Vom Heroin loskommen mit einer Substitutionstherapie
Sie wird als Chance für Opioid-Abhängige gesehen, von Drogen wegzukommen: die Substitutionstherapie. Doch noch bekommen zu wenig Abhängige die gesetzlich erlaubten Mittel. Das soll sich ändern.
Jeden Morgen trinkt Claudia Schieren eine Tasse Kaffee und schluckt dazu eine Tablette. Wenn sie vergisst, die Tablette zu nehmen, meldet sich ihr Körper spätestens 48 Stunden später mit körperlichen Entzugserscheinungen Entzugserscheinung, -en (f.) körperliche und psychische Symptome (z. B. Schmerzen, Zittern, Angst), die einige Zeit nach der letzten Einnahme von Suchtmitteln (z. B. Drogen, Alkohol) bei jemandem beginnen, dessen Körper an Suchtmittel gewöhnt ist wie Schüttelfrost Schüttelfrost (m., nur Singular) ein Schütteln des gesamten Körpers, das begleitet wird von einem starken Kältegefühl und einem krampfartigen Zittern der Muskeln und Gliederschmerzen. Die Berlinerin konsumiert seit mehr als 25 Jahren Polamidon. Das Präparat Präparat, -e (n.) hier: ein Medikament; ein Ersatzmittel enthält den Wirkstoff Methadon Methadon (n., nur Singular) ein künstlich hergestellter Stoff, der als Ersatz für süchtig machende Drogen dient , den häufigsten Ersatzstoff für Heroin Heroin (n., nur Singular) eine starke, süchtig machende Droge . Rauschzustände bekommt sie von diesem synthetisch synthetisch künstlich hergestellt; chemisch hergestellt hergestellten Opioid Opioid, -e (n.) eine Substanz mit opiumähnlicher Wirkung, die als Schmerzmittel eingesetzt, aber auch als Droge missbraucht wird nicht. Denn Methadon mindert die Entzugssymptome, ruft aber nicht die berauschenden Wirkungen von Heroin hervor.
In Deutschland sind mindestens 160.000 Menschen von Opioiden – meist Heroin – abhängig. Etwas weniger als die Hälfte von ihnen macht eine „Substitutionstherapie Opioid-Abhängiger“, die auch als „Drogenersatztherapie“ oder „Drogensubstitution“ bezeichnet wird. In vielen anderen europäischen Ländern ist die Behandlungsquote deutlich höher – in Frankreich, Spanien und Norwegen liegt sie bei etwa 85 Prozent. Langfristiges Ziel einer Ersatztherapie ist, durch eine schrittweise Verringerung der verabreichten Dosis eine komplette Drogenabstinenz Drogenabstinenz (f., nur Singular) die Tatsache, dass jemand keine Drogen mehr nimmt, nachdem er diese (regelmäßig) genommen hat zu erreichen, clean clean (aus dem Englischen) umgangssprachlich für: so, dass jemand (nach einer Behandlung) nicht mehr drogenabhängig ist zu werden.
Damit die Substitution Substitution (f., nur Singular) der Ersatz sbehandlung von Drogensüchtigen auch in Deutschland ein stärkeres Gewicht bekommt, starteten im Sommer 2020 drei Organisationen die Kampagne „100.000 Substituierte bis 2022“: die Deutsche Aidshilfe, der ‚akzept‘-Bundesverband – ein Dachverband Dachverband, -verbände (m.) eine Organisation von Unternehmen, Institutionen o. Ä., die gemeinsame Interessen ihrer jeweiligen Branche, ihres thematischen Schwerpunkts o. Ä. gemeinsam vertreten von etwa 60 Einrichtungen der Drogenhilfe – sowie der Bundesverband ‚Junkies Junkie, -s (m.) jemand, der abhängig ist von etwas (z. B. Drogen) , Ehemalige und Substituierte‘ (JES). Ihr gemeinsames Ziel ist, den prozentualen Anteil der behandelten Opioid-Abhängigen bis 2022 auf mindestens 60 Prozent zu steigern. Ein ehrgeiziges Ziel, denn diese Form der Behandlung Drogenabhängiger hatte es in Deutschland nie leicht, schildert Dirk Schäffer von der Deutschen Aidshilfe:
„Aus der Geschichte muss man wissen, dass die Substitutionstherapie zum Beginn der [19]90er-Jahre in Deutschland hoch umstritten war, während andere Länder in Europa wie Frankreich, aber auch Österreich da schon viel weiter waren und Menschen schon längst behandelt haben mit sogenannten Ersatzstoffen. Und diese große Skepsis hat sich niedergeschlagen in einem sehr strikten Regelwerk hier in Deutschland.“
In Deutschland gab es früher im Vergleich zu anderen europäischen Ländern starke Vorbehalte und ein großes Misstrauen gegenüber der Behandlung Opioid-Abhängiger mit Drogenersatzstoffen wie beispielsweise Methadon. Sie war hoch umstritten. Die Skepsis war groß. Denn in der Ärzteschaft und in der Politik befürchtete man eine neue Abhängigkeit, dieses Mal von den Ersatzmitteln. Das spiegelte sich, so Dirk Schäffer, in sehr strikten, strengen, gesetzlichen Vorgaben wider. So war etwa genau festgelegt, wer überhaupt eine Therapie erhielt, welche Ersatzstoffe in welchen Mengen verabreicht werden durften und dass die Behandlung nur Ärztinnen und Ärzte mit einer entsprechenden suchtmedizinischen Qualifikation in ihrer Praxis durchführen durften. Die Folge: Ärzte und Patienten waren abgeschreckt.
