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Verfassungsgericht prüft Abgeordnetenrechte in der Eurokrise

28. Februar 2012

Darf ein Mini-Gremium im Namen des ganzen Bundestages über den Einsatz deutscher Steuermilliarden zur Rettung des Euro entscheiden? Das Bundesverfassungsgericht will diese Frage heute beantworten.

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Der Zweite Senats des Bundesverfassungsgerichts, v.l. Sibylle Kessal-Wulf , Monika Hermanns, Herbert Landau, Gertrude Lübbe-Wolff, Andreas Voßkuhle (Vorsitz), Michael Gerhardt , Peter Huber und Peter Müller, Foto: Uli Deck dpa/lsw
Bild: picture-alliance/dpa

Der Euro-Rettungsschirm (EFSF) soll in dringenden Fällen schnell und effektiv reagieren, um bedrohten Staaten aus der Patsche zu helfen. Wenn man beabsichtige, zur Stützung von Notfall-Ländern an den Börsen zu agieren, dann müsse dies möglichst zügig und diskret geschehen, fordert die Bundesregierung. Die Marktanalysen der Europäischen Zentralbank zum Anleihekauf seien "hoch vertraulich", erläutert etwa Finanzminister Wolfgang Schäuble, eine öffentliche Ankündigung wäre "etwas für die Karnevalszeit, aber keine verantwortliche Politik". Und der Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Peter Altmeier, meint, wenn es nicht gelänge, geplante EFSF-Stützungskäufe von Staatsanleihen an den Börsen geheim zu halten, könne man die Steuergelder gleich verbrennen.

Allerdings kollidieren Schnelligkeit und Geheimhaltung finanzpolitischer Entscheidungen mit den in Deutschland besonders ausgeprägten Mitwirkungsrechten des Parlaments, die im Artikel 23 des Grundgesetzes niedergeschrieben sind, und auch mit dem Selbstverständnis vieler Abgeordneter . 

Abgeordnete fürchten um ihre Rechte

Die Bundesregierung war deshalb heilfroh, als die Parlamentsmehrheit Ende September 2011 beschloss, dass in Fällen "besonderer Eilbedürftigkeit" von Euro-Nothilfen nicht das 620 Abgeordnete zählende Plenum und auch nicht die 41 Mitglieder des Haushaltsausschuss des Bundestages einberufen werden müssten. Stattdessen sollte aus den Reihen des Haushaltsausschusses ein kleines Sondergremium aus neun Abgeordneten eingesetzt werden, in dem alle Fraktionen vertreten und die Regierungskoalition in der Mehrheit wäre, vergleichbar etwa mit dem elfköpfigen Parlamentarischen Kontrollgremium, das seit Jahren die Geheimdienste überwacht. Im heiklen Geschäft der Euro-Rettung sollten die neun Auserwählten das "Königsrecht" des Parlaments, nämlich die Kontrolle der Staatsausgaben, durchsetzen. 

Peter Danckert, SPD, im Porträt Foto: Karlheinz Schindler
Peter Danckert sieht seine Rechte verletztBild: picture-alliance/dpa

Doch wenige Stunden vor der geplanten Konstituierung stoppte das Bundesverfassungsgericht am 28. Oktober 2011 die Neuner-Runde. Die Karlsruher Richter reagierten damit auf eine Klage der SPD-Abgeordneten Peter Danckert und Swen Schulz, die anders als die meisten ihrer Abgeordnetenkollegen "die Dinge nicht einfach so laufen lassen wollten", wie Danckert sagte. Er fühle sich in seinen Mitwirkungsrechten verletzt. Als mehrmals direkt gewählter Abgeordneter wolle er seinen Wählern mit "offenem Visier" gegenübertreten und sagen können, er habe diese komplizierten Dinge mit erörtert.

Mini-Gremium mit "abenteuerlichen" Befugnissen

Wie Danckert beschweren sich seit längerem auch andere Abgeordnete in der Eurokrise über mangelnde Information durch die Regierung, über mangelnde Einflussmöglichkeiten und fühlen sich bei schwierigen Entscheidungen zeitlich unter Druck gesetzt. Die Grünen-Fraktion will deshalb in einer parallel verhandelten Klage in Karlsruhe auch eine bessere und rechtzeitige Information durch die Regierung durchsetzen.

Für die beiden SPD-Abgeordneten ist die Delegierung einer solch gewaltigen Haushaltsverantwortung wie beim EFSF auf ein Mini-Gremium unzulässig. Dass sie damit nicht völlig falsch liegen, zeigt die Entscheidung der Bundesverfassungsrichter von Ende Oktober 2011, den Parlamentsbeschluss über das Sondergremium vorerst auszusetzen, weil er möglicherweise die Statusrechte anderer Abgeordneter verletze. Dies müsse geprüft werden. 

Während Finanzminister Schäuble selbst nach Karlsruhe reiste, um in der mündlichen Verhandlung den Richtern die Zwänge der Finanzmärkte in der Eurokrise zu erläutern, begrüßten Abgeordnete aus den Reihen der Opposition das vorläufige Ausbremsen des Sondergremiums, das auf Antrag der Regierung bei "besonderer Eilbedürftigkeit" entscheiden soll. Der sozialdemokratische Haushaltsexperte Johannes Kahrs meinte, es sei "abenteuerlich, dass eine kleine Runde in Telefonkonferenz mit einer Mehrheit von fünf zu vier Stimmen Milliardensummen bewegt, während der Haushaltsausschuss selbst über Beträge von 10.000 Euro streitet“.

Wolfgang Schäuble gestikuliert mit der rechten Hand Foto: Clemens Bilan/dapd
Finanzminister Schäuble will geheime EntscheidungenBild: dapd

"Not kennt kein Gebot" ist vor Gericht wenig populär

Der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele befürchtet, dass die Ausschaltung von Plenum und Haushaltsausschuss wegen angeblicher oder tatsächlicher Dringlichkeit von Nothilfe-Maßnahmen nicht die Ausnahme, sondern die Regel werden könnte. Bisher ist vorgesehen, dass in allen Fällen, in denen zur "Verhinderung von Ansteckungsgefahren" der Ankauf von Staatsanleihen bedrohter Staaten an der Börse erfolgen soll, die "besondere Eilbedürftigkeit" vorliegt und damit das Neuner-Gremium in Aktion tritt. Für die meisten anderen Entscheidungen zum EFSF müssen aber Plenum oder Haushaltsausschuss befragt werden.

Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle deutete bei der mündlichen Verhandlung der Klage Ende November 2011 an, dass er zwar Verständnis für die Regierung habe, die Verfassung aber auch in schwierigen Zeiten eingehalten werden müsse. Die Forderung "Not kennt kein Gebot" habe den Menschen "wenn überhaupt, immer nur sehr kurzfristig Glück gebracht", sagte Voßkuhle.

Die Karlsruher Verfassungshüter hatten in den vergangenen Jahren den Bundestag mit mehreren Urteilen davor bewahrt, im Machtspiel zwischen Brüssel und Bundesregierung unter die Räder zu kommen. 

Autor: Bernd Gräßler
Redaktion: Marcel Fürstenau