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Viel Verständnis in Europa

Christoph Hasselbach14. September 2015

Berlin hat die Notbremse gezogen und setzt Schengen aus. Viele Regierungen in Europa sehen sich bestätigt - und manche kontrollieren jetzt auch.

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Autoschlange an deutsch-österreichischem Grenzübergang (Foto: Getty Images/AFP/G. Schiffmann)
Bild: Getty Images/AFP/G. Schiffmann

Grenzkontrollen gibt es an den Binnengrenzen der EU-Staaten nur in Ausnahmefällen. Wenn die Behörden eines Landes die öffentliche Sicherheit bedroht sehen, zum Beispiel bei großen Sportereignissen oder politischen Gipfeltreffen wie dem G7-Treffen dieses Jahr in Bayern, kann ein Land vorübergehend Kontrollen wieder einführen.

Die Europäische Kommission als Hüterin der europäischen Verträge reagiert normalerweise sehr empfindlich, wenn sie den Eindruck hat, dass ein Land dieses Recht zu weit auslegt. Aber zumindest "auf den ersten Blick" seien die Kontrollen vom Recht gedeckt, hat die Kommission in einer ersten Stellungnahme geschrieben, nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel den Schritt zuvor in einem Telefonat mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker angekündigt hatte. Es sei jedoch das Ziel, "so rasch wie machbar zu dem normalen Schengen-System mit offenen Grenzen zwischen Schengen-Mitgliedsstaaten zurückzukommen", so die Kommission.

Flüchtlinge überqueren die grüne Grenze (Foto: Reuters/L. Foeger)
Flüchtlinge laufen über die ungarisch-österreichische Grenze - wie lange noch?Bild: Reuters/L. Foeger

Österreich zieht nach

Von den EU-Staaten bekommt als erstes Österreich die Folgen der Entscheidung zu spüren: Wenn Deutschland Flüchtlinge an der Grenze abweist, muss sich zunächst Österreich um sie kümmern. Österreich hat am Montag prompt nachgezogen: "Wenn Deutschland Grenzkontrollen einführt, muss auch Österreich das tun", so Vizekanzler Reinhold Mitterlehner. Das sei "ein klares Signal an die Betroffenen, dass jetzt der ungeordnete Übergang über die Grenze nicht mehr so stattfinden kann". Österreich hat bereits zur Unterstützung der Polizei Teile seines Bundesheers für Grenzkontrollen mobilisiert. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz hatte am Sonntagabend Kontrollen angekündigt, sonst "droht die totale Überforderung unseres Landes in nur wenigen Tagen".

Zu erwarten ist nun, dass sich das Problem immer weiter Richtung EU-Außengrenzen verschiebt: Wenn die Flüchtlinge nicht weiter nach Deutschland kommen, stauen sie sich in Österreich. Schließt Österreich die Grenze nach Ungarn, stauen sie sich dort, das heißt, an der EU-Außengrenze. Doch auch Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat nichts gegen den Berliner Beschluss einzuwenden. Im Gegenteil, in der "Bild"-Zeitung sagt er: "Wir haben großes Verständnis für Deutschlands Entscheidung und erklären unsere volle Solidarität." Das sei notwendig gewesen, "um die gewachsenen Werte Deutschlands und Europas zu verteidigen".

Ungarn hat kürzlich einen Zaun an der Grenze zu Serbien fertiggebaut und ist dabei, ihn noch undurchdringlicher zu machen. Orban hatte aber auch Deutschland kritisiert, es habe mit einer Politik der offenen Tür den Sog erst richtig verstärkt. Orban fordert nun auch Griechenland auf, wieder die EU-Außengrenze zu schützen. Griechenland leitet seit langem Flüchtlinge einfach weiter nach Norden. Am Dienstag tritt in Ungarn auch ein Gesetz in Kraft, das den illegalen Grenzübertritt mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft.

Infografik - die Staaten des Schengener Abkommens (Karte: DW) Foto:

Befürchteter Dominoeffekt

Als Folge der Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze könnte sich der Flüchtlingsstrom neue Wege suchen. Die tschechische Regierung rechnet bereits damit, dass viele Flüchtlinge versuchen werden, durch Tschechien nach Deutschland zu ziehen. Noch sieht Tschechien die Zeit für Grenzkontrollen nicht gekommen. Das könnte sich jedoch bald ändern. Die Slowakei hat bereits Kontrollen an seiner Grenze zu Österreich und Ungarn eingeführt. Polen hat sich zumindest bereiterklärt, im Fall des Falles nachzuziehen.

Merkel hatte am Sonntagabend auch mit dem französischen Staatspräsidenten Francois Hollande telefoniert, und beide sind sich nach Darstellung des Kanzleramts bei der "Beurteilung der gegenwärtigen Flüchtlingssituation einig". Hollande sagte am Montagvormittag, Europa müsse dafür sorgen, "dass seine Grenzen respektiert werden", eine indirekte Zustimmung der Schengen-Aussetzung. Hollande forderte erneut EU-Registrierungsstellen für Flüchtlinge in Griechenland, Italien und Ungarn, "um das zu verhindern, was sich im Moment abspielt".

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, dessen Land derzeit den Ratsvorsitz hat, hat ebenfalls Verständnis für das deutsche Verhalten geäußert. Er verlangte von anderen europäischen Ländern, sich stärker an der Aufnahme von Flüchtlingen zu beteiligen und einer verbindlichen Quote zuzustimmen, sonst "wird es ein Domino-Effekt werden, und wir können Schengen vergessen."

Sein niederländischer Amtskollege Bert Koenders sagte, die deutsche Entscheidung "bedeutet, dass wir Fortschritte bei der Verteilung machen müssen". Doch bisher ist davon wenig zu spüren. Vor allem Menschen aus Mittel- und Osteuropa lehnen es strikt ab, sich von Brüssel Aufnahmequoten vorschreiben zu lassen. Und die Niederlande selbst wollen jetzt offenbar auch an einzelnen Grenzübergängen wieder kontrollieren, ein Zeichen, wie wenig selbst die Mahner derzeit an eine gesamt-europäische Lösung glauben.