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PolitikNahost

Verschärfte Kritik an Israels Siedlungspolitik

24. März 2023

Israelische Siedler könnten in bereits geräumte Siedlungen im besetzten Westjordanland zurückkehren. Das entsprechende Gesetz sorgt international für Empörung - und ruft auch den Verbündeten USA auf den Plan.

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Westjordanland: Jüdische Siedlung Außenposten von Gevat Arnon
Der Siedlungsaußenposten Givat Arnon nahe der palästinensischen Stadt Nablus im besetzten WestjordanlandBild: JAAFAR ASHTIYEH/AFP

In der Nacht von Montag auf Dienstag hatte die Knesset die zweite und dritte Lesung des sogenannten Abzugsgesetzes auf ihre Agenda gepackt. Die Abgeordneten von Israels Parlament beschlossen, den Rückzug aus vier Siedlungen im Norden des israelisch-besetzten Westjordanlands wieder rückgängig zu machen. Nach der Änderung des "Disengagement Laws" könnten israelische Siedler in die vier Siedlungen Chomesh, Ganim, Kadim und Sanur zurückkehren, die zwischen den palästinensischen Städten Nablus und Dschenin liegen.

Die internationalen Reaktionen folgten prompt: In einem seltenen Schritt bestellte die US-Regierung den israelischen Botschafter Michael Herzog zum Gespräch bei der stellvertretenden US-Außenministerin Wendy Sherman ein, die die "Besorgnis der USA" über die Gesetzesänderung zum Ausdruck brachte.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu beeilte sich klarzustellen, dass die "Regierung keine Absichten hege, neue Siedlungen in diesen Gebieten zu etablieren". Aber die Entscheidung der Knesset würde ein "diskriminierendes und erniedrigendes Gesetz" beenden, das den Juden nicht erlaubt habe, in ihrem "historischen Heimatland" zu leben.

Die Aufhebung des Abzugsgesetzes ist für Siedlungsbefürworter sowie für die rechtsextremen Pro-Siedler-Parteien in der Regierung ein großer Erfolg. Die derzeitige rechts-religiöse Koalition hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Siedlungsausbau und damit eine mögliche Annektierung von Teilen des besetzten Westjordanlands voranzutreiben.

Warum israelische Siedlungen aufgegeben wurden

2005 hatte die damalige Regierung unter dem konservativen Ministerpräsidenten Ariel Sharon den Abzug aus den Siedlungen im Gazastreifen und vier weiteren Siedlungen im nördlichen Westjordanland beschlossen. Damals galt der hohe militärische Aufwand, den der Schutz der Siedler erforderte, als ein Grund dafür, die Siedlungen zu räumen. Doch die Sicherheitsbedenken, die Scharon bereits vor fast 20 Jahren hatte, gelten heute mehr denn je.

Vor allem im nördlichen Westjordanland hat sich die Lage in den vergangenen Monaten weiter verschlechtert: Fast täglich führt das israelische Militär in den Städten Dschenin und Nablus nach eigenen Angaben "Anti-Terror-Einsätze" im Rahmen der "Operation Break the Wave" durch. Auch die Gewalt durch Siedler hat zugenommen. Seit Beginn des Jahres starben nach palästinensischen Angaben mindestens 80 Menschen, darunter militante Palästinenser, aber auch Zivilisten. In Israel und dem besetzten Westjordanland kamen mindestens 15 Israelis bei Anschlägen von Palästinensern ums Leben.

Ruinen der geräumten israelische Siedlung Rafiah Yam im Gazastreifen (30.08.2005)
Ruinen der geräumten israelische Siedlung Rafiah Yam im Gazastreifen (2005)Bild: Marco Di Lauro/Getty Images

Nach dem Abzug 2005 hatten Siedler in Chomesh eine illegale Wohnwagensiedlung mit einer Yeshiva aufgebaut, einer jüdischen Religionsschule. Sie wurden mehrmals von der israelischen Armee vertrieben. Nun könnten sie ganz legal zurückkehren.

Israelische Rechtsprechung versus Völkerrecht

Die derzeitige rechts-religiöse Regierung unter Netanjahu hatte erst vor kurzem neun sogenannte Siedlungsaußenposten, die selbst nach israelischem Recht als illegal galten, nachträglich legalisiert sowie den Bau von rund 7000 neuen Wohnungen in Siedlungen im Westjordanland beschlossen.

