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Viel Zustimmung für Erdogan

Nastassja Steudel24. Mai 2014

Während der türkische Ministerpräsident von deutscher Seite kritisiert wird, halten seine Anhänger weiter zu ihm. Für viele Deutschtürken ist Recep Tayyip Erdogan ein Volksheld und einigen näher als die Bundeskanzlerin.

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Keupstraße in Köln - Foto: Oliver Berg (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Um 9.30 Uhr ist es noch ruhig in der Keupstraße in Köln. Hier leben mehrheitlich Menschen mit türkischen Wurzeln. Der Duft von frisch-gebackenem Fladenbrot liegt in der Luft. Ein Mann mit einem ordentlich gestutzten schwarzen Schnauzbart fegt vor seinem Laden einige Blätter zusammen. Noch ist es zu früh für Kundschaft und so sitzt Arif Yucatas im Café, gegenüber seinem Geschäft für Damenmode und wartet. Immer wieder lässt der 43-Jährige seine Gebetskette durch die Finger gleiten. Ab und zu nimmt er einen Schluck starken schwarzen Tee aus dem kleinen Glas, das neben ihm steht. Yucatas wurde in der Türkei geboren. Mit acht Jahren kam er nach Deutschland. Hier sei er "fast" integriert, sagt er. Stolz erzählt er, dass er am Samstag (24.05.2014) dabei sein wird, wenn der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in Köln seine Rede hält. "Das wird ein starker Auftritt werden", sagt er voller Zuversicht. Und: "Für mich ist er ein Volksheld."

Komplott-Versuch der Gegner

Wie viele von Erdogans Anhängern, schreibt auch Arif Yucatas den wirtschaftlichen Aufschwung der Türkei in den vergangenen Jahren dem türkischen Premier zu. "Früher wurden unsere Ministerpräsidenten wie Mist behandelt. Mit Erdogan hat sich das geändert." Die Kritik an dessen kopflosem Verhalten seit dem tragischen #link:http://www.dw.de/zeichen-für-kursschwenk/a-17643930:Grubenunglück# in der türkischen Stadt Soma, bei dem mehr als 300 Menschen ums Leben kamen, wiegelt er bestimmt ab. "Das wurde von den Medien alles verdreht dargestellt." Und überhaupt sei der ganze Unfall Teil eines Komplotts gegen Erdogan. Kurz vor seiner möglichen Kandidatur bei der Präsidentenwahl im August, wollten ihn seine Gegner ausschalten, sagt Yucatas.

Ein Mann in der Kölner Keupstraße hält eine Gebetskette in der Hand. Foto: Nastassja Steudel (DW)
Religiöser Keupstraßenanwohner: "Fast" integriertBild: DW/N. Steudel

Ibrahim Serper nickt zustimmend. Der 45-jährige Installateur hat gerade Pause und nimmt auf einem Stuhl neben Arif Yucatas Platz. Serper wurde auch in der Türkei geboren, lebt aber inzwischen seit 32 Jahren in Deutschland. Auch von ihm gibt es keine schlechten Worte über den türkischen Premier. Mit Erdogan an der Macht gäbe es plötzlich Autobahnen statt Schotterpisten. "Wieso sollte ich also gegen ihn sein?" Sobald seine beiden ältesten Töchter verheiratet sind, will Serper zurück in die Türkei.

800 Meter türkisches Leben in Köln

Viele Geschichten in der Keupstraße klingen so. Als Anfang der 1960er Jahre mehr als 800.000 Türken als #link:http://www.dw.de/migranten-sind-in-deutschland-unersetzlich/a-16475628:Gastarbeiter# nach Deutschland kamen, war das nur als vorübergehender Aufenthalt geplant. Viele blieben aber, arbeiteten hart, bekamen hier ihre Kinder. Doch die Türkei blieb ihre Heimat. Inzwischen lebt bereits die vierte Generation türkischer Einwanderer in der Bundesrepublik. Die Keupstraße im Kölner Osten ist dabei ein Beispiel dafür, wie sich aus dieser Zwischenlösung ein Mikrokosmos entwickelt hat. Auf 800 Metern spielt sich ausschließlich türkisches Leben ab: Statt "Friseur", steht hier "Kuaför" auf den Schaufensterscheiben. Zwischen Restaurants mit riesigen Döner-Spießen bieten unzählige Juwelier-Geschäfte orientalisch anmutenden Schmuck feil.

Schaufenster eines türkischen Juwelierladens auf der Keupstraße. Foto: Nastassja Steudel (DW)
Schaufenster in der Keupstraße: Kuaföre und orientalischer SchmuckBild: DW/N. Steudel

Genau hier explodierte auch vor 10 Jahren eine #link:http://www.dw.de/späte-hilfe-für-opfer-des-keupstraßen-anschlags/a-17137249:Nagelbombe#, die nicht nur 22 Menschen verletzte, vier davon schwer, sondern auch dafür sorgte, dass viele Türken in Deutschland ihr Vertrauen in den Staat verloren. Nachdem ein fremdenfeindlicher Anschlag und ein terroristischer Hintergrund von den Behörden zunächst ausgeschlossen worden waren, kam 2011 heraus, dass das Attentat dem rechtsextremistischen Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zuzuschreiben ist. Die Bewohner der Keupstraße haben nicht vergessen, dass ihnen damals keiner glaubte und sogar ein Streit unter türkischen Geschäftsleuten als möglicher Grund für die Tat vermutet wurde.

