Volkswirte verlangen von Eichel weniger Schönfärberei
12. Mai 2005Als der Arbeitskreis Steuerschätzung am Donnerstag (12.5.2005) warnte, die Einnahmen des Staates würden bis 2008 in Deutschland um fast 67 Milliarden Euro geringer ausfallen als noch vor einigen Monaten erwartet, fühlte sich der Volkswirt Carsten-Patrick Meier in seiner Kritik am Bundesfinanzministerium bestätigt. Meier beobachtet Jahr um Jahr die Angewohnheit von Finanzminister Hans Eichel, viel zu optimistische Schätzungen für das Wirtschaftswachstum auszugeben.
Diese Vorhersagen sind die Basis, auf der die Steuerschätzungen berechnet werden. Da Eichel erst im April seine Wachstumsprognose kappte, waren sinkende Zahlen bei der Steuerschätzung nur folgerichtig. "Die Prognosen der Bundesregierung waren in der Vergangenheit häufig zu hoch", sagt Meier, der Leiter der Forschungsgruppe deutsche Konjunktur beim Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel ist. Es bestehe deshalb immer das Risiko, dass die Steuereinnahmen zu hoch eingeschätzt würden und es zu Defiziten komme.
EU-Defizitgrenze
Es könnte noch viel schlimmer kommen, als der Arbeitskreis Steuerschätzung berechnet hat. Denn Eichels Prognose eines Wirtschaftswachstums von 1,0 Prozent in diesem Jahr ist den Experten aus den Forschungsinstituten noch zu hoch. Sie erwarten ein Wachstum von etwa 0,7 Prozent. Noch weniger Steuereinnahmen als von der Regierung offiziell erwartet sind darum wahrscheinlich.
Meier geht schon jetzt davon aus, dass Deutschland angesichts dieser Zahlen den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt 2005 und 2006 nicht erfüllen wird. Für dieses Jahr rechnet er mit einem Defizit in Relation zum Bruttoinlandsprodukt von 3,4 Prozent, im Folgejahr dürften es wohl 3,3 Prozent werden. Die Grenze liegt bei drei Prozent.
Milchmädchen-Rechnung
Warum gibt Eichel Prognosen aus, die die Wirtschaft ein ums andere Mal verfehlt? "Die Bundesregierung entzieht sich damit im Grunde genommen einer schärferen Haushaltspolitik", sagt Udo Ludwig vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle. Auch er bemängelt die Schönfärberei der Finanzpolitik. "Wenn sie mit niedrigeren Prognosen kalkulierte, müsste sie schärfere Einschnitte in den öffentlichen Haushalten planen. Und das ist schwierig." Denn die meisten Politiker ziehen es vor, Geld auszugeben - notfalls auf Pump - anstatt die Ausgaben und ihren Handlungsspielraum zu kürzen.
Die Regierung geht nach den Worten Meiers zudem davon aus, dass ihre Prognosen das Verhalten der wirtschaftlichen Akteure beeinflusst. "Da will man lieber ein bisschen gut Wetter machen und insofern dazu beitragen, dass die Stimmung sich hebt." Das hat sich jedoch längst als Milchmädchen-Rechnung entpuppt. "Die privaten Akteure lassen sich ja nicht jedes Jahr wieder aufs Glatteis führen", sagt Meier. "Wenn sie einmal die Glaubwürdigkeit bei den Prognosen verspielt haben, dann ist die auch dahin. Dann weiß der Markt sehr rasch, dass sie zu einer zu positiven Einschätzung neigen."
Machtspiele in der EU
Auch in Brüssel weiß man das wohl längst. Doch ein Defizitverfahren ist auch bei einem erneuten Versagen der deutschen Finanzpolitik nicht zu erwarten - Deutschland ist schließlich trotz allem größter Geldgeber in der EU. Meier hält den Stabilitäts- und Wachstumspakt deshalb für de facto ungültig. Schlimmer noch: "Im Grunde hat er ja nie funktioniert. Das erste Mal, als es zum Schwur kam, ist er auseinander gebrochen", sagt der Wirtschaftswissenschaftler.
Kleinere Länder in der EU haben nach Meiers Beobachtungen erfolgreich ihre Finanzen in den Griff bekommen, nachdem sie die Defizitziele erreicht hatten. In den großen Ländern habe es dagegen häufiger Verfehlungen gegeben. "Und solche Verfehlungen sind ja nicht geplant, insofern ist das eine Planabweichung, also war die Prognose zu optimistisch." Meier wird sich deshalb auch von der nächsten nach unten geschraubten Steuerschätzung wenig überraschen lassen - so wenig wie von einem zu erwartenden Eingeständnis Hans Eichels, dass Deutschland die EU-Defizitgrenze anders als geplant doch verfehlen wird.