2017 wurde das Regelwerk reformiert. Vieles läuft nun unkomplizierter. So dürfen beispielsweise stabile stabil hier: widerstandsfähig, nicht mehr anfällig Patientinnen und Patienten Substitutionsmittel mit nach Hause nehmen und dort selbst einnehmen. Außerdem gibt es mehr Rechtssicherheit für Ärzte, wenn sie jemanden ersatztherapeutisch behandeln. Auch Claudia Schieren profitierte von den gelockerten Richtlinien. Sie muss nun nicht mehr jeden Tag zum Arzt, um dort ihr Ersatzmittel einzunehmen, sondern darf die Polamidon-Tabletten zu Hause schlucken. Ihre erste Dosis Polamidon bekam sie im Jahr 1989. Damals steckte in den Kinderschuhen stecken umgangssprachlich für: noch ganz am Anfang sein, noch nicht sehr weit entwickelt sein die Ersatztherapie in Deutschland noch in den Kinderschuhen in den Kinderschuhen stecken umgangssprachlich für: noch ganz am Anfang sein, noch nicht sehr weit entwickelt sein . Für Claudia Schieren war sie aber eine Chance:
„Ich bin seit meinem 17. Lebensjahr auf Heroin und hab so alle Stationen durchlaufen, die man so klassisch durchläuft: von zu Hause raus, Obdachlosigkeit, Haft, Therapien über eine ganz lange Zeit. Und dann ungefähr nach zehn, zwölf Jahren Heroinkonsum war ich wieder obdachlos, und dann war ich in so einem Betreuten Wohnen für obdachlose Drogengebraucher. Und da hatte ich das erste Mal die Möglichkeit, in die Substitution zu kommen.“
Mehrere stationäre Entzugstherapien in Suchtkliniken halfen Claudia Schieren nicht, von der Droge loszukommen von etwas los|kommen sich von etwas befreien, auf etwas verzichten können . Sie landete landen hier: enden; ankommen wieder in der Abhängigkeit. In einer besonderen Wohnform, bei der Abhängige einerseits von Fachleuten betreut werden, sich andererseits aber auch unter professioneller Anleitung gegenseitig unterstützen, dem Betreuten Wohnen, lernte sie die Möglichkeit der Ersatztherapie kennen. Sie ließ sich auf etwas ein|lassen hier: etwas ausprobieren; etwas tun, das vielleicht negative Folgen hat sich auf eine Substitutionsbehandlung mit Polamidon ein sich auf etwas ein|lassen hier: etwas ausprobieren; etwas tun, das vielleicht negative Folgen hat . Doch die Anfangsdosis war zu gering, die Entzugsschmerzen so groß, dass sie das Krankenhaus verließ – und wieder Heroin nahm. Ein paar Jahre später versuchte sie es nochmal mit Polamidon – und diesmal klappte klappen umgangssprachlich für: gelingen es. Für sie war das eine große Erleichterung, sagt sie:
„Jeden Tag viel, viel Geld zu organisieren, um sich Drogen kaufen zu können, das ist ein Riesendruck. Und das geht ganz schön auf die körperliche Substanz auch und natürlich auch auf die Psyche, wenn man immer wieder irgendwie illegal Geld beschaffen muss.“
Vor Therapiebeginn Anfang der 1990er-Jahre war Claudia Schieren noch arbeitslos und versuchte täglich, irgendwie an Geld für die Drogen zu kommen und keine Entzugserscheinungen zu bekommen. Die Ersatztherapie sorgte dafür, dass es in ihrem Leben langsam bergauf ging bergauf gehen, es geht bergauf hier: besser werden . Seit 2005 steht sie fest im Beruf, arbeitet seit 2011 auch im JES-Bundesvorstand mit. Trotzdem hat sie manchmal mit dem Gedanken gespielt, das chemische Mittel abzusetzen etwas ab|setzen hier: damit aufhören, etwas zu nehmen (z. B. ein Medikament) , weil sie es nicht ihr Leben lang nehmen wollte. Doch schließlich gestand sich etwas ein|gestehen sagen, dass man etwas nicht (gut) kann oder man einen Fehler gemacht hat sie sich ein sich etwas ein|gestehen sagen, dass man etwas nicht (gut) kann oder man einen Fehler gemacht hat :
