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"Verschwörung": Fortsetzung der Millennium-Trilogie

Sabine Peschel31. August 2015

David Lagercrantz ist der neue Mann hinter Lisbeth Salander. "Verschwörung" heißt der vierte Teil der Millennium-Serie. Der Krimi führt in die Welt der NSA und in eine erschöpfte Zeitschriftenredaktion.

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Noomi Rapace als Lisbeth Salander, Foto: Mary Evans, Picture Library
Noomi Rapace als Lisbeth SalanderBild: picture alliance/Mary Evans Picture Library/Ronald Grant Archive

Es ist der Sog, der einen richtig guten Krimi ausmacht. Wenn man so sehr wissen will, wie es weitergeht, dass man Verabredungen ablehnt, den Badesee vergisst und noch den dicksten Schmöker aufgeschlagen mit in die Bahn schleppt – dann hat er einen gepackt. Patricia Cornwell, Ruth Rendell, Elizabeth George und einige andere Krimi-Autoren kennen die Formel, die diese Faszination auszulösen vermag, perfekt. Stieg Larsson, Autor der Millennium-Trilogie kannte sie auch.

Die wesentlichen Zutaten für einen modernen Kriminalroman sind leicht destillierbar: ein stimmiger, spannend verknüpfter Plot, interessante, irgendwie gebrochene und doch starke Protagonisten und ein geheimnisvoller gesellschaftlicher Bereich, der neu entdeckt werden kann. In den drei "Millennium"-Bänden von Stieg Larsson war die Konstruktion aus Verbrechen, intensiven Persönlichkeiten und historischem Hintergrund, der bis in die Nazizeit zurückreicht, so gelungen, dass sie sich weltweit 80 Millionen Mal verkauften und auch die Verfilmungen enorm erfolgreich waren. Voraussetzung dafür war ein geschicktes Marketing.

Der Krimi um den Krimi „Millennium“

Man muss annehmen, dass kaum ein Verlag die Chance vergeben hätte, eine vielversprechende Erfolgsserie wie "Millennium" weiterschreiben zu lassen. Obwohl eine Fortsetzung durch einen anderen Autor gerade bei Krimis nicht ungewöhnlich ist, wird in Schweden allerdings seit Jahren eine heftige Auseinandersetzung um die Fortsetzung der "Millennium"-Trilogie ausgefochten, nicht allein zwischen dem Verlag und den Erben auf der einen und den Freunden und Wegbegleitern Stieg Larssons auf der anderen Seite, sondern in einer breiten Öffentlichkeit. Der dänische Star-Autor Jussi Adler-Olsen, dessen Krimis wie Larssons in 40 Sprachen erschienen sind, rief sogar nach dem Erscheinen des vierten Bands zum Boykott von "Verschwörung" auf. Er hält es für "respektlos", dass das Werk eines Autor, der sich immer gegen Ausbeutung gewehrt hat, noch nach dessen Tod kommerzialisiert wird.

David Lagercrantz signiert sein Buch "Verschwörung" bei der Veröffentlichung in Stockholm, Foto: AFP Jonathan Nackstrand
David Lagercrantz signiert sein Buch "Verschwörung" bei der Veröffentlichung in StockholmBild: Getty Images/AFP/J. Nackstrand

Fünf Tage im November

Die Mehrheit der Leserschaft dürfte das alles weniger interessieren als die Frage, ob David Lagercrantz, der den vierten "Millennium"-Band "Verschwörung" im Zentrum dieser Kontroverse schrieb, das Rezept für einen fesselnden Krimi überhaupt beherrscht. Das Setting und das Personal, als wesentliche Voraussetzungen, bekam er quasi mit dem Namen Stieg Larsson geliefert: Die Redaktion der Zeitschrift "Millennium" um ihren investigativen Reporter Mikael Blomqvist kämpft weiter als journalistische Speerspitze gegen Korruption und Missstände, und auch der düsteren Computer-Hackerin Lisbeth Salander fällt wieder eine tragende Rolle zu. Unverändert erhalten blieben auch wichtige Nebenfiguren wie Polizeikommissar Bublanski oder Lisbeths alter Vormund Holger Palmgren.

