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'Vertikale Universität'

Jenny Peng3. Mai 2016

Ein ungewöhnliches Bildungsprojekt will die Wälder im Osten Nepals erhalten indem es Dörfer in Orte des Lernens verwandelt und indigenes Wissen über dortige Arten und Lebensräume bewahrt.

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Foto: Zwei Bauern in Yangshila, Nepal
Bild: Nirman Shrestha

Man könnte es den weitläufigsten Uni-Campus der Welt nennen. Von den Flussauen Koshi Tappus im Südwesten Nepals nahe der Grenze zu Indien kann der Besucher von einem Dorf zum nächsten wandern und dabei mehr über die unterschiedlichen Ökosysteme lernen, während ihn das Netzwerk aus Lehrpfaden nach Norden zum Kangchendzönga führt, dem dritthöchsten Berg der Welt.
Die miteinander verbundenen Dörfer bilden die "Vertikale Universität", einen informellen Ort des Lernens im Freien, wo indigenes Wissen von einer Generation an die nächste weitergegeben wird. Die Lehrer sind örtliche Bauern und Anwohner, die über weitreichendes Wissen über die örtlichen Arten und Lebensräume haben.

Naturschutz, Bildung und Lebensunterhalt sind der Schlüssel zu jedem der Orte des Lernens, sagt Rajeev Goyal, ein ehemaliger Volontär des US Peace Corps und Mitbegründer von KTK-BELT, der Dachorganisation, die das Projekt geschaffen hat. KTK-BELT hat über 400.000 Quadratmeter Land and 20 verschiedenen Orte gekauft, um die Areale in lebende Klassenzimmer zu verwandeln.

Das Wissen über die Arten vor Ort bietet den Menschen vor Ort auch mögliche alternative Einkommensquellen. Im Dorf Dahar hat die Entdeckung von ätherischen Pflanzenölen und Himalaya-Waschnüssen Anreize für die Dorfbewohner geschaffen, diese Produkte nachhaltig zu vermarkten und zu verkaufen.

Ökosysteme wie Dahar sind weitverbreitet in Nepal. "Wenn man sich 50 Meter in irgendeine Richtung bewegt, ist man schon wieder in einem anderen Mikroklima, und es gibt neue Dinge, die man lernen kann", erklärt Goyal. "Wie könnte man daher nur einen einzigen Ort des Lernens haben?"
Das starke Gefälle in der Topografie der Region vom gewaltigen Himalaya-Gebirge im Norden bis zum Tiefland im Süden hat sehr unterschiedliche Lebensräume geschaffen, in denen eine Vielzahl verschiedener Tierarten von Kranichen und Geiern bis hin zu Tigern, Elefanten, Nashörnern und dem scheuen Schneeleoparden nebeneinander bestehen können.

Ein 3D Model von Yangshila zeigt die verschiedenen Orte des Lernens
Die Orte des Lernens liegen auf sehr unterschiedlichen Höhen und in ganz unterschiedlichen ÖkosystemenBild: Priyanka Bista

Scouten von Ökosystemen

Goyal sieht sich selbst als der Scout der Universität. Er erkundet und entdeckt Dörfer und Ökosysteme, die sich als Orte des Lernens eignen. Einer der aktivsten dieser Orte liegt in Rangcha, einem kleinen Dorf mit 50 Familien, das sich in den tropischen Gebirgsausläufern Yangshilas liegt, wo die Menschen in erster Linie Mais, Reis, Hirse und Gemüse anbauen.

Sechs Jahre lang lagen hier Ackerflächen brach bis KTK-BELT einen Permakultur-Bauernhof auf etwa 12.000 Quadratmetern Land errichtete. Bald werden dort tropische Früchte wie Mangos, Jackfrüchte, Kokosnüsse und Ananas wachsen.

Aber eine interessierte Bevölkerung und die Verfügbarkeit von Land waren nicht die einzigen Faktoren, die Goyal dazu bewogen Rangcha auszuwählen. Es ging ihm auch darum, die Artenvielfalt der Gegend zu erhalten.
"Als wir mit den örtlichen Bauern sprachen, entdeckten wir, dass viele der Arten, die es früher in der Region gab, jetzt stark bedroht sind", schrieb Goyal gemeinsam mit Priyanka Bista, Designdirektorin und Mitbegründerin von KTK-Belt, in einer Spendenaktion.