„Mittlerweile ist das auch so eine Krücke, so eine Stütze. Weil, ich kann mir auch selber nicht garantieren, wenn ich das absetzen würde, dass ich weiterhin stabil bleibe. Und die Gefahr ist mir einfach zu hoch, wieder da zu landen, wo ich herkomme.“
Für viele ist die Substitutionstherapie eine Chance, dem Teufelskreis Teufelskreis, -e (m.) eine schlimme Situation, aus der man nicht mehr herauskommt, weil sich bestimmte Probleme gegenseitig verstärken aus Drogenkonsum und Beschaffungskriminalität Beschaffungskriminalität (f., nur Singular) kriminelle Handlungen mit dem Ziel, sich finanzielle Mittel zum Kauf von Drogen zu verschaffen zu entkommen. Und deshalb, so sagt Dirk Schäffer von der Deutschen Aidshilfe:
„Deshalb kämpfen wir so dafür, dass eigentlich jeder, der das möchte, die Chance zur Behandlung erhält, um das mal auszuprobieren, ob das was für ihn ist, und was zu finden, was zwischen Schwarz und Weiß ist, also abhängig zu sein oder clean, dass es noch Grautöne dazwischen gibt. Und die Substitution ist ein Grauton und vielleicht der wichtigste, den wir haben.“
Vom Heroin loskommen mit einer Substitutionstherapie
Entzugserscheinung, -en (f.) — körperliche und psychische Symptome (z. B. Schmerzen, Zittern, Angst), die einige Zeit nach der letzten Einnahme von Suchtmitteln (z. B. Drogen, Alkohol) bei jemandem beginnen, dessen Körper an Suchtmittel gewöhnt ist
Schüttelfrost (m., nur Singular) — ein Schütteln des gesamten Körpers, das begleitet wird von einem starken Kältegefühl und einem krampfartigen Zittern der Muskeln
Präparat, -e (n.) — hier: ein Medikament; ein Ersatzmittel
Methadon (n., nur Singular) — ein künstlich hergestellter Stoff, der als Ersatz für süchtig machende Drogen dient
Heroin (n., nur Singular) — eine starke, süchtig machende Droge
synthetisch — künstlich hergestellt; chemisch hergestellt
Opioid, -e (n.) — eine Substanz mit opiumähnlicher Wirkung, die als Schmerzmittel eingesetzt, aber auch als Droge missbraucht wird
Drogenabstinenz (f., nur Singular) — die Tatsache, dass jemand keine Drogen mehr nimmt, nachdem er diese (regelmäßig) genommen hat
clean (aus dem Englischen) — umgangssprachlich für: so, dass jemand (nach einer Behandlung) nicht mehr drogenabhängig ist
Substitution (f., nur Singular) — der Ersatz
Dachverband, -verbände (m.) — eine Organisation von Unternehmen, Institutionen o. Ä., die gemeinsame Interessen ihrer jeweiligen Branche, ihres thematischen Schwerpunkts o. Ä. gemeinsam vertreten
Junkie, -s (m.) — jemand, der abhängig ist von etwas (z. B. Drogen)
stabil — hier: widerstandsfähig, nicht mehr anfällig
in den Kinderschuhen stecken — umgangssprachlich für: noch ganz am Anfang sein, noch nicht sehr weit entwickelt sein
von etwas los|kommen — sich von etwas befreien, auf etwas verzichten können
landen — hier: enden; ankommen
sich auf etwas ein|lassen — hier: etwas ausprobieren; etwas tun, das vielleicht negative Folgen hat
klappen — umgangssprachlich für: gelingen
bergauf gehen, es geht bergauf — hier: besser werden
etwas ab|setzen — hier: damit aufhören, etwas zu nehmen (z. B. ein Medikament)
sich etwas ein|gestehen — sagen, dass man etwas nicht (gut) kann oder man einen Fehler gemacht hat
Teufelskreis, -e (m.) — eine schlimme Situation, aus der man nicht mehr herauskommt, weil sich bestimmte Probleme gegenseitig verstärken
Beschaffungskriminalität (f., nur Singular) — kriminelle Handlungen mit dem Ziel, sich finanzielle Mittel zum Kauf von Drogen zu verschaffen