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"Vielleicht schafft Südafrika das Unmögliche"

10. Juni 2010

Bei der letzten WM stand er noch im Tor für die USA, nun drückt er seinem Team die Daumen: der ehemalige Gladbach-Torhüter Kasey Keller traut im DW-World.de-Interview aber auch den afrikanischen Mannschaften viel zu.

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Kasey Keller sitzt auf einem Ball (Foto: AP)
Drückt "seinem" US-Team die Daumen: Kasey KellerBild: AP

DW-WORLD.DE: Welcher Mannschaft drücken Sie die Daumen bei der WM in Südafrika?


Kasey Keller: Den USA!

Was trauen Sie der deutschen Mannschaft zu?


Ich bin nicht sicher, ob sie wirklich das Zeug dazu haben, Weltmeister zu werden. Aber es gibt keinen Grund auszuschließen, dass wir eine typisch "deutsche Leistung" sehen werden - und dass sie es damit bis ins Halbfinale schaffen.

Woher kommt diese Turnier-Stärke der deutschen Mannschaft?

Kasey Keller (Foto: AP)
Keller kennt den deutschen Fußball aus seinen Gladbacher ZeitenBild: dpa


Wir versuchen alle schon seit Jahren diese Frage zu beantworten. Ich glaube, im Endeffekt liegt es mit daran, dass das Aufgebot an Spitzenleuten nicht so groß ist. Da stellt sich nicht ständig die Frage, "wird dieser Spieler zum Einsatz kommen oder jener?" Es scheint auch diese Haltung zu geben, dass man der Mannschaft den Raum lässt, selbst zusammenzufinden. In England kommt es einem manchmal so vor, dass die Mannschaft hochgejubelt wird, nur damit sie nachher umso tiefer fallen kann. Die Deutschen sind da vorsichtiger. Sie sagen jedes Mal: "Ich glaube nicht, dass unser stärkstes Team ist". Auch dieses Mal sagen sie: "Ich glaub nicht, dass sie so weit kommen können" - und dann hat die Mannschaft auch nicht diesen Erwartungsdruck, dass sie da rausgehen und gewinnen müssen. Es ist auch gut zu wissen, dass man gewinnen kann - und das wissen die Deutschen. Das ist eine gute Voraussetzung - die Spieler wissen es, die Gegner wissen es. Deutschland hat einen Kern an Spielern, die nicht über die ganze Welt verstreut sind, sondern sie kennen sich alle aus der Bundesliga - das ist auf jeden Fall eine Mannschaft gegen die man nicht wetten sollte.

Wo liegen die Stärken der Deutschen: in der Offensive oder in der Defensive?

Die deutsche Nationalmannschaft hat eine gute Bandbreite an Spielern - von Mertesacker in der Defensive bis Gomez im Sturm. Es ist ein guter, großer und ausgeglichener Kader. Es hat ihnen Selbstsicherheit gegeben, dass sie die Qualifikation mühelos geschafft haben und natürlich, dass sie bei der letzten WM gut abgeschnitten haben. Die Bayernspieler sind selbstsicher weil sie es bis ins Champions League Finale geschafft haben. Es hat ein paar Probleme gegeben, wie zum Beispiel das Theater um Frings. Aber im Großen und Ganzen ist es ein Team mit recht gutem Zusammenhalt und es gibt keinen Grund zu befürchten, dass sie keine gute WM spielen - insbesondere wenn Schweinsteiger und Lahm den Erwartungen gerecht werden.

Wer ist der stärkste deutsche Spieler?