Religion als Stimmenfänger

Yilmaz Toprak arbeitet seit einigen Monaten in dem Friseur-Salon, der 2004 durch die Explosion zerstört wurde. Reden möchte er nicht darüber. Zu viele Journalisten waren seit dem Anschlag in der Keupstraße unterwegs, um Fragen zu stellen. Nun sind die Reporter wieder da: wegen Erdogan. "Ich fühle mich eher wie ein Türke, aber ich habe hier auch keine Probleme", sagt Toprak. Der 27-Jährige kam als Kind nach Deutschland. Er hat einen türkischen Pass. Auch er ist überzeugt von Erdogans Qualitäten. "Mit ihm an der Macht haben wir weniger Schulden und man bekommt leichter Kredite." Momentan gäbe es absolut keine Alternative zu Erdogan.

Yilmaz Toprak vor seinem Friseur-Salon in der Keupstraße in Köln. Foto: Nastassja Steudel (DW)
Friseur Toprak: "Erdogan ist momentan unersetzbar"Bild: DW/N. Steudel

Es gibt an diesem Tag Wenige, die etwas gegen Erdogan vorbringen. Innerhalb weniger Jahre hat er das Land reich gemacht. Und dem Islam in der Türkei neue Bedeutung verliehen. Während es Frauen unter seinen Vorgängern verboten war in Schulen oder an Universitäten ein Kopftuch zu tragen, ist es unter Erdogan sogar erwünscht. Dessen Ehefrau, die ebenfalls ein Kopftuch trägt, ist vielen religiösen Muslimas dabei ein Vorbild.

Esma Şimşek - Foto: Nastassja Steudel (DW)
Brautmodenverkäuferin Şimşek: "Jeder sollte selbst entscheiden können, was er anziehen möchte"Bild: DW/N. Steudel

Esma Şimşek bedeckt seit einigen Monaten ihr Haar in der Öffentlichkeit. Auch deswegen spricht sie sich für Erdogan aus. "Jeder sollte selbst entscheiden können, was er anziehen möchte", findet sie. Die 21-Jährige wurde in Deutschland geboren, besitzt einen türkischen Pass und arbeitet in einem Laden für Brautmoden. Erdogan habe für die Türkei viel Gutes getan, doch was am Ende gezeigt wird, sei immer nur negativ. Dass er mit seinem Auftritt in der Kölner Arena womöglich auch auf Stimmenfang geht, findet sie legitim. "In Deutschland wird doch auch Wahlkampf gemacht."

Erdogan spaltet die Türken

Haydar Erdoğdu hingegen findet für den türkischen Ministerpräsidenten deutlich ablehnende Worte. "Erdogan ist wie Hitler", sagt er. Das Grubenunglück in Soma könne man als Form der Massenvernichtung betrachten. "Erdogan hat 300 Menschen umgebracht und verleugnet es." Sein Verhalten sei beschämend. Und Erdoğdu fügt hinzu: "Die Menschlichkeit hat verloren." Seit 34 Jahren lebt der Elektrohändler in Deutschland. Inzwischen hat er einen deutschen Pass.

Ladenbesitzer Haydar Erdoğdu mit seiner Tochter auf dem Arm. Foto: Nastassja Steudel (DW)
Händler Erdoğdu: "In der Türkei droht ein Bürgerkrieg"Bild: DW/N. Steudel

Erdogans Anhänger seien Menschen, die sich auch mit Kleinigkeiten zufriedengäben, sagt er." Für einen türkischen Ökonomen ist sein Besuch wichtig. Für mich nicht." Erdogan habe die Türken in Anhänger und Gegner gespalten. "Irgendwann kommt es deswegen zu einem Bürgerkrieg." Während Haydar Erdoğdu das sagt, wiegt er seine Tochter auf dem Arm. Das kleine Mädchen versteht noch nichts von dem, was ihr Vater da erzählt. Wenn sie mal erwachsen ist, wird der starke Mann vom Bosporus vermutlich nicht mehr die Geschicke der türkischen Politik lenken.

Ein paar Häuser weiter betreibt Sançak Topal ein Übersetzungsbüro. Während er in einem dicken Wörterbuch blättert, sagt er, dass er Erdogan noch eine lange Zukunft an der Macht wünsche. Er wolle schließlich nicht in ein armes Land zurückkehren. Seit 47 Jahren lebt er inzwischen in Deutschland. Bald geht es wieder in die alte Heimat. In Köln fühle er sich bis heute nur wie ein Gastarbeiter. Versöhnlich fügt er aber hinzu: "Das Herz schlägt für die Türkei. Und eine Hälfte auch für Deutschland."