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Volkszählung in der Kritik

9. Mai 2011

Das Jahr 2011 ist das Jahr der ersten gesamteuropäischen Volkszählung. In Deutschland hat Zensus 2011 nun offiziell begonnen. Europaweit diskutieren Datenschützer und Statistiker über die Risiken und Chancen der Zählung.

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Fragebogen, durch eine Lupe betrachtet (Symbolbild: picture alliance/dpa)
Die Bürger werden unter die Lupe genommenBild: picture alliance/dpa

Im Verlauf des Jahres 2011 müssen alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nach einer EU-Verordnung von 2008 Volkszählungen durchführen. Offizieller Beginn in Deutschland ist der 9. Mai 2011. Von diesem Montag (09.05.2011) an wird gezählt. Über 17 Millionen Hauseigentümer werden per Fragebogen befragt. Tausende Interviewer kommen ins Haus und fragen persönliche Daten ab.

Europaweite Erhebung

Es ist lange her, dass das letzte Mal in Deutschland gezählt und gefragt wurde. Der "jüngste" Zensus stammt aus dem Jahr 1987 in Westdeutschland. In Ostdeutschland wurden 1981 vergleichbare Daten erhoben. Klar, dass sich seitdem einiges verändert hat. Aber warum braucht man eine EU-weite Erfassung?

Diese Frage kann wohl niemand besser beantworten als der Generaldirektor der europäischen Statistikbehörde Eurostat, Walter Radermacher. "Wenn man in der EU lebt und Politik macht und entscheidet, braucht man auf derselben Ebene auch Daten, die miteinander vergleichbar sind, dass man also wirklich die finnischen, die französischen und die deutschen Daten zusammen sehen kann und dass die auch zusammenpassen", erklärt Radermacher.

"Höchstmaß an Datenschutz"

Walter Radermacher, Generaldirektor von Eurostat (Archivbild: dpa)
Walter Radermacher, Generaldirektor von EurostatBild: picture alliance / dpa

Nicht jeder ist mit der Volkszählung glücklich. In den 1980er Jahren hatte es in Deutschland Proteste und Boykotte gegeben, das Bundesverfassungsgericht hatte den ursprünglichen Fragebogen verworfen. Die Auseinandersetzungen hatten dem Datenschutz einen ungeheuren Schub versetzt. Diesmal ist der Widerstand viel geringer.

Jan Philipp Albrecht, Europaabgeordneter von den Grünen, hat gleichwohl Bedenken, vor allem "weil eben doch einige Daten über mehrere Jahre sogar mit Personenbezug aufbewahrt werden sollen, um dann ausgewertet zu werden. Und das halte ich für einen Verstoß gegen die Datenschutzregeln." Walter Radermacher will davon nichts wissen. "Diesen Leuten kann man eigentlich relativ einfach damit antworten, dass auch die neue Zählung mit einem Höchstmaß an Datenschutz versehen ist", sagt er, gerade im Vergleich mit der Privatwirtschaft.

Was darf der Staat über Migranten wissen?

Deutschland geht teilweise über die europäischen Vorgaben hinaus. Es gibt zum Beispiel Fragen zum Migrationshintergrund. Doch das ist gut so, findet Eurostat-Leiter Radermacher und erklärt: "Sie können Integrationspolitik nicht blind betreiben. Sie müssen von Migranten wissen: Wo arbeiten diese Leute, was haben sie für eine Ausbildung, machen sie sich selbständig?" Für die Planung, für Schulen, für Integrationspolitik seien die Zahlen unerlässlich. Einen Missbrauch für fremdenfeindliche Zwecke kann Radermacher zwar nicht ausschließen, aber jedenfalls habe man dann solide amtliche Zahlen und müsse sich dann "nicht mehr um die Qualität der Zahlen streiten, sondern nur noch um deren Konsequenzen".

Auch der Grünenpolitiker Albrecht hat grundsätzlich kein Problem mit Statistiken, die Aufschluss über die Zahl von Menschen mit Migrationshintergrund geben. Aber das solle anonymisiert sein. "Wenn es als Personenbezug erhoben wird, dann glaube ich, kann es schon problematische Situationen geben, wenn zum Beispiel dann diese Maßgabe irgendwann beim Meldeamt oder beim Finanzamt gespeichert ist, wo sie vielleicht nichts zu suchen hat", befürchtet er.

Die täglichen Datenspuren im Internet

Jan Philipp Albrecht, Europa-Abgeordneter der Grünen (Archivbild: DW)
Jan Philipp Albrecht, Europa-Abgeordneter der GrünenBild: DW

Doch ist nicht eine Volkszählung ein Nebenkriegsschauplatz, wenn es um Datenschutz geht? Geht nicht die wirkliche Gefahr von den täglichen Datenspuren aus, die wir alle täglich im Netz hinterlassen? Albrecht sieht die Sache differenzierter: "Wir gehen heute viel selbstverständlicher davon aus, dass von uns Massen an Informationen gesammelt werden, im Internet, bei sozialen Netzwerken, beim Meldeamt, meine Bankdaten werden an die USA übermittelt."

Die Aufregung sei eher groß bei der Frage, ob die Datenschutzrechte eingehalten würden. "Und da haben wir eben das Gefühl, die werden nicht eingehalten, und da kann ich auch heute verstehen, wenn sich Menschen dagegen wehren wollen, indem sie zum Beispiel auch diesen Zensus boykottieren", fügt Albrecht hinzu. Albrecht hofft, dass gerade auch das Europaparlament die Sache des Datenschutzes in allen Bereichen voranbringt.

Zensus dürfte für Überraschungen sorgen

Übrigens erwarten Statistiker durchaus Überraschungen von den Ergebnissen der Volkszählung, etwa dass in Deutschland gut eine Million Menschen weniger leben, als die Behördendaten ausweisen. Auch Walter Radermacher würde es wundern, wenn die heutigen Zahlen in den Bevölkerungsstatistiken mit dem Ergebnis des Zensus übereinstimmten. "Sonst bräuchten wir keine Volkszählung." Doch bis die Zahlen aller 27 EU-Staaten ausgewertet vorliegen, könnten noch zwei Jahre vergehen. In Zukunft soll alle zehn Jahre eine europaweite Volkszählung abgehalten werden.

Autor: Christoph Hasselbach
Redaktion: Zoran Arbutina