Mitgliedsstaaten solle vermieden werden, dass "nicht der Eindruck entsteht, dass ein Teil Europas grundsätzlich den anderen kritisch betrachtet".

In der Schuld Polens?

Ursula von der Leyens Ansätze bringen frischen Wind nach Brüssel. Doch der Kontext ihrer Wahl zur Kommissionspräsidentin lässt ihre Aussagen verdächtig erscheinen. Schließlich erhielt die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin im Parlamentnur neun Stimmen mehr als sie brauchte. Den Ausschlag gaben dabei auch die Stimmen der rechtsnationalen PiS-Partei aus Polen. Bedankt sich von der Leyen nun mit einem weicheren Kurs gegenüber Warschau?

Frankreich Wahl zur EU-Kommissionspräsidentin | David-Maria Sassoli und Ursula von der Leyen
Knappes Ergebnis: Mit neun Stimmen Mehrheit wählte das EU-Parlament von der Leyen zur neuen KommissionspräsidentinBild: Reuters/V. Kessler

"Die heutige politische Situation ist aus polnischer Perspektive günstig", erklärte Polens Außenminister Szynkowski nach der Wahl. Von der Leyen sei praktisch direkt mit PiS-Stimmen gewählt worden. Die Regierung in Polen sieht sich am längeren Hebel. Milan Nič hingegen glaubt nicht, dass von der Leyen jetzt Politik im Sinne Polens machen werde. Durch ihren nur knappen Sieg stünde sie nämlich auch unter dem Druck der Sozialisten und der Liberalen im Parlament. Dort werde sie wegen fehlender Mehrheiten der großen Parteien für jede Initiative mit anderen Fraktionen zusammenarbeiten müssen. "Das ist das Paradoxe: Gerade wegen der Stimmen aus Polen wird sie weiterhin auf die Rechtsstaatlichkeit pochen."

Mitarbeit: Magdalena Gwozdz