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Versöhnung braucht Aufrichtigkeit

7. April 2010

Es ist ein Meilenstein: Der russische Regierungschef Wladimir Putin und sein polnischer Amtskollege Donald Tusk gedenken erstmals gemeinsam dem Massaker von Katyn vor 70 Jahren. Bartosz Dudek kommentiert.

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Bartosz Dudek (Foto: DW)
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Wenn man die Wunden eines Landes kennenlernen will, reicht es, einen Friedhof zu besuchen. In fast jeder polnischen Stadt wird man die blutigen Spuren der neusten Geschichte entdecken können. Es gibt kaum einen Friedhof, auf dem man nicht die symbolischen Gräber der Opfer der deutschen Schreckensherrschaft aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs findet. Man findet aber auch andere Inschriften und Tafeln: Diejenigen, die an die Toten von Katyn erinnern.

Es war eines der abscheulichsten Kriegsverbrechen der Geschichte mit langfristigen Folgen. Die Opfer waren überwiegend Reserveoffiziere der polnischen Armee: Ärzte, Juristen, Beamte, Lehrer, Unternehmer, Banker - kurz: Die intellektuelle und wirtschaftliche Elite des Landes. Die Offiziere fielen in sowjetische Hand, nachdem Polen im September 1939 zwischen den beiden Aggressoren, Deutschland und der Sowjetunion, aufgeteilt wurde. Am 5. März 1940 befahl Josef Stalin, die über 20.000 internierten Offiziere zu erschießen. Der Befehl wurde bereits einen Monat später vollstreckt.

Nazi-Propaganda und Stalins Lüge

Die verbrecherische Logik, die dahinter stand, ist klar: das besiegte Land ihrer Elite zu berauben, um es einfacher zu beherrschen. Die gleiche Logik wandte übrigens auch der damalige Verbündete Stalins, Adolf Hitler, an. Bemerkenswert: Das Konzentrationslager Auschwitz entstand zunächst als ein Vernichtungsort der polnischen Intelligentsja. Hitler aber wagte es nicht, die von seiner Wehrmacht gefangen genommenen polnischen Offiziere exekutieren zu lassen. Stalin hatte ihn hier in seiner Grausamkeit überboten.

Kein Wunder, dass die Entdeckung der Massengräber von Katyn den Nationalsozialisten nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Weißrussland eine willkommene Propagandagelegenheit bot. Hitler wollte damit einen Keil zwischen die mit Polen verbündeten Westmächte und die Sowjetunion schlagen. Scheinheilig ließ er zu Propagandazwecken sein Mitgefühl mit den Familien der Ermordeten demonstrieren. Stalin konterte, indem er die Schuld für das Verbrechen den Deutschen in die Schuhe schob. Diese Version wurde im kommunistisch regierten Polen bald für Jahrzehnte zum Bestandteil der offiziell gelehrten Geschichte. Die Familien der Opfer wurden durch Repressalien gezwungen, über die wahren Täter zu schweigen. Der demokratischen Opposition war aber klar, dass es keine guten Beziehungen zu Russland geben könnte, wenn nicht die Wahrheit zugegeben würde.

Eine historische Geste

Der historische Moment kam, als Michail Gorbatschow 1990 zum ersten Mal zugab, dass der sowjetische Geheimdienst NKWD schuld am Massenmord von Katyn war. Eine symbolische Geste blieb aber aus: Sie wurde erst 1993 von Gorbatschows Nachfolger Boris Jelzin nachgeholt. Der russische Präsident bat während seines Polen-Besuchs um Vergebung und übergab die Dokumente des Verbrechens an die polnische Führung. Niemals aber hat ein russischer Präsident oder Premier den Ermordeten am Ort des Verbrechens die Ehre erwiesen. Der 7. April 2010 und die Einladung Wladimir Putins an seinen polnischen Amtskollegen Donald Tusk nach Katyn ist daher ein historisches Ereignis von großer Tragweite für das belastete polnisch-russische Verhältnis.

Nach der Versöhnung mit Deutschland, die nur durch die schonungslose Aufklärung und das deutsche Schuldbekenntnis ermöglicht wurde, wird es jetzt für Russland Zeit, auf den traumatisierten Nachbarn zuzugehen. Die Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen hat gezeigt, dass dies der einzig richtige Weg ist. Denn: Die Wunden der Vergangenheit, denen man in Polen auf Schritt und Tritt begegnet, werden erst dann heilen, wenn man die Schuld beim Namen nennt und sich der geschichtlichen Verantwortung stellt.

Autor: Bartosz Dudek
Redaktion: Dеnnis Stutе