Nach internationalem Recht gelten israelische Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten als völkerrechtswidrig, Israel weist diese Sichtweise zurück. Israel hatte während des Sechstagekrieges 1967 unter anderem das Westjordanland sowie Ostjerusalem erobert und besetzt, Ostjerusalem wurde später dann annektiert. Palästinenser wollen jedoch im Westjordanland und im Gazastreifen ihren eigenen Staat mit Ostjerusalem als Hauptstadt gründen. Der israelische Siedlungsbau wird als ein wesentliches Hindernis dafür angesehen, weil er das palästinensische Gebiet zusätzlich unterteilt und einen zusammenhängenden Staat kaum mehr möglich macht.

Welche Tragweite die Knesset-Entscheidung hat

Auch wenn noch unklar ist, ob diese Siedlungen jemals wieder von Israelis bewohnt werden, könnten im Norden des Westjordanlands nun auch neue Siedlungsaußenposten entstehen. Die Präsenz von Siedlern würde dann zu weiteren Konflikten führen. Die "messianische" Regierung schaffe damit "Tatsachen, um eine palästinensischen Staat zu verhindern", argumentiert die linke israelische Organisation "Frieden Jetzt", die seit Jahren die Siedlungsaktivitäten israelischer Regierungen dokumentiert. "Es ist ein enormes Sicherheitsproblem und eine Quelle für Siedlergewalt. Diese Entscheidung wird Folgen für Generationen haben."

Die Abstimmung in der Knesset folgte nur wenige Stunden nach einem von den USA vermittelten Gipfeltreffen von israelischen und palästinensischen Vertretern in der ägyptischen Stadt Scharm el Scheich, das die insgesamt aufgeheizte Lage beruhigen soll. In der abschließenden Erklärung hatte sich Israel verpflichtet, in den nächsten vier Monaten keine neuen Siedlungsaktivitäten zu unternehmen - als eine der Maßnahmen, um eine weitere Eskalation im muslimischen Fastenmonat Ramadan zu vermeiden.

Scharfe Reaktionen aus dem Ausland

Palästinensische und internationale Reaktionen auf die Gesetzesänderung ließen nicht lange auf sich warten. Der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas sieht darin "eine Verletzung" der UN-Sicherheitsratsresolution von 2016, die Siedlungen als illegal bezeichnet, wie die palästinensische Nachrichtenagentur WAFA berichtet.

Die US-Regierung kritisiert das Gesetz in ungewöhnlich scharfen Worten als "provokativ und kontraproduktiv". Die USA seien "äußerst beunruhigt", sagte Vedant Patel, stellvertretende Pressesprecher im US-Außenministerium, und hielt fest, dass "Chomesh auf privatem palästinensischem Grundbesitz gebaut ist." Das Gesetz stehe außerdem im Widerspruch zu israelischen Garantien, die noch zu Präsident George W. Bushs Zeiten vereinbart wurden. "Vor rund 20 Jahren bestätigte Ministerpräsident Ariel Sharon im Namen Israels schriftlich George W. Bush, die Siedlungen und Außenposten im nördlichen Westjordanland zu räumen, um die Situation zu stabilisieren (...)."

Israel: Benjamin Netanjahu und Bezalel Smotrich
Ministerpräsident Netanjahu und Finanzminister Smotrich vor einer Kabinettssitzung im FebruarBild: Ronen Zvulun/Pool Reuters/AP/dpa

Bei der erneuten diplomatischen Irritation zwischen der Biden-Regierung und der rechts-religiösen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der noch immer auf eine Einladung ins Weiße Haus wartet, ist es nicht geblieben: Es gibt auch scharfe Reaktionen von den Vereinten Nationen, der Europäischen Union, darunter auch Deutschland, sowie aus dem Nachbarland Jordanien.

Wie örtliche Medien berichten, war dort kurz zuvor der israelische Botschafter in Amman einbestellt worden, weil der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich erneut mit rassistischen und anti-arabischen Bemerkungen aufgefallen war. Smotrich, der zugleich auch der zivil-militärischen Verwaltungsbehörde im besetzten Westjordanland vorsteht, hatte bei einer Veranstaltung in Paris gesagt, das es "so etwas wie das palästinensische Volk" nicht gebe. Dabei stand der Politiker der Partei "Religiöser Zionismus" vor einer Landkarte, die das besetzte Westjordanland und Jordanien als israelisches Staatsgebiet zeigte.

Porträt einer Frau mit dunklen Haaren
Tania Krämer DW-Korrespondentin, Autorin, Reporterin