Marko Marn (Foto: AP)
Ihm traut Keller Großes zu: dem kleinen Marko MarinBild: AP


Ich denke da an zwei Spieler, die zu meiner Bundesliga-Zeit auch bei Borussia Mönchengladbach spielten: Marcell Janssen ist ein groß gewachsener, schneller Spieler, der auch einen Drang zum Tor hat und rundum sehr gefährlich ist. Ich glaube, er hat ein sehr gutes Potential und ist vielseitig einsetzbar. Und Marko Marin ist einer, bei dem man schon als er gerade mal 16 oder 17 Jahre alt war, sehen konnte, dass er ein ganz besonderes Talent hat. Er war einfach schon immer einer, der einfach jeden ausspielen konnte. Er kann zwei oder drei Gegenspieler überwinden und aus dem Nichts eine Großchance machen. Obwohl er ein kleiner Kerl ist, wird er immer stärker und konnte auch immer schon gut einstecken. Ich sehe keinen Grund, warum der nicht auf lange Zeit hinaus einer der ganz Großen in Deutschland sein sollte.

Wo liegen die Schwächen der Deutschen?

Darin, dass Ballack nicht spielen kann. Das ist wirklich ein großer Verlust für das deutsche Team.

Wer ist ihr WM-Favorit?

Es gibt immer 5-6 Mannschaften, die das Zeug dazu haben, die WM zu gewinnen. Ich denke da an Brasilien, Argentinien, aber auch Spanien könnte auch Weltmeister werden. Die Niederländer wiederum haben konstant so viel herausragendes Talent, dass du jedes Mal denkst "vielleicht können sie's diesmal schaffen". Bei England hingegen denke ich, eher nicht - aber weit kommen können sie schon. Und Deutschland? Als Favoriten sehe ich sie nicht. Und dann sind da die afrikanischen Teams, die immer für eine Überraschung gut sind - vielleicht schafft es ja eins von ihnen bis ins Finale. Ich bezweifle das zwar - aber es gibt keine Mannschaft, wo ich mich jetzt festlegen würde, dass die das Ding nachhause holen.

Apropos afrikanische Mannschaften: Wie schätzen sie Deutschlands dritten Gegner Ghana ein?

Keller muss einen Ball des Italiener Gilardino bei der WM 2006 passieren lassen (Foto: AP)
WM 2006: nur einmal musste Keller im Spiel gegen Italien hinter sich greifenBild: AP

Ghanas Spieler haben sich in den letzten Jahren sehr gut weiterentwickelt - in der französischen Liga zum Beispiel. Der Verlust von Michael Essien ist natürlich ein sehr Großer. Er spielte eine überragende Rolle bei der letzten WM und auch als Führungsspieler bei Chelsea. Aber die Ghanaer sind sehr konditionsstark und man sollte den Heimvorteil nicht unterschätzen, den sie dadurch haben, dass die WM in Afrika stattfindet. Wir haben es in Südkorea gesehen, was mit dem Heimvorteil alles möglich ist; und dass Mannschaften, die nicht zu den traditionell starken Europäischen oder Südamerikanischen Favoriten gehören, plötzlich zugelegt haben. Irgendwie schien es, als seien die Chancen gleichmäßiger verteilt. Ohne Essien wird es für Ghana schwierig werden, aber ich glaube trotzdem, dass sie eine Mannschaft haben, die weiterkommen wird.

Trauen Sie einer afrikanischen Mannschaft auch den ganz großen Coup zu?


Ich glaube, sie haben alle eine Menge Spieler, die wir international nicht wirklich kennen. Es ist also schwer zu sagen. Die USA spielen gegen Algerien, aber die Mannschaft kennen wir nicht gut. Man hat hier und da mal einzelne Szenen gesehen, aber insgesamt ist es eine unbekannte Größe. Bei der Elfenbeinküste ist das anders. Da wissen wir etwas besser Bescheid. Aber insgesamt sind da überall Fragezeichen. Ich könnte mir trotzdem vorstellen, dass es einer afrikanischen Mannschaft bei diesem Turnier gelingt, alle auf sich aufmerksam zu machen. Vielleicht Südafrika, der Gastgeber. Die haben gerade einen tollen Lauf und sahen auch in der Vorbereitung gut aus - vielleicht schaffen sie bei dieser einmaligen Gelegenheit das Unmögliche.

Die Fragen stellte Matt Hermann

Redaktion: Joscha Weber