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Vernetzte Welt - Vernetzte Bedrohungen

19. November 2011

Immer mehr verschmelzen Online-Welt und physische Welt. Allerdings ohne die Regeln und Ordnungsmechanismen der physischen Welt. Die Herausforderungen der digitalen Vernetzung waren Thema eines Symposiums in Rotterdam.

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Szene aus dem Film 'Hacker" (Foto: salzgeber)
Freund, Feind oder Geschäftemacher - im Internet verwischen die GrenzenBild: salzgeber

Wenn Computerfreaks die Priester der Informationsgesellschaft sind, weil sie die Technik verstehen, die der Rest der Menschheit nur staunend benutzt, dann war das Treffen eine Kardinalsversammlung: im Rotterdamer World Trade Center, das an einen Flughafen-Terminal erinnert, haben sich Mitte November rund 500 IT-Fachleute zum 10. Symposium des niederländischen CERT versammelt. Abkürzungen prägen die Sprache der Cyberexperten, was sie für Außenstehende ebenso unverständlich macht wie das Latein der Priester für die Menschen des Mittelalters. CERT zum Beispiel steht für 'Computer Emergency Response Team'. Die meisten Länder der Erde haben solche CERT's eingerichtet – und das Symposium in Rotterdam wuchs aus dem Wunsch heraus, sich international auszutauschen.

Zur Internationalisierung des Kampfes gegen Cyberkriminelle passt, dass zeitgleich ebenfalls im World Trade Centre Rotterdam europäische Staatsanwälte zu ihrer ersten Tagung über die Bekämpfung von E-Crime zusammenkamen.

Frauen in der Minderheit

Das Publikum von Cybersicherheitskonferenzen ist bunt gemischt. Auch in Rotterdam sitzen blasse Nerds mit langen Haaren neben Uniformierten mit Bürstenhaarschnitt, diskutieren FBI-Agenten mit Hackern über Angriffsstrategien, trinken Anzugträger aus Behörden und Sicherheitsfirmen Kaffee mit schlecht rasierten Penetration-Testern. Frauen sind in dieser Szene eine Minderheit. Immerhin ist die Gastgeberin eine Frau: Elly van Heuvel steht an der Spitze des niederländischen CERTs. Justizminister Ivo Opstelten persönlich eröffnet die Konferenz – auch um zu zeigen, wie wichtig die Niederlande das Thema Cybersicherheit nehmen. Immerhin hatte das kleine Land mit dem Hack der Zertifizierungsfirma Diginotar im September 2011 einen handfesten Datenskandal, der Auswirkungen sowohl auf iranische Oppositionelle als auch die nationale IT-Infrastruktur hatte.

Hacker, Agenten, Militärs

In fünf parallelen Vortragsreihen behandelt das Rotterdamer Symposium eine Fülle von Themen: Der deutsche Chaos Computer Club zum Beispiel trägt seine Erkenntnisse zum 'Bundestrojaner' vor, einer in Deutschland vermutlich rechtswidrig eingesetzten staatlichen Überwachungssoftware. An anderer Stelle wird diskutiert, wie sich im Internetzeitalter ein Recht auf Vergessen durchsetzen ließe, also ein Verfallsdatum für kompromittierende oder sonstige unerwünschte Daten. Dann geht es um den Schutz von industriellen Steuerungsanlagen. Vorgetragen wird aber auch, wie sich gestohlene Daten aus einer Organisation herausschmuggeln lassen. Manche Veranstaltungen sind für Mitglieder der Presse nicht zugänglich – zum Beispiel, wenn ein Beamter des deutschen Bundeskriminalamtes über Phishing etwa zum Diebstahl von Kreditkartendaten redet, ein Agent des United States Secret Service über den Stand des Schutzes der amerikanischen Infrastruktur oder ein FBI-Agent über die Koordinierung internationaler Anti-Cybercrime-Einsätze.

Die Welt ein Strom aus Nullen und Einsen

Die Unsicherheit scheint groß zu sein. Die Veranstaltung wirkt wie ein Stochern im digitalen Nebel – wenn auch groß organisiert und koordiniert. Niemand kann genau vorhersagen, wie sich die Zukunft des Internets entwickeln wird. In fünf Jahren, sagt ein Vortragender voraus, wird alles, was wir nicht essen, vernetzt sein: Autos, Kühlschränke, Toaster, technische Geräte aller Art werden miteinander kommunizieren. Die Welt verwandelt sich in einen Strom aus Nullen und Einsen – doch die politischen, rechtlichen, kriminalistischen Folgen sind überhaupt nicht absehbar.

Der kanadische IT-Pionier Rafal Rohozinski lenkt die Aufmerksamkeit des Publikums auf einen bislang wenig beachteten Faktor: Die Zukunft des Internets liegt für ihn in den Entwicklungsländern - dort, wo die Bevölkerung jung und zumeist arm ist. Und wo Internetzugang oder Mobilfunknetze einen entscheidenden Unterschied machen. Für Rohozinski verschafft die Technik den Menschen Zugang nicht nur zu Märkten, sondern auch zu Rechten. Das Informationsmonopol der Herrschenden werde gebrochen, Menschen in aller Welt nutzten digitale Netzwerke für sozialen und politischen Wandel.

Gleichzeitig wächst durch Cyberkriminalität, Cyber-Spionage und die Furcht vor einem Cyber-9/11 der Druck für eine stärkere Regulierung des Internets. Regulierung und Cybersicherheit, so Rohozinski, bedeuten allerdings in Peking etwas anderes als in Berlin oder in Teheran. Gute Vorsätze, wirtschaftliche Interessen und Einschränkungen von Behörden könnten die weite Welt des Internets in eine Ansammlung abgezäunter digitaler Gärten verwandeln, warnt der Kanadier.

Govcert Symposium 2011 (Foto: DW/Matthias Von Hein)
Die digitale Welt: Mit der Vernetzung wächst die UnübersichtlichkeitBild: DW
Rafal Rohozinski (Foto: DW/Matthias von Hein)
Fürchtet um die Freiheit des Internets: Rafal RohozinskiBild: DW
Bildschirm, voll mit alphanumerischen Zeichen (Foto: Fotolia)
Kaum etwas ist wirklich sicher im InternetBild: Fotolia/Yong Hian Lim

Das Kunststück wird sein, hier die richtige Balance zu finden.

Autor: Matthias von Hein
Redaktion: Sandra Petersmann