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Japan Fukushima

16. Dezember 2011

Neun Monate nach der Katastrophe in Japan hat die Regierung das havarierte Atomkraftwerk Fukushima für stabil erklärt. Diese Erfolgsmeldung sei aber nur Augenwischerei, meint Alexander Freund in seinem Kommentar.

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Bild: DW

Sicherlich, die Schlagzeilen lesen sich gut: Fukushima ist unter Kontrolle, die Lage in der Atomruine ist stabilisiert. Aber diese Schlagzeilen sind letztlich Augenwischerei. Fukushima ist längst nicht unter Kontrolle. Es ist lediglich die Erfolgmeldung, die der Betreiber Tepco und die Regierung bereits im Frühsommer vollmundig für das Jahresende angekündigt hatten, um der ständig wachsenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu begegnen.

Deutsche Welle Alexander Freund
Japan-Experte Alexander FreundBild: DW

Bis Jahresende sollten die durch den Tsunami schwer beschädigten Reaktoren in einer sogenannten "Kaltabschaltung" unter Kontrolle gebracht werden. Bei einer "Kaltabschaltung" liegen die Temperaturen im Innern der Reaktoren konstant unter hundert Grad. Dies wäre ein Etappensieg, denn dann könnte mit dem Abbau der Anlage begonnen werden. Soweit die Theorie: Tatsächlich aber kann es nach Meinung von Experten noch bis zu 30 Jahren dauern, bis wirklich mit der Demontage begonnen werden kann. Denn nach Expertenmeinung sind die geschmolzenen Brennelemente durch den Boden der Reaktordruckbehälter durchgebrannt und liegen jetzt als Klumpen auf dem Boden der Umhüllung, und zwar nicht etwa "kalt abgeschaltet", sondern mit einer unfassbaren Hitze von schätzungsweise 3000 Grad.

Hier der verunsicherten Öffentlichkeit den Begriff der kontrollierten "Kaltabschaltung" vorzugaukeln, ist einfach nur verantwortungslos, passt aber zum desolaten Krisenmanagement von Regierung und Betreiber. Die Zweifel und Ängste in der Bevölkerung aber werden auch diese Erfolgsmeldungen nicht ausräumen. Ganz allmählich formiert sich die Wut der Menschen, denn auch neun Monate nach Beginn der Tsunami- und Atomkatastrophe reißen die Schreckensmeldungen nicht ab: Vor einem Monat erst berichtete der Betreiber von einer neuerlichen Kernspaltung im Reaktor 2. Nach wie vor werden in der Region Fukushima extrem hohe Strahlungswerte gemessen, kontaminiertes Wasser fließt teilweise ungehindert ins Meer. Auch in Reis, Rindfleisch, Gemüse, Meeresfrüchten, Milch und Teeblättern werden immer wieder hohe Strahlungswerte entdeckt. Und nach wie vor leben noch tausende Atomflüchtlinge in Behelfswohnsiedlungen. Zumindest wird ihnen jetzt eine bescheidene Entschädigung gezahlt, vom Steuerzahler allerdings, nicht vom skandalträchtigen Betreiber Tepco.

Unter Kontrolle ist gar nichts, und dass spüren auch viele Japaner. Ihr Misstrauen ist mittlerweile so groß, dass sie selber mit Geigerzählern und Dosimetern durchs Land ziehen und Radioaktivität messen. Ihre Internetkarten zeigen sehr eindrucksvoll, wie hoch die Strahlenbelastung tatsächlich in den Regionen ist. Und betroffen ist längst nicht nur die nähere Umgebung der Reaktorruine von Fukushima. Auch diese eigenen Nachforschungen zeigen, dass viele der oftmals so obrigkeitsgläubigen Japaner ihr Vertrauen in Regierung und Atombetreiber verloren haben. Da helfen auch keine Erfolgsmeldungen zum Jahresende.

Wirkliche Erfolgsmeldungen hat Japan zum Jahresende nicht zu vermelden. Auch die neue japanische Regierung um den Premierminister Yoshihiko Noda, der seit September 2011 im Amt ist, hat den "Stresstest" nicht bestanden. Der letzte Regierungschef Naoto Kan musste gehen, weil er beim Krisenmanagement versagte, sich teilweise im Alleingang mit der übermächtigen japanischen Atomlobby anlegte und stattdessen auf erneuerbare Energien setzte. Einzig die Atomlobby kann sich rühmen, ihre eigene angeschlagene Lage vorerst stabilisiert und die Regierung wieder unter Kontrolle gebracht zu haben.

Autor: Alexander Freund
Redaktion: Hao Gui