Der Grund dafür war die Fragmentierung des Lebensraums, die Wilderei und fehlendes Wissen über die große Bedeutung dieser Arten für das Ökosystem, sagt Goyal.
Vor nur 30 Jahren war die Gegend noch voller Tiger, Bären und wilder Büffel. "Auch die Vielfalt an Vogelarten war sehr hoch, unter ihnen verschiedene Fasanarten und der inzwischen bedrohte Homrai-Doppelhornvogel", sagt Goyal.

Dem nepalesischen Ministerium für Wälder und Bodenschutz zufolge hat illegale Rodung, der Konsum von Brennholz und der Straßenbau darüber hinaus zu Entwaldung geführt. Von der Organisation Mongabay erhobene Forstdaten zeigen, dass Nepal zwischen 1990 und 2005 ein Viertel seiner Waldfläche verloren hat.

Goyal hofft, durch Landkäufe zusammenhängende Waldstücke zu erhalten. Das Ziel ist es, große bestehende Wälder zuschützen und neue Straßen um die Pufferzonen und Nationalparks herumzuplanen.

Unterstützung für Jugend und insbesondere Mädchen

Eine weitere Priorität für das KTK-BELT-Team ist es, jungen Menschen die Chance auf Bildung und die Aneignung von Fähigkeiten zu bieten. Die Organisation unterstützt zurzeit eine Vielzahl von Freiwilligen und fünf "Youth Fellows", die Stipendien erhalten.

Foto: Eine junge Frau hält in einer bergigen, bewaldeten Gegend ein iPad in die Höhe.
"Youth fellow" Ganga Limbu kartiert den Sikti Pfad. Sie arbeitete Teilzeit für KTK-BELT und erhält ein Stipendium von der Organisation, um ihr Studium weiterführen zu könnenBild: Priyanka Bista

Eine dieser Youth Fellows ist Ganga Limbu. Ihr Wissensdurst fiel Bista sofort auf, als sie sie zum ersten Mal traf. In einem Land, wo Frauen und Mädchen mit tief verwurzelten Geschlechterklischees zu kämpfen haben, und oft nur Hausarbeit verrichten dürfen, ist das Training, das ihnen durch KTK-BELT geboten wird, die Ausnahme.

Seit sie angefangen hat Teilzeit für KTK-BELT zu arbeiten, hat Limbut mit GIS-Kartierung begonnen und wissenschaftliche Namen und Verwendungsmöglichkeiten von örtlichen Pflanzen recherchiert. Sie hat dabei geholfen, 600 verschiedene Pflanzen zu katalogisieren und Umfragen von Bauern und Gemeinden durchgeführt, mit denen die Organisation zusammenarbeitet. Die Neugier und Arbeitsmoral von jungen Menschen wie Limbu gibt Bista Hoffnung für das Projekt. "Wir müssen sie buchstäblich nach Hause schicken, sonst würde sie überhaupt nicht aufhören zu arbeiten", sagt sie.

Tagtägliche Herausforderungen

Die größten Hindernisse für die Schaffung der Orte des Lernens ist es nicht, die Dorfbewohner vom Konzept der Universität zu überzeugen, sagt Goyal. Es ist die tagtägliche Logistik: An vielen Standorten gibt es keine Elektrizität, und auch Internetzugang ist an einigen der abgelegeneren Orte selten.

Alleine das Laser-Schneidegerät zu besorgen, mit dem die Hinweisschilder entlang des Lehrpfads und zur Beschriftung der 6600 Pflanzen der Region hergestellt werden, hat ein ganzes Jahr gedauert.

Ein weiteres unerwartetes Hindernis war das katastrophale Erdbeben, das Nepal vor einem Jahr heimsuchte. Nepals nationale Planungskommission, die die Entwicklungspolitik des Landes formuliert, hatte ursprünglich zusätzliche Unterstützung für die Vertikale Universität zugesichert, aber als die Erde im April 2015 bebte, wurden diese Pläne auf Eis gelegt.
Stattdessen wurden Goyal und Bista Katastrophenhelfer in Kathmandu und die nationalen Ressourcen wurden in den Wiederaufbau gesteckt.

Keine Berge nötig

Aber abgesehen von solchen Rückschlägen sehen Goyal und Bista viel Potential dafür, das von ihnen entwickelte Modell auch andernorts umzusetzen. Eine naheliegende Wahl wäre der Westen Nepals, der eine ähnliche Geografie und Artenvielfalt besitzt.
Darüber hinaus könnte sich das Team vorstellen, das Modell in asiatischen Ländern wie Bhutan oder Indonesien oder einem Inselarchipel wie den Philippinen umzusetzen, wo es sich an Lebensräume am Meer und Unterwasser anpassen ließe.