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"Vietnam braucht große Veränderungen"

18. Januar 2011

In Vietnam tagt derzeit der Parteikongress der KP - und steckt den Kurs für die nächsten fünf Jahre ab. Wie sich das Land aufstellt, darüber sprach DW-WORLD.DE mit Gerhard Will von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

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Der vietnamesische Premierminister Nguyen Tan Dung (r.) bei der Eröffnung des Parteikongresses am 12. Januar (Foto: AP)
Der vietnamesische Premierminister Nguyen Tan Dung (r.) zieht auf dem Parteikongress BilanzBild: AP

DW-WORLD.DE: Herr Will, Vietnam hat in den vergangenen 25 Jahren mehrfach geräuschlos seine Führung ausgetauscht, dabei aber die Politik im Wesentlichen beibehalten. Seit Anfang vergangener Woche tagt die Kommunistische Partei nun wieder in Hanoi - und wählt eine neue Spitze. Wird es dieses Mal genauso lautlos vonstatten gehen?

Gerhard Will: Das wird sich zeigen. In der Tat steht die vietnamesische Führung - die Kommunistische Partei Vietnams - vor erheblichen Problemen. Die wirtschaftliche Entwicklung, die ja in den vergangenen 25 Jahren eigentlich gut gelaufen ist, hat in den letzten zwei oder drei Jahren erhebliche Verwerfungen gezeigt. Es gibt eine hohe Inflation von über zehn Prozent, es gibt ein großes Außenhandelsdefizit, es gibt ein Budgetdefizit, und es gibt Staatskonzerne, die hoch verschuldet sind. All das wirkt sich natürlich negativ auf die wirtschaftliche Bilanz aus und ist natürlich auch beim Parteitag beherrschendes Thema: Wie geht es mit der wirtschaftlichen Entwicklung weiter?

Von den drei bisherigen Führungspersönlichkeiten, dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei, dem Staatspräsidenten und dem Ministerpräsidenten bleibt nur Ministerpräsident Nguyen Tan Dung im Amt, und genau der gilt ja als Hauptverantwortlicher für die Wirtschaftspolitik.

Ja, jedenfalls ist er vor fünf Jahren mit einem großen Programm angetreten. Er wollte die Wirtschaft Vietnams modernisieren, er wollte die Ineffizienz in den Staatsbetrieben abbauen und nach dem Vorbild der großen südkoreanischen Konglomerate, der sogenannten Chaebols, reformieren. Aber da haben die vietnamesischen Konzerne sich einfach übernommen: Sie haben sehr viel in die verschiedensten Bereiche investiert, wurden mit Geld der staatlichen Banken gefüttert, und sind letztlich wirtschaftlich ineffizient. Besondere Aufmerksamkeit kommt dem Fall des Staatskonzerns Vinashin zu, der über vier Milliarden Dollar Schulden angehäuft hat und auch internationale Anleihen nicht mehr bedienen konnte...

...Vinashin ist ein Schiffskonzern, der im internationalen Schiffsmarkt zu einer festen Größe aufsteigen sollte.

Ja, und das Problem war eigentlich, dass man sich von dem Kerngeschäft - nämlich dem Schiffsbau - immer mehr entfernt hat und in verschiedenste wirtschaftlichen Aktivitäten investiert und auch spekuliert hat. Dabei hat man sich einfach verhoben, weil man dafür nicht über die nötige Kompetenz verfügte - wohl aber über staatliches Geld, das man investieren konnte.

Was bedeutet das politisch? An welchen Stellen wird es Kurskorrekturen geben und wo wird der alte Kurs weitergefahren?

Der bisherige Generalsekretär Nong Duc Manh sagt, das bisherige Wachstumsmodell müsse erneuert und die Wirtschaft umstrukturiert werden. Diese Forderungen sind klar. Wenn man aber genauer hinschaut und sich fragt, wo die Umstrukturierungen genau verlaufen sollen, dann sind die auf dem Parteitag getroffenen Aussagen sehr dünn. Tatsache ist, dass Vietnam sein bisheriges Wachstums- und Entwicklungsmodell so nicht weiterführen kann. Man wird in höhere Stufen der Produktion vordringen müssen, um sich weiterhin behaupten zu können, und da sind natürlich ganz große Veränderungen notwendig.

Das klingt, als würden der Partei die Ideen für diese Änderungen derzeit noch fehlen.

In der Tat würde ich das so sagen. Man hat zwar die Probleme erkannt, aber konkrete Strategien zur Lösung und Umsetzung sind noch nicht entwickelt. Und dabei geht es auch nicht nur um Ideen, sondern es geht natürlich auch darum, dass man Leuten, die vom bisherigen System profitieren, auf die Füße treten und ihre Pfründe beschneiden muss, um eine Änderung herbeizuführen. So etwas ist in Vietnam - ebenso wie in anderen Ländern - natürlich nicht ganz einfach.

Ein Merkmal des vietnamesischen Modells war, dass die wirtschaftliche Liberalisierung und Öffnung in Richtung Ausland überhaupt nicht einherging mit einer politischen Öffnung. Stattdessen wurden die Zügel in den vergangenen Jahren eher angezogen. Gibt es diesbezüglich jetzt Signale, dass sich etwas ändern könnte?

Im Gegenteil. Wenn der wirtschaftliche Erfolg nicht mehr so gegeben ist wie in der Vergangenheit, kann sich die Partei auch nicht mehr darüber legitimieren. Und wenn diese wirtschaftliche Legitimation nicht mehr vorhanden ist, dann kommt es natürlich auch zu Unruhe. Dann greift die Partei auch wieder zu alten Repressionsmitteln - und genau das erleben wir im Moment: Gerade in den vergangenen zwei Jahren wurden verstärkt Dissidenten verurteilt, es gab Verhaftungen und Schauprozesse - Fälle, die in den zehn Jahren zuvor eigentlich eher selten vorkamen. Wir beobachten derzeit eher eine Verschärfung des politischen Klimas.

Gerhard Will ist Vietnam-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Das Interview führte Mathias Bölinger
Redaktion: Esther Felden