Mikael Nyqvist als Mikael Blomkvist, Foto: Mary Evans, Picture Library
Mikael Nyqvist spielt Mikael Blomkvist in der Verfilmung der Millennium-TrilogieBild: picture alliance/Mary Evans Picture Library/Ronald Grant Archive

600 Buchseiten, um fünf Tage zu erzählen, eine Handlung, die, abgesehen von ein bisschen Auftakt und Abspann, vom 20. bis 25. November dauert. Ein Buch in drei Teilen und dreißig Kapiteln. Das klingt nach Ordnung und Reihenfolge. Und in der Tat, Lagercrantz erzählt detailreich und chronologisch stringent.

Am Anfang sind alle ein bisschen müde. Mikael Blomqvist plagen Selbstzweifel; er ist niedergeschlagen, denn er hat seit langem keine heiße Story mehr publiziert. "Millennium" ist deshalb wirtschaftlich ins Schlingern geraten – aber noch hält sich die Zeitschrift. Lisbeth Salander ist abgetaucht und lebt ihr Leben als subversive Erforscherin des Internets. Der IT-Spezialist Frans Balder, der unter geheimnisvollen Umständen aus den USA nach Schweden zurückkehrt, um sich um seinen autistischen Sohn zu kümmern, trifft auf seine zugedröhnte Exfrau – und nichts Dramatisches geschieht. Novemberstimmung eben.

"Verschwörung" von NSA und Russenmafia

Es dauert ein bisschen, ehe der Roman Fahrt aufnimmt und die Figuren untereinander verknüpft werden. Auch als die NSA, vertreten durch mehrere rivalisierende Figuren, und die russische Mafia mit ins Spiel kommen, steigt die Spannung noch nicht rasant. Selbst Lisbeth Salanders sphinxartige Zwillingsschwester, die auch bei Stieg Larsson schon als Hintergrundfigur angelegt war, fesselt den Leser nicht zwangsläufig. Interessanter wird als Figur zumindest in Ansätzen der kleine Autist, der sich als Savant entpuppt, und um den sich die Krimihandlung entspinnt.

Lagercrantz schildert seine Figuren und ihren Hintergrund ausführlich und genau, aber dadurch werden sie nicht wirklich schillernd. Und er zitiert unablässig herbei, Zeugen aus der realen Welt, Bücher, Experten und Wissenschaftler, von H. G. Wells über den Erfinder der "technologischen Singularität" Vernor Vinge zu Ray Kurzweil, der als Spezialist der Nano-Technologie das einträchtige Zusammenleben von Menschen und Computern beschrieb – um nur einige Beispiele zu nennen. Die reale Verankerung, die bei Larsson die gesellschaftliche Folie bildete, auf der seine Figuren plastisch und lebendig wirkten, ist bei Lagercrantz weit fundierter und wissenschaftlich besser begründet, aber weniger atmosphärisch. Der Effekt all dieser Bezüge und Wissensandeutungen ist eher verlangsamend.

Buchcover von "Verschwörung"
BuchcoverBild: Heyne

Reale Forschungen, fiktive Intrigen

Es wird viel referiert und erklärt in "Verschwörung", um auf das eigentliche Krimithema der geheimen Jagd nach Forschungsergebnissen zur künstlichen Intelligenz hinzuführen. Lagercrantz hat viel angeeignete Kenntnisse einfließen lassen – die Liste der Adressaten seiner Danksagungen belegt es – bleibt erzählerisch aber brav, der Lesehunger wird sich nicht bei jedem Leser einstellen. Der Autor David Lagercrantz weckt aber genügend Interesse und Spannung, um einem fünften "Millennium"-Band gut gelaunt entgegenzusehen.

"Draußen fiel ein Stern vom Himmel", ist der unvermutet sentimentale Schlusssatz des Buchs. Wenn schon von Sternen die Rede ist – sagen wir: 3,5 von 5, solide, aber nicht brillant.