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"Erdogan setzt auf Auslandstürken"

Klaus Jansen24. Mai 2014

Der Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten in Köln war wichtig für seinen Wahlkampf, meint Haci Halil Uslucan vom Zentrum für Türkeistudien. Kritische Stimmen habe Erdogan einfach mit Gegenkritik weggebügelt.

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Haci-Halil Uslucan (Bild: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Recip Tayyip Erdogan hat bei seiner Rede in Köln die Kritik am Vorgehen der türkischen Regierung beim Bergwerksunglück von Soma scharf zurückgewiesen: "Illegale Kreise" hätten die Proteste nach dem Unglück angestachelt. Wie ordnen sie das ein?

Haci Halil Uslucan: Es ist eine häufig gehörte Strategie. Wenn Kritik kommt, dann wird die Kritik in ihrer Berechtigung kritisiert. Mit dem Inhalt der Kritik beschäftigt man sich nicht. Gerade hier täte viel mehr Selbstkritik gut, genauso wie zu fragen: Was läuft bei uns falsch? Was ist versäumt worden? Warum führt die entfesselte Ökonomisierung des gesamten Lebens unter der Regierungspartei AKP dazu, dass es solche Tragödien gibt? In der Türkei wird alles dem ökonomischen Fortschritt geopfert.

Erdogan hat auch einigen deutschen Medien vorgeworfen, das Soma-Unglück auszuschlachten und für ihre Zwecke zu nutzen. Was sagen sie zum Vorwurf, dass deutsche Medien Erdogan beleidigt hätten?

Hier geht es um einen Spiegel-Reporter, der einen Demonstranten direkt zitiert hat mit den Worten "Scher dich zum Teufel, Erdogan". Das war nicht die Meinung dieses Magazins, sondern nur ein Zitat. Darüber hinaus muss man sich daran gewöhnen, dass Medien auch an türkischen Ministerpräsidenten Kritik üben können. Auch Bundespräsident Gauck ist auf türkischer Seite massiv von türkischen Medien kritisiert worden, warum sollte man so etwas skandalisieren?

Zu den anstehenden Präsidentschaftwahlen in der Türkei hat es Erdogan offen gelassen, ob er antreten wird oder nicht. Ein geschickter Schachzug?

Ja, denn laut türkischem Wahlgesetz ist es nicht gestattet, im Ausland Wahlwerbung zu machen oder Kampagnen zu starten. Auch viele deutsche Politiker haben ihn davor gewarnt. Es ist offensichtlich, dass er ohnehin die größten Aussichten hat und der Kandidat sein wird. Vor diesem Hintergrund war es vielleicht auch ein Zeichen der Sensibilität, die Kandidatur nicht bekannt zu geben, um nicht noch einen weiteren Eklat zu erzeugen. Es war politisch klug, das bewusst in der Schwebe zu halten.

Wie bedeutsam ist die Rede in Köln insgesamt gewesen?

Wenn er wirklich Präsidentschaftskandidat wird, dann braucht er die Stimmen der Auslandstürken. Rund fünf Prozent der wahlberechtigten Türken leben im Ausland. Studien belegen, dass mehr als 60 Prozent dieser Türken AKP-Wähler sind. Allein in Deutschland sind das hunderttausende Stimmen, die ein bedeutendes Gewicht haben. In Deutschland gibt es fast so viele Stimmen zu holen wie in Adana, der fünfgrößten türkischen Stadt. Deutschland wäre somit das sechstgrößte Wahllokal der Türkei.

Zum Thema Integration: Erdogan hat seine Forderungen an Türken in Deutschland wiederholt, sich nicht zu assimilieren, die Kultur, die Religion und die Sprache nicht zu verlieren.

Dies aufzugeben fordert auch niemand in Deutschland. Außerdem ist das eine individuelle Entscheidung. Assimilation setzt über mehrere Generationen hinweg aber immer ein. Die dritte oder vierte Generation der Türken in Deutschland spricht deutlich besser Deutsch als Türkisch. Das sind keine bewussten Prozesse, die die deutsche Regierung steuert. Das passiert einfach, ganz natürlich. Das muss man kritisch beobachten, aber unterdrückt oder verleugnet wird hier nichts und niemand. Bei Wohnung, Arbeit und Bildung dagegen ist Assimilation sogar gewünscht. Denn herkunftsbedingte, kulturelle Unterschiede soll es beim Zugang zum Arbeitsmarkt ja gerade nicht geben. In diesem Punkt sollen sich die Lebensverhältnisse angleichen.

In seiner Rede hat Erdogan auch mehrfach darauf hingewiesen, dass die Türkei und Deutschland für den Aufschwung in beiden Ländern friedlich zusammenarbeiten müssten.

Die Zusammenarbeit findet ja auch statt. Da darf man das Politische nicht zu sehr aufblasen. 2014 ist das Jahr deutsch-türkischer Wissenschaftsbeziehungen, über 5000 deutsche Unternehmen sind in der Türkei tätig, es gibt unzählige bi-kulturelle und bi-nationale Partnerschaften, Ehen und Freundschaften. Es wäre ein Fehler, die Beziehungen nur an kritischen Erdogan- oder Gauck-Reden festzumachen.

Haci Halil Uslucan ist Professor am Zentrum für Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen.

Das Interview führte Klaus